The Table Kevin Fehling – Milligramm und Millimeter
Es wurde schon so viel über dieses Restaurant berichtet, dass man glauben könnte, es gäbe alldem nichts mehr hinzuzufügen. Jedes Medium, dessen Zielgruppe sich nicht gerade auf Modelleisenbahnbau beschränkt, hat sich auf Fehlings neues Lokal gestürzt. Zu Recht. Denn Fehlings Restaurant bricht – in Deutschland – mit so vielen Klischees Sternerestaurants betreffend, dass so manch einer vom Glauben abgefallen sein muss. Das Restaurant ist inhabergeführt; es wurde von Fehling selbst finanziert und konzipiert; es hat nur einen Tisch, an dem abends bis zu zwanzig Gäste Platz nehmen und in eine offene Küche blicken; es gibt nur ein einziges Menü, Stornogebühren für No-Shows und kurzfristige Absagen, und keine realistische Möglichkeit, bei entspanntem Getränkekonsum weniger als 350 Euro pro Person auszugeben. Während all das im internationalen Vergleich Normalität ist, fragt man sich, ob der Deutsche Gast so viel moderne Gastronomie auf einmal verkraften kann. Offenbar kann er. Fehlings Restaurant ist so erfolgreich, dass Reservierungen gerade testweise für ein Jahr im Voraus angenommen werden.
Bei allem Hype um den „Tisch“ fällt jedoch auf, dass fast ausschließlich über das Gastronomiekonzept berichtet wurde. Vor lauter Staunen über fehlende Kellner, fehlende Kronleuchter und fehlende Stühle haben viele Autoren glatt vergessen, dass man hier immer noch einkehrt, um zu essen. Wie schmeckt es eigentlich an Fehlings Tisch? Darf man das überhaupt fragen? Kocht er auf demselben Niveau wie zuvor im La Belle Epoque? Was für Produkte verarbeitet er? Welche Gäste kommen zu ihm, und wie ist die Atmosphäre?
Diese Fragen wurden in den meisten Reportagen bisher weder gestellt noch beantwortet, vermutlich, weil auch das Gros der Redakteure sich in der Welt moderner Spitzengastronomie nicht auskennt. Als ich davon gehört hatte, dass Kevin Fehling ein Tresenrestaurant in Hamburg eröffnet – und dann noch in meiner Nachbarschaft – war nicht nur meine Freude groß, sondern auch meine Hoffnung, dass hier endlich einer dieser Orte geschaffen würde, die Spitzenküche mit Lockerheit verbinden. Ein Ort, der den Gästen endlich zu verstehen gibt, dass man große Küche ausgelassen und unkompliziert genießen kann.
Aber locker geht es im The Table nicht zu. Das Ambiente ist hell, still und klinisch. Der Blick vom Tresen in die Küche offenbart keine Köche beim Kochen, sondern Mitarbeiter, die lautlos und konzentriert Teller anrichten. Pinzetten und Quetschflaschen sind fast die einzigen Utensilien, die sie benötigen. Damit werden Zutaten aus Edelstahlbehältern angerichtet, die wiederum aus Edelstahl-Temperierschubladen herausgeholt werden. Milligramm und Millimeter sind hier die relevanten Maßeinheiten, sofern diese Präzision überhaupt ausreicht, um die Teller so aussehen zu lassen wie Fehling sie entworfen hat.
Nun läge es in der Verantwortung der Gäste, für etwas Stimmung zu sorgen – der geschwungene Tresen wäre dafür äußerst geeignet –, doch das deutsche Sternerestaurant-Syndrom hat auch die Klientel vom The Table fest im Griff. Ehrfürchtige, ernste Mienen in vielen Gesichtern. Und dann dieses gegenseitige Beäugen mit reumütigem Blick, so als wäre es verboten, sich öffentlich dem Genuss hinzugeben. Verboten ist es nicht, aber verpönt nach wie vor. Daran wird also auch Fehlings Tresen nichts ändern. Eine entmutigende Feststellung für jemanden wie mich, der auch so gerne das Genießen der Anderen genießt.
Aber Bekehrung war auch nie Fehlings Mission. Fehlings Mission sind die drei Sterne, und die hat er bereits im Eiltempo wieder erreicht. Das ist nur logisch: Fehlings Küche ist keiner besonders großen Varianz unterworfen. Seit 2012 war ich dreimal bei Fehling zu Gast, zwei Mal im La Belle Epoque und einmal schon im The Table Anfang August. Die Küche hat sich in all der Zeit kaum verändert, und damit meine ich nicht den Stil, sondern Zutaten, Techniken, Geschmacksbilder.
Interessant ist, wie Fehling dies erläutert. Nach seiner Beschreibung kann man bei ihm nämlich alle paar Monate ein deutlich anderes Menü essen. Doch wenn das jemand sagt, dessen Welt im Tausendstel stattfindet, kann man nicht erwarten, dass Jakobsmuschel und Challans-Ente auf einmal durch Kaisergranat und Limousin-Lamm ersetzt werden.
Apropos Produkte. Die stehen bei Fehling erst an zweiter Stelle. Über dem Produkt steht für Fehling das Handwerk: die technische Präzision, die Kombination von Texturen und Aromen. Diese Sichtweise, die Fehling kürzlich auch in einem sehr lesenswerten Artikel in der ZEIT kundgetan hat, muss man als Liebhaber produktorientierter Küche erst einmal sacken lassen.
Und das mache ich am besten noch mal an Fehlings Tisch, denn das letzte Mal im August hatte ich wegen eines Atemwegsinfekts meinen Geschmackssinn zu Hause gelassen. Jetzt also noch mal in ungeschnittener Fassung.
Das Menü beginnt, wie üblich bei Fehling, mit einem baiserartigen kleinen Brötchen. In diesem Fall ein Matjesbrötchen mit Gurke und einer ganz feinen Süße, die elegant mit der Salzigkeit vom Matjes spielt. Bei meinem ersten Besuch im August war das hier noch ein Brötchen mit Tomate und Mozzarella (-Geschmack), und ich habe gedacht: so einfach darf sich ein Koch mit höchsten Ambitionen das eigentlich nicht machen. Jetzt ist immerhin wieder Fisch im Spiel – als erkennbares Produkt –, und es ist technisch und geschmacklich brillant.
Es folgt Fehlings Klassiker Hummer „Thermidor“ in Form eines Zylinders aus hauchdünnem Karottenkrokant. In dem Zylinder, den man im Ganzen verspeist, befinden sich Hummerstückchen und Hummerschaum, obenauf Cognac-Perlen. Am Gaumen ist das recht massig und einen Hauch zu süß. Perfekt konstruiert, aber von jeglicher Natürlichkeit befreit.
Weiter geht’s mit Hamachi „Japanisch“, und dabei handelt es sich nicht nur um große Worte, sondern auch um eine große – großartige – kleine Speise. Ich kenne sie bereits aus dem La Belle Epoque. Algenkrokant, Fenchel, Ponzu und geflämmter Gelbschwanz von makelloser Qualität gehen in diesem handwarmen Arrangement eine perfekte Balance ein und bringen die Anmut japanischer Aromen an meinen Gaumen. Makellos. Einer der wenigen Gänge bei Fehling, die mich wirklich mitreißen.
Das nächste Gericht ist geflämmter Saibling mit seinem Tatar und Kaviar, dazu gibt es einen Sud mit Gin Tonic und Gurke, sowie „geeisten Dillstaub“. Der Fisch ist von exzellenter Qualität, und der Jus – wenngleich stark abgebunden – passt mit seinem frischen Geschmack hervorragend dazu. An dem Tatar habe ich wenig Freude, und auch den eiskalten Staub sollte man sich mit Vorsicht zu Gemüte führen, um den feinen Eigengeschmack des Saiblings nicht zu gefährden. Stünde der Saibling mehr im Fokus, hätte ich noch größere Freude daran.
Das letzte der Amuse-Bouches ist ein Aal-Bun, eine Art gedämpftes chinesisches Brötchen. Die Speise ist angenehm warm (endlich mal!), herzhaft gefüllt und durch Gurke und Ingwer hervorragend kontrastiert. Mir fehlt es am Gaumen an etwas mehr Flüssigkeit, um die Masse des Teigs besser zu kompensieren, aber in Summe ist das ein toller Snack.
Weiter geht es mit Jakobsmuschel „Wiener Art“. Hier findet man roh aufgeschnittene Jakobsmuschel mit Preiselbeeren, Petersilienkresse, Sardellengelee, Kapern und Zitrone. Kleine frittierte Würfel komplettieren die „Wiener Art“. Trotz allen Aufwands kann ich mit diesem Gericht wenig anfangen: rohe Jakobsmuschel hat für mich keinen besonders hohen Genusswert. Die kleinen Perlen, die Fehling im vorherigen Menü noch ganz exzessiv eingesetzt hat, kommen auch hier wieder zum Einsatz.
Das nächste Gericht, Gänseleber „Tom Kha Gai“, ist eine von Fehlings vielen Variationen um das Thema Gänseleber. Diese hier hält sich schon besonders lange in seinem Menü und erfreut sich großer Beliebtheit – allerdings nicht bei mir. Die in eine alberne Form (hier mit indischen Motiven) gepresste Gänseleber, schafft es nicht, sich von ihrem reinen Show-Effekt zu befreien, und das schleimige Garnelentatar finde ich abscheulich. Sehr gelungen ist die pikante aromatische Thai-Paste, aber daraus hätte man eher ein dampfendes Curry kochen und es mit dem hervorragenden Reis servieren sollen, von dem man immerhin schon ein paar Körner auf dem Teller findet. Das ist absolut nicht mein Fall. Ich lasse die Hälfte davon stehen. Fehling nimmt’s gelassen, und wir tauschen uns noch am Tresen ganz offen darüber aus. Sehr sympathisch.
Es folgt eine Bouillabaisse auf drei Arten. Die erste Art ist ein mit roher Bouchotmuschel und Hollandaise gefüllter Zylinder aus Tomatenkrokant, der mich wünschen lässt, sowohl mit rohem Meerestier als auch mit diesen Schäumchenzylindern endlich aufzuhören. Die zweite Art ist – ebenfalls repetitiv – ein macaronähnliches Brötchen, das recht künstlich nach Zitrone schmeckt, und die dritte Art ist dann ein Teller mit überhaupt der ersten größer portionierten, erkennbaren Zutat: sous-vide gegartem Kabeljau. Dazu gibt es erneut rohes Krustentier (hier Carabinero), eine Bouchot-Muschel, Fenchelpüree und Zitronengel. Als Fehling mit dem Kännchen Krustentierjus ankommt, wedele ich mir den Duft in die Nase.
Doch auch dieser dritte Teller ist kaum überzeugend. Zwar ist der Kabeljau ganz hervorragend gegart und von feinster Qualität, doch die Proportion zwischen angegossenem Krustentierjus und den eigentlichen Zutaten ist nicht stimmig. Idealerweise gart bei einer Bouillabaisse der Fisch noch in dem Fond nach, hier jedoch ist nur der Boden benetzt, und das Stück Garnele und die Muschel bleiben weiterhin roh auf dem Teller. Zum Glück ist der Fisch so gut, an den ich mich klammere wie er selbst an einen Angelhaken.
Angenehm anders – geschmacklich und stilistisch – ist dann das Trüffelei genannte Gericht mit wachsweich gekochtem Ei, gehobeltem schwarzem Trüffel, Kalbsgraupen, Shiitake- und Buchenpilzen und Dashi. Die „Mischung aus französischer und japanischer Küche“, wie Fehling das Gericht beschreibt, funktioniert bestens. Keine Perle, kein Schaum, kein Texturgeber, allein hervorragende natürliche Aromen in perfekter Harmonie. Ein Gericht, das man von der Machart eher bei Sven Elverfeld im Aqua verorten würde. Wenn das ein neuer Gang ist, kann ich diese Richtung nur unterstreichen.
Als Hauptgang gibt es, wie häufig bei Fehlings Menüs, Challans-Ente, hier mit Kimchi-Maki (der kleine Gurkenzylinder) und verschiedenen Saucen und Cremes, u. a. Reiscreme und Reisessig-Hollandaise. Die Entenbrust ist von sehr guter Qualität und butterzart, die hauchdünne Kruste ist knusprig, pikant und mit Salz und verschiedenen Pfeffern gewürzt. Die dunkle, sojabetonte Sauce passt auch gut, wenngleich ich hier ein Handwerk auf Fondbasis vermisse. Ein guter, produktbezogener, aber auch etwas „steril“ anmutender Hauptgang.
Das erste Dessert, „Dattel“ mit Lorbeereis, Safranperlen, Kumquat und Hummuscreme kann mich nicht in den Bann ziehen. Die „Dattel“ ist aus einer etwas merkwürdigen, recht trockenen Masse hergestellt, zu der ich gar keinen Bezug aufbauen kann. Das Eis ist gut, der Rest zu viel belangloser Kleinkram. Auch hiervon lasse ich etwas übrig, gerade nach dem großen Stück Ente.
Nur wenig besser ist die „Wundertüte“ mit Lavendel, Blaubeere, Sternanis und Kardamom. Auch diese charmant angerichtete Speise vereint mir viel zu viele unidentifizierbare Massen verschiedener Texturen. Ja, es sind schöne, fruchtige Aromen, sie passen auch gut zusammen, aber meine Strapazierfähgikeit bezüglich stark verfremdeter Zutaten hat ihre Grenze erreicht. Ich fühle mich vollgestopft mit Natriumalginat und Maltodextrin.
Ein Piña-Colada-Macaron mit an sich schönen exotischen Aromen ändert daran wenig, aber der Martini-Cocktail mit Olive ist – trotz weiterer zusatzstofflastiger Komponenten – ausgezeichnet, weil er leicht und frisch ist und die künstlichen Oliven von Fehling dann doch ziemlich gut sind.
Erstaunlich ist, dass die vergleichsweise geringen Änderungen, die Fehling in die Weiterentwicklung seiner Menüs einfließen lässt, zu mitunter recht unterschiedlichen Eindrücken führen können. Das heutige Menü (€ 190) enthielt nach meinem Empfinden deutlich mehr Perlen, Gels und andere seltsame Massen als das letzte Menü in Travemünde.
Unterm Strich bleibt Fehling einer der ganz großen Techniker seiner Zunft, und ich ein ganz großer Liebhaber von produktorientierter, natürlicher Küche. Das passt nicht immer zusammen, aber diesen Konflikt trage ich am Table von Fehling gerne hin und wieder aus.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | The Table Kevin Fehling (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Kevin Fehling |
Ort: | Hamburg, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 19.11.2015 |
Guide Michelin (D 2016): | *** |
Meine Bewertung dieses Essens |