Sushi Nakazawa – die Omelett-Rebellion
Einige der spannendsten Dinge in Zusammenhang mit Sushi sind die Vergleiche. Keine andere Speise bietet derart immense Qualitätsunterschiede bei nur so wenigen Zutaten und scheinbar ähnlichem Aussehen. Die Unterschiede sind an unzähligen Details auszumachen, von der Fischart und -frische über den für die Reiszubereitung verwendeten Essig bis zur Schnitttechnik des Fischs und der Verwendung und Art des Messers. Geringste Kompromisse bei mehreren dieser Stellschrauben summieren sich schnell und machen aus einem potenziell großartigen Stück Sushi nur einen weiteren Reisball mit Fisch und Sojasauce. Nicht umsonst haben die großen Sushi-Meister viele Jahrzehnte Erfahrung. Wenn es jemandem guttun würde, zweihundert Jahre alt zu werden, dann einem Sushi-Meister (und in der Folge auch uns als Gästen, die ihre Köstlichkeiten genießen können).
Durch eine der vermutlich härtesten Sushi-Schulen ist Daisuke Nakazawa gegangen. Der 37-jährige Japaner war über elf Jahre lang Schüler bei Jiro Ono und erlangte bereits kurze, herzzerreißende Berühmtheit in der Dokumentation Jiro Dreams of Sushi, wo er über Monate hinweg mehr als zweihundert mühsame Versuche benötigte, um ein süßes Omelett (Tamago) zuzubereiten, bis es vom Meister endlich akzeptiert wurde.
Vor ein paar Jahren zog Nakazawa von Japan nach Seattle, wo er im Shiro’s unter Shiro Kashiba arbeitete, einem weiteren Schüler Onos. In 2013 holte ihn schließlich der Gastronom Alessandro Borgognone nach New York, wo Nakazawa seitdem Herr über ein Restaurant ist, das seinen Namen trägt.
Der in New York einflussreiche Kritiker Pete Wells von der New York Times (NYT) attestierte dem Restaurant jüngst die Höchstbewertung von vier Sternen und damit mehr als solch großartigen Restaurants wie dem Chef’s Table at Brooklyn Fare oder – interessanter noch als Vergleich – dem Japaner Masa (beide drei von vier Sternen in der NYT). Der Michelin hingegen würdigt das Sushi Nakazawa nur mit einer Empfehlung und könnte damit von einer Höchstnote kaum weiter entfernt sein. Eine interessante Diskrepanz, vor allem, weil man dem Guide Michelin bei der Würdigung japanischer Restaurants nicht gerade Zurückhaltung vorwerfen kann. Japan ist längst, noch vor Frankreich, Sterneland Nummer eins.
In der Mission, mir von dieser Differenz ein eigenes Bild zu verschaffen, stehe ich heute Abend vor der Tür des Sushi Nakazawa im schönen New Yorker Stadtteil Greenwich Village. Für die Reservierung hatte ich mir dreißig Tage vorher um Mitternacht eine Erinnerung eingestellt und war für ein seating um 21:30 Uhr erfolgreich.
Durch den Eingang gelangt man zunächst in eine schummrige Bar, wo man ebenfalls Sushi bestellen kann. Doch meine Reservierung ist für einen Platz am Tresen. Alles andere wäre nur ein Kompromiss, und von Kompromissen ist bei allem, das mit Sushi zu tun hat, abzuraten.
Hinter dem Tresen geht es umtriebig zu. Bis zu fünf Sushi-Köche stehen dort und bereiten, offenbar alle gleichberechtigt, Sushi zu. Das ist recht untypisch für ein japanisches Restaurant, in dem üblicherweise die Rollenverteilung klar ersichtlich ist. Später erkenne ich: Nakazawa selbst kümmert sich um uns Gäste am Tresen, während die anderen für die Gäste in einem weiteren Restaurantbereich mit Tischen sowie für die Bar verantwortlich zeichnen. Dort gibt es dasselbe Omakase-Menü, allerdings zu einem geringeren Preis (120 statt 150 Dollar).
Das Sushi Nakazawa ist ein reines Sushi-(Nigiri-)Restaurant. Vorspeisen oder Sashimi werden nicht serviert.
Das Menü beginnt, ebenfalls recht ungewöhnlich für authentisches Sushi, mit Lachs, genauer Ketalachs. Der Fisch hier ist mäßig faszinierend, weil recht mager und inakkurat geschnitten, der Reis ist ungewöhnlich heiß und sehr säurearm.
Da sind sie bereits zu spüren, die Unterschiede der unzähligen Stellschrauben eines Stückchens Sushi. (6/10)
Räucherlachs ist das Thema des zweiten Stücks, das zwar eine schöne Lagerfeueraromatik aufweist, dem aber ebenfalls mehr Säure im Reis guttäte – aber da muss ich jetzt wohl durch. (6/10)
Geflämmter Königslachs, der – etwas zu beiläufig – mit dem Bunsenbrenner bearbeitet wurde, hat einen bemerkenswerten Fettgehalt und dadurch eine schöne Textur, ist aber im Ergebnis erneut heiß (6/10). Am besten entfalten sich Textur und Geschmack von Sushi, wenn es Körpertemperatur hat und dadurch eins mit dem Gaumen wird. Die Zeit, in der große Sushi-Meister das Stück Sushi in ihrer Hand erwärmen, ist niemals Zufall. Der Einsatz eines Bunsenbrenners wirkt daher so geschickt wir ein Elefant im Porzellangeschäft.
Recht seltsam ist auch, wie nonchalant der gut gelaunte, zuweilen etwas sehr ulkige, Nakazawa arbeitet. Es wird viel gelacht, mit den Gästen geplaudert, irgendwo hingelaufen, wieder zurückgekommen, nach rechts und nach links geschaut, geflämmt, gepinselt, geschnitten. Feste, monotone Abläufe sind kaum erkennbar. Das gefällt den meisten Gästen vermutlich besser als das grimmige Gesicht eines Hachiro Mizutani, Fakt ist aber: dem Sushi tut diese Lässigkeit nicht besonders gut.
Ein Japaner in Japan würde auch nie so viel Aufsehen um seine Zutaten erregen. Für das nächste Stück hat Nakazawa beispielsweise Jakobsmuscheln parat (Maine scallop), deren ausgelöster Muskel noch sichtlich lebendig ist. Um dies zu demonstrieren, wirft er die Stücke Fleisch mehrmals von oben auf die Arbeitsplatte, damit auch ja kein Gast das Zucken des Muskelfleischs verpasst. Wie war das noch gleich mit dem Spielen und dem Essen?
In Verbindung mit unter der qualitativ tadellosen Muschel applizierter Yuzu und einem blumig-aromatischen Pfeffer ist das Stück bisher jedoch das beste. (8/10)
Doch das war fast ein Ausrutscher. Das Niveau der nächsten Stücke flacht wieder ab.
Ein Stück mit Tintenfisch gefällt zwar durch den Einsatz eines minzig-würzigen Perilla-Blatts (shiso leaf), doch das Meerestier selbst ist etwas zu kaubedürftig. (6-7/10)
Es folgt ein geschmacklich etwas nichtssagender Fisch (nicht notiert) mit einem Stück seiner Leber (6/10), …
dann Glänzender Schleimkopf (goldeneye snapper), der ungleichmäßig geflämmt und erneut zu heiß serviert wird (5/10). Ich habe diesen Fisch in den letzten Tagen mehrfach probiert, was einen Vergleich umso einfacher macht: Zwischen dem unvergesslichen, am Gaumen schmelzenden Stück von César Ramirez oder dem ebenso fangfrischen, hellrosa glänzenden Exemplar aus dem Masa und diesem herzlos zur Unkenntlichkeit geflämmtem Stück mit rauer Textur liegen Welten, die ich versucht habe, in folgender Abbildung zu demonstrieren.
Als nächstes folgen zwei Stücke unterschiedlicher Markelenart: spanish mackerel (Scomberomorini) mit pfeffrigem japanischem Senf (sehr gut, 7/10), sowie mackerel (Makrele), die etwas unangenehm nach Hafenbecken schmeckt. (5/10)
Nakazawa spielt derweil mit einer lebendigen Garnele herum (Pandalus), die er bestmöglich gelaunt herumzeigt, mit einer gekonnten Handumdrehung enthauptet, dann häutet, entdarmt und mit etwas Rogen zusammen auf einem Stück Reis serviert.
Das ist beeindruckend frisch, aber geschmacklich mit einem großen Fragezeichen versehen. Rohe Garnelen waren noch nie mein Fall: zu schleimig und – außer etwas angenehmer Süße – nicht besonders wohlschmeckend. (6/10)
Es folgen weiter:
… eine etwas unsauber gearbeitete, aber geschmacklich sehr gute, Rolle mit hairy crab (Chinesische Wollhandkrabbe) (7/10); …
yellowtail (Große Bernsteinmakrele) (6/10); …
skipjack (Echter Bonito) (7/10); …
sowie drei Sorten Thunfisch mit unterschiedlichem Fettanteil (akami, chūtoro, ōtoro) – gut, aber etwas trocken und Tausende Kilometer weit entfernt von Faszination (6/10).
Zwei verschiedene Sorten Seeigel – aus Kalifornien (unten) und Hokkaido (oben) – bieten ebenfalls die spannende Möglichkeit des direkten Vergleichs; hier schneidet für mich der kalifornische besser ab, weil er etwas mehr nach salzigem Ozean schmeckt als der japanische, der offenbar nicht in allerbester Qualität eingekauft wurde. (6-7/10)
Etwas später gibt es noch eine Handrolle mit viel Reis, viel Tang und mittelfettem Thunfisch (6/10) …
sowie Aal mit süßer Sojasauce (7/10) als erstaunlich guter Übergang zum süßen Omelette (Tamago), das zwar unnötigerweise auf Reis serviert wird, aber dennoch gelungen ist (7/10).
Bei zwei weiteren Süßspeisen vergeht mir dann ganz unerwartet der restliche Appetit, da die Mannschaft hinterm Tresen gerade angefangen hat, sauberzumachen. Schwarze Müllsäcke werden hastig und direkt vor den Gästen befüllt, Zutaten werden in Folie eingewickelt, zwischenzeitlich stehen diverse Utensilien chaotisch herum. Mit japanischer Diskretion hat das wenig zu tun. Vielleicht prangt deshalb ja auch nur eine „B“-Note bezüglich der Hygieneprüfung am Eingang.
Die Rausschmeißaktion geht mir zu weit. Ich merke etwas an, woraufhin es dann noch ein Glas Champagner an der Bar gibt. Normalerweise liegt mir an solchen Entschädigungen nicht viel, doch ich gerate noch mit dem sehr freundlichen Sommelier Garrett Smith – an allem völlig unschuldig – in ein kurzweiliges Gespräch.
Als ich das Restaurant gegen Mitternacht verlasse, hantiert Nakazawa immer noch mit Müllsäcken herum, diesmal auf dem Gehweg.
Japanisch ist das alles nicht. Zwar ist offenkundig, dass Nakazawa und sein Financier Borgognone nicht die Absicht hatten, ein strikt japanisches Restaurant nachzubilden: Mit etwas mehr Lockerheit, so vermutlich die Strategie, erreicht man im Westen mehr Gäste. Doch diese Strategie passt nicht zu Sushi, wo Tugenden wie Präzision, Demut, Ernsthaftigkeit und Kontinuität die ausschlaggebenden Erfolgsfaktoren sind. Im Sushi Nakazawa fühlt es sich ein wenig so an als rebellierte der ehemalige Schüler gegen alles, was er von seinem Meister gelernt hat. Vielleicht waren die zweihundert Omeletts ja doch zu traumatisch.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Sushi Nakazawa (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Daisuke Nakazawa |
Ort: | New York City, USA |
Datum dieses Besuchs: | 10.03.2016 |
Guide Michelin (NYC 2016): | empfohlen |
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