Chef’s Table at Brooklyn Fare – der Tisch der Tische
Schon mal von Moe Issa gehört? Nein? Das ist der Kerl, dem die New Yorker Supermärkte Brooklyn Fare gehören. Die Geschäfte scheinen gut zu laufen: man ist gerade nach Manhattan expandiert und plant auch schon eine weitere Dependance. Doch es gibt einen viel gewichtigeren Indikator für den Geschäftserfolg von Issa: der Betrieb seines Restaurants Chef’s Table at Brooklyn Fare. In diesem Restaurant darf sich Küchenchef César Ramirez nämlich in einem Ausmaß austoben, von dem die meisten Küchenchefs für immer werden träumen müssen. Das Ausmaß heißt: no limit, kein Limit, weder beim Wareneinsatz noch bei der Restaurantausstattung. Das Resultat davon: ein Herd von Molteni, Töpfe aus Kupfer, Geschirr aus Berlin, Gläser aus Österreich und Fisch aus Tokio, der über japanischer Holzkohle gegrillt wird, die – ohne den Fisch – jeden Monat mit ein paar Tausend Dollar zu Buche schlägt. Was Kritiker eines solchen Exzesses ärgern wird: Ramirez’ Küche ist das genaue Gegenteil einer Angeberküche. Sie ist feinsinnig, klug, fokussiert, wohlschmeckend, heiter, faszinierend, begeisternd. Ramirez zählt für mich zu den begabtesten Küchenchefs überhaupt. Nur ein Narr würde einem solchen Genie Grenzen setzen.
Heute stehe ich zum dritten Mal vor der klapprigen Metallschleuse, die den Eingang zum Chef’s Table markiert und freue mich wie eh und je. Wie sollte es auch anders sein? Zwei Mal schon habe ich hier eines der denkwürdigsten Essen genossen. Das reicht mir persönlich an Empirie aus, um zu behaupten: größtmöglicher Genuss ist im Chef’s Table garantiert.
Als ich eintrete, ist das heitere Treiben schon in vollem Gange. Alle Plätze um den u-förmigen Edelstahltresen sind besetzt mit elegant gekleideten Gästen. Im Chef’s Table ist der Dresscode business formal, d. h. keine Jeans, keine Sneakers, Anzug ist für Herren Pflicht. Mir ist das egal, ich hätte ohnehin einen angezogen – allein schon aus Respekt.
Aus Respekt vor einer Küche, die als Eröffnungs-Statement ein kleines Törtchen mit Forellenrogen, Dill und einer frischen Forrellenmousse vorsieht, welches den Mund komplett mit kleinen, aufplatzenden Kügelchen voller Meerwasser, Salz und leichter Nussigkeit ausfüllt, um dann wenig später durch den hauchdünnen Roggenteig und die Creme wieder etwas zu beruhigen. Ein Eröffnungsstatement wie eine Monsterwelle. Ich habe auch noch nie so hervorragenden Forellenkaviar gegessen. Eine Wucht. (10/10)
Ein perfekt geröstetes, buttriges Stück Brioche-Toast mit einer großzügigen Portion Hokkaido-Seeigel, darauf eine Scheibe (!) gereifter, gelierter Sojasauce ist der zweite Wundersnack aus diesem Hause. (10/10)
Da sitzt man gerade mal ein paar Minuten hier und wurde schon in eine Welt gerissen, von der jeder kulinarisch Interessierte sofort merkt, dass sie anders ist. Besser, reduzierter, köstlicher als alles, was man vorher jemals gegessen hat. Verzicht ist bei der Küche Ramirez‘ interessanterweise das Element, das einen dabei am meisten überrascht: kaum mehr als zwei, drei Komponenten auf dem Teller, nichts auch nur ansatzweise Überflüssiges, keine Amuse-bouches, keine Menükarten, keine Kellner, keine langen Erklärungen, kein Brot, kein Besteck (nur Stäbchen).
Es geht weiter mit Kinmedai (Glänzender Schleimkopf) aus Chiba, Japan, einem Fisch, den Ramirez so ankündigt: „This is the best snapper. It will melt in your mouth.“ Und was soll ich sagen? Er hat Recht. Der Fisch schmilzt am Gaumen wie fettiger Thunfischbauch oder ein Stück Butter. Winzige, auf die Haut des Fischs applizierte, Reiskügelchen bringen dazu noch etwas knusprige Textur ins Spiel, und eine Sauce mit Essig puffert die Reichhaltigkeit des Fischs ab. Viel zu schnell verschwunden – und dennoch genau richtig portioniert. (10/10)
Und wenn man gerade noch dabei ist, den flüchtigen Fischgenuss so lange wie möglich auszukosten und darüber rätselt, wann man wohl das nächste Mal in einen derartigen Genuss gelangt, kommt die Antwort darauf schon mit dem nächsten Gang auf den Tisch. Geangelter roter Blaufisch (akamutsu) mit zu knusprigen Fäden verarbeitetem „Kyoto Miso“ ist eine kulinarische Demonstration, bei der die Grenzen zwischen Fisch und Fleisch verschwimmen. Das ist gerade deshalb so eindrucksvoll, weil ich immer wieder betone, dass mir eine Lebensmittelkategorie per se gar nicht so wichtig ist, so lange die Qualität stimmt. Ob ich lieber das eine oder das andere mag ist niemals eine Frage der Zutat, sondern immer nur der Qualität. Dieses Stück Fisch zum Beispiel ist von einer anderen Welt. Als es sich im Mund zu buttrigem Fett auflöst, fragt man sich, ob die Japaner vielleicht auch Fische wie Kobe-Rinder aufziehen, mit Massagen und Bier. Zuzutrauen wäre es ihnen. (10/10)
Die Exkursion im Reich der exklusiven Meerestiere geht weiter mit Störmit Dashi-Sabayon, dazu Kaviar mit Stör-Mousse, was allein deshalb schon ein fantastisches Gericht ist, weil man Stör noch seltener serviert bekommt als dessen Eier. Der seltene Fisch ist saftig und vor Frische strotzend, die Haut leicht knusprig, die üppige Nocke Kaviar angenehm kontrastierend. Lediglich die (geschmacklich perfekte) Mousse ist mir etwas zu viel schaumige Textur. (9/10)
Der nächste Teller hält ein Potpourri von Pilz-Pudding (mushroom custard), Königskrabbe und Foie Gras für einen bereit. Der Sud, in dem diese Zutaten zueinander finden ist heiß, dicht, gehaltvoll und pikant (vielleicht ein Dashi oder ein Geflügelfond) und hinterlässt einen abermals sprachlos angesichts des vorzufindenden Wohlgeschmacks. (10/10)
Kohlenfisch (black cod) mit Shiso-Brühe ist der nächste Geniestreich. Angeblich kommt der Fisch aus dem Columbia River, der irgendwo zwischen British Columbia und Washington in den Pazifik mündet, doch nach meiner Überzeugung kommt er direkt aus dem Schlaraffenland, so wie alles hier. Die Qualitäten, die hier aufgetischt werden, sind von so seltener Güte, dass man sein gesamtes Verständnis um Produktqualitäten hier einer ganz strengen Prüfung unterzieht – und reumütig zugeben muss, dass die Unsummen, die man in seinem Leben schon für Hunderte Kilo Fisch ausgegeben hat, nichts als teures Lehrgeld waren. Der Kresse-Sud zu dem unvergesslichen Stück Fisch ist würzig, salzig und perfekt ausgewogen. Ein weiteres Meisterwerk der Natur und aus dieser Küche. (10/10)
„It’s a growing dish“ erklärt Ramirez das folgende Gericht und bezieht sich dabei auf die sich ständig ändernde Zusammensetzung von saisonalen und eingelegten Gemüsen mit Nori-Sauce. Man kommt hier nicht umher, Assoziationen zum berühmten Gargouillou von Michel Bras herzustellen, doch eine Kopie ist dies mitnichten. Im Gegenteil: die Zutaten (seltene Blüten, Kresse, karamellisierter Salat) sind hier nicht so zahlreich, dafür etwas größer und einzeln besser wahrnehmbar. Doch auch bei diesem Gericht, wie bei Michel Bras, gleicht kein Bissen dem anderen. Jeder davon ist eine Ode an den Frühling, der New York schon fest im Griff hat. (10/10)
Miyazaki-Rind der höchsten Qualitätsstufe A5 mit etwas Ingwer, geraspelten verbrannten Schalotten und einem Jus, der allerhöchste handwerkliche Saucenansprüche erfüllt, zieren den nächsten Gang, der eine interessante Parallele zum roten Blaufisch vom Beginn des Menüs aufweist. Die besten Stücke Fleisch habe ich alle hier bei Ramirez verspeist, dieses Stück reiht sich nahtlos ein. Ein Ausnahmeprodukt, perfekt mit klassischem Handwerk in Szene gesetzt. (10/10)
Auch die Ente (upstate New York duck) mit knuspriger Haut, die noch einen perfekten Hauch ihres wohlschmeckenden Fetts behalten hat und neben einer mit Foie Gras gefüllten Spitzmorchel liegt, zeigt den hierzulande so gern aufgetischten Challans-Enten charmant ihren Bürzel. Dieses Stück Ente ist zweifelsfrei eines der besten, die ich je probiert habe. Unglaublich aromatisch, perfekt gegart, mutig gewürzt. Der nicht entfettete Bratenjus dazu, der Morchel, Entenfleisch und Foie Gras zusammenbringt, ist von angenehm klassischer Opulenz. (10/10)
Nach zwei angenehmen Stunden geht es zum süßen Teil des Menüs über (das ich mit einem Preis von 309 Dollar übrigens für ein preisgünstiges Schnäppchen halte), und man würde es sogar voll und ganz verzeihen, wenn zumindest die Patisserie nicht mithalten könnte. Aber sie kann.
Ein makellos ausgeführtes, cremiges, nicht zu süßes, nicht zu saures Grapefruit-Sorbet (10/10) wird vor einem Soba-cha-Eis (Buchweizentee-Eis) serviert (9/10), …
… bevor ein Vanille-Soufflé von perfekter Konsistenz (10/10) und traumhafte Petit-Fours (von feinster Schokolade bis exotischster Zitrusfrucht, alle 10/10) endgültig signalisieren, dass alles ein Ende hat.
So bleibt es auch nach diesem Besuch wahr: ein genialer Mexikaner serviert neben einem Supermarkt in Brooklyn eine Küche, für die alle Höchstnoten nicht aussagekräftig genug erscheinen. Schon vor ein paar Jahren stellte der Michelin bedauernd fest, dass drei Sterne zu wenig seien, um Ramirez’ Küche zu würdigen, und auch ich zücke erneut etwas hilflos meine zehn Punkte und muss ergänzen: diese Zehn ist abgerundet.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Chef’s Table at Brooklyn Fare (→ Website) |
Chef de Cuisine: | César Ramirez |
Ort: | New York City, USA |
Datum dieses Besuchs: | 09.03.2016 |
Guide Michelin (NYC 2016): | *** |
Meine Bewertung dieses Essens | |
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