Le Cinq – fünf ist kleiner als zwei
In Paris gab es zuletzt einige Bewegungen von Küchenchefs der großen Drei-Sterne-Häuser. So kocht Yannick Alléno nicht mehr im Le Meurice (dort hat sich inzwischen Alain Ducasse niedergelassen), sondern im Pavillon Ledoyen, wo bisher Christian Le Squer hinter den Töpfen stand. Letzter hat sich seit vergangenem Jahr für das Restaurant Le Cinq verpflichtet, das im luxuriösen Four Seasons Hotel George V untergebracht und mit zwei Sternen im Guide Michelin ausgezeichnet ist.
Ob Le Squer, der zuvor im Ledoyen drei Sterne erkochte – und dessen Küche ich bisher nicht kenne – im Le Cinq nun auch auf höchstem Niveau kocht, bin ich an diesem Abend im Begriff, herauszufinden.
Im Hotel angelangt, wird man freundlich empfangen und zum Restaurant geführt, vorbei an einer Lobby mit Polstermöbeln, Live-Musik und dort zum Aperitif und Snacks eingekehrten Gästen, und schließlich hinein in einen pompösen Speisesaal.
Im Gegensatz zur glanzvollen Pracht eines Le Meurice oder der zurückhaltenden Eleganz des L’Ambroisie wirkt der Saal des Le Cinq recht angestaubt und merkwürdig amerikanisch. Letzteres ist insbesondere den Palmen zuzuschreiben, die man eher in einem pseudo-französischen Restaurant in Miami als in Paris erwarten würde. Gemütlich ist es hier aber allemal, was vor allem an der warmen Beleuchtung liegt.
Als ich mich weiter umsehe, sticht noch ins Auge, dass auffällig viele Zweiertische offenbar die Gelegenheit nicht ausließen, dem Restaurant einen „besonderen Anlass“ kundzutun, vermutlich in der Hoffnung auf solche Extras wie mehrere Handvoll tiefdunkler roter Rosenblätter auf dem Tischtuch. Die Tatsache, dass nahezu jeder Zweiertisch so eingedeckt ist, führt diese Sonderbehandlung schnell ad absurdum. Recht kitschig das Ganze und ganz klar nicht auf europäische Klientel ausgerichtet.
Ebenfalls recht untypisch – und etwas befremdlich – für ein Pariser Luxusrestaurant ist die recht unförmliche Art des Personals. Das ist jetzt etwas schwer zu erklären, bin ich bekanntlich der größte Verfechter von ungezwungenem Service, doch in diesem Fall wirkt die hier an den Tag gelegte Nonchalance auf mich etwas zu flapsig und indiskret. Alle sind sehr zuvorkommend, keine Frage, aber ich vermisse eine Prise Feingefühl, die einen eleganten oder souverän-legeren Service auszeichnen würde.
Alles nur Details, die meine Stimmung keinesfalls beeinträchtigen. Im Gegenteil, ich sehe einem wundervollen Abend entgegen.
Bei der Speisekarte wird es auch wieder klassisch Parisisch: von Bresse-Huhn über Hummer und Steinbutt bis zu Wolfsbarsch – das Ganze bei zwei- bis dreistelligen Preisen – geht hier alles seinen gewohnten Gang. Ein Hauptgang sticht heraus: Spaghetti mit Trüffeln und Rahmmorcheln (Spaghetti en timbale truffé, jambon blanc, morille à peine crémée), mit € 130 eine der teuersten Positionen auf der Karte, wenngleich nicht mit großem Abstand. Das scheinbar einfache Gericht klingt derart verlockend, dass ich lange brauche, um mich am Ende dann doch dagegen zu entscheiden – paradoxerweise, weil ich glaube, dass man mit dem Gericht nicht viel falsch machen kann. Aber auf eine „sichere Bank“ möchte ich hier nicht setzen. Ich bin mit meinen Essgewohnheiten mittlerweile schon an dem Punkt angelangt, an dem ich nicht bestelle, was mir vermutlich am besten schmeckt (das kann man im Voraus ja ohnehin nicht wissen), sondern was die Küche vermutlich am meisten fordert.
Während ich weiter in der Karte stöbere, werden die ersten Amuse-Bouches serviert, unter anderem eine transparente „Blase“ mit Campari-Orange-Anmutung auf einem Löffel, ein Praliné mit flüssiger Himbeerfüllung und – recht konträr zu allem – ein herzhaftes Minitörtchen mit Trüffel. Alles recht apart, aber kein Grund für Freudentränen.
Meine Wahl fällt schließlich auf zwei Gemüse-Entrées und einen Hauptgang. Doch zunächst folgt ein weiteres Amuse mit Auster und Kiwi und einer Art Rettich, eine allenfalls „interessante“, aber nicht beeindruckende Kombination. Kein Vergleich zu den grandiosen Austern vom Mittagessen vor ein paar Stunden in Guy Savoys L’Huîtrade.
Als die erste Vorspeise serviert wird (Asperges vertes tuffés, € 88 (!)), macht sich bei mir sofort Skepsis breit. Warum liegt der Spargel in einer zähflüssigen schwarzen Sauce? Was ist das für ein überportioniertes grünes Eis daneben, und auf was für einer Membran liegt das? Ist das ein Stück Schweinedarm? Milchhaut? Roher Filoteig? Bevor ich meine Gedanken weiter ausführen kann, kommt jemand von rechts und gibt noch einen ordentlichen, an Bauschaum erinnernden, Batzen „Sauce“ an die Spargelspitzen. Ich verspüre einen regelrechten Rettungsinstinkt und befreie die vier kostbaren Stangen schnell aus dem ganzen Gallert – am unteren Tellerrand sind sie in Sicherheit.
Die Spargel sind von exzellenter Qualität, aber leider übergart. Auch das noch. Ich genieße sie so gut es geht, probiere auch etwas von den ganzen halbflüssigen Komponenten – und befinde das gesamte Gericht für eine Zumutung. Als die Spargel verspeist sind, bleibt nur noch ein Schlachtfeld der von mir beiseitegeschobenen und teilweise in sich zusammengefallenen und geschmolzenen Substanzen übrig. Eine Schmach. An dieser Stelle wünschte ich mir Christian Baus so respektvoll, behutsam und geschmacklich meisterhaft zur Geltung gebrachten Spargel von Robert Blanc an den Tisch.
Meine Kritik nimmt der Kellner fast ungläubig zur Kenntnis: Ich sei der erste, der dieses Gericht nicht mögen würde. Als ich mit meiner Begründung präziser werde, fragt er, ob ich Koch sei. Nein, nur Liebhaber guter Küche, erwidere ich – und harre gespannt des nächsten Gangs.
Der Gratinée d’oignons ist mit € 70 das Schnäppchen auf der Karte. Der Spargelschreck sitzt mir zwar noch im Nacken, aber ich setzte Bauklötze auf dieses Gericht, das schon beim Auftischen ein verführerisches, süßlich-röstiges Aroma preisgibt.
Das Gericht ist gut bis sehr gut. Sehr gut, weil gute Produkte hier deutlich zur Geltung gelangen und weil sich das herzhafte Aroma dann auch im Geschmacksbild wiederfindet; „nur“ gut, weil mir trotz der verschiedenen Komponenten Kontraste fehlen. Es ist alles recht weich, schmeckt alles ähnlich, und die gerade mal lauwarme Temperatur fördert das Erlebnis am Gaumen nicht.
Eine Flasche 2001 Château d’Ampuis von E. Guigal bereitet derweil auf der önologischen Seite große Freude. Der ist zwar nicht gerade ein Schnäppchen, aber in diesem Moment genau der richtige Wein.
Beim Hauptgang mussten die verführerisch klingenden Spaghetti meiner letztlichen Entscheidung für Kalbsbries weichen (Noix de ris de veau rissolée, € 110). Dieser kommt in Form eines makellos gerösteten und mit Zitronengras gespickten Stücks auf einer Kräutersauce (jus d’herbes). Das Zitronengras gibt einige seiner zitronig-herben Aromen an das Stück Bries ab, was dem Produkt einen interessanten „Kick“ verleiht. Die grüne Kräutersauce knüpft mit ihrer leichten Bitterkeit gekonnt an diesen Einfall an, aber ich mich nicht dagegen wehren, dass ein perfekt zubereiteter, funkelnder Kalbsjus hier noch besser gepasst hätte. Wenn schon klassisch, dann richtig. In Summe aber auf jeden Fall der erste hervorragende Gang des Abends.
Die Pré-Desserts habe ich beim Schreiben dieser Zeilen schon nicht mehr im Kopf, daraus mag jeder schließen, was er möchte.
Das eigentliche Dessert (Fraises des bois, € 34) ist mit denselben Fauxpas umgesetzt wie der Spargel zu Beginn, hier noch mit dem Unterschied, dass nicht einmal das Hauptprodukt besonders gut ist. Ein Interesse daran, die Unmengen an schaumigen Massen zu konsumieren, welche die Walderdbeeren bedecken, ist meinerseits erneut nicht vorhanden, also räume ich sie konsequent beiseite und picke mir die Erdbeeren heraus. Diese sind genauso begeisternd wie die gähnend langweilige Crème brûlée, auf der sie liegen.
Da ich Christians Le Squers Küche vorher nicht kannte, kann ich nur spekulieren, was hier alles schief läuft. Möglicherweise ist das Team aus dem Le Cinq mit ihrem neuen Chef noch nicht eingespielt, vielleicht muss Le Squer seine Ideen an eine amerikanische Klientel anpassen … An drei Sterne ist in dieser Form überhaupt nicht zu denken, selbst die aktuellen zwei sind für das Essen dieses Abends so übertrieben wie die Saucen auf dem Spargel. Zurück bleibt die beruhigende Gewissheit, dass man in Paris sonst nur besser essen kann. Das ist auch mal ganz erdend.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Le Cinq (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Christian Le Squer |
Ort: | Paris, Frankreich |
Datum dieses Besuchs: | 14.03.2015 |
Guide Michelin (F 2015): | ** |
Meine Bewertung dieses Essens |