In de Wulf – Schweinehirn, irgendjemand?
Man suche sich einen möglichst kompliziert erreichbaren Ort irgendwo auf dem Land, vorzugsweise in den Benelux- oder skandinavischen Ländern, serviere ein aufwändiges Menü in kleinen Gängen, natürlich hyper-regional und mit momentan angesagten Zutaten, lasse den bärtigen, jagenden und Kräuter sammelnden Küchenchef bei einschlägigen Koch-Events auftreten … und dann muss man auch eigentlich gar nicht mehr so lange warten: auf hohe Platzierungen in den World’s 50 Best Restaurants, auf Gäste, auf begeisterte Kritiken und monatelang gefüllte Reservierungsbücher.
So – oder so ähnlich – hat sich in den letzten Jahren ein offenbar verlässliches Gastronomiekonzept entwickelt, das Essbegeisterte aus aller Welt in Heerscharen an solche Orte reisen lässt. Restaurants wie Fäviken Magasinet, L’Air du Temps oder La Grenouillère sind nur einige Beispiele, die in dieses Schema passen. Ob die Küche dann jeweils auch dem Hype standhält, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Üblicherweise zeigt sich der Guide Michelin zunächst unbeeindruckt, sofern er überhaupt Inspektoren in die jeweilige Region schickt. Auch ich bin in der Regel nicht der Erste, der mit den Armen wedelt; große Küche fällt schließlich nicht vom Himmel, und auch gehypte Küchenchefs müssen mehr auftischen können als ein stylishes Restaurant.
Damit sage ich keinesfalls, dass ich an diesen Rahmenbedingungen etwas auszusetzen hätte, denn in der Regel erwartet einen in solchen Restaurants – abgesehen von der Entdeckung neuer Regionen – eine junge, unverkrampfte Küche in legerer, internationaler Atmosphäre.
Also nichts wie auf zum In de Wulf. Dort – das heißt auf einem respektvoll umgebauten Bauernhof im 700-Seelen-Dorf Dranouter im belgischen Flachland – kocht Kobe Desramaults, Jahrgang 1980, der den Betrieb von seinen Eltern übernommen hat.
Mein Weg führt von Vaassen, wo ich mittags im De Leest zum Essen war, über Autobahnen, Landstraßen und Schotterpisten, vorbei an Kühen und Äckern.
Irgendwann komme ich an. Wo ich – geografisch gesehen – bin, weiß ich nicht genau. Nicht etwa, weil mir ein Navigationssystem fehlt, sondern im Gegenteil, weil ich eines habe, das mich mit digitaler Verlässlichkeit hierhin geführt hat. Ein absurdes Neuzeitphänomen.
Ich parke mein Auto und checke ein. Das In de Wulf ist nämlich praktischerweise Restaurant und Hotel in einem.
Die Zimmer sind in hochwertigem Landhausstil gestaltet, alles recht angenehm. Nur die Terrassentür hätte ich vielleicht nicht so lange auflassen sollen: meine Nacht wird kurz und ein Kampf gegen Mücken.
Am frühen Abend nehme ich im Restaurant Platz. Weiß gestrichene Deckenbalken, Lampenschirme mit warmer Beleuchtung, große Holztische: es sieht so aus wie bei Flamant. Eine wohltuende Abwechslung zur deutschen Gastronomie-Einrichtungs-Tristesse.
Und während sich bei uns zulande Gastronomen, auf vergeblicher Suche nach dem ersten Michelin-Stern, noch Gedanken über den Stoff ihrer Tischdecke machen, ist man anderenorts wie immer weiter und konzentriert sich sinnvollerweise lieber aufs Essen.
Das „Menu In de Wulf“ (€ 240 inkl. Weinbegleitung, sonst € 160) beginnt mit ein paar Snacks, die recht ausgefallenen präsentiert werden. Doch auch geschmacklich und qualitativ ist das ein gelungener Einstieg. Im Einzelnen:
Schweinehaut mit Senfpuder und Senf-Mayonnaise. Herzhaft-knusprig!
Was aussieht wie ein Apfelgehäuse an einem Stamm ist in Wahrheit eine gegarte Wellhornschnecke. Dazu gibt es einen Krebs, den man irgendwie auslutscht. (Wie in den meisten kreativen Restaurants ist eine Offenheit gegenüber Neuem von Vorteil.) Die leicht rauchig-salzige Aromenwelt gefällt mir gut!
Der nächste Gang erfüllt mit dem Duft glimmender getrockneter Kräuter (Beifuß) den Raum um meinen Tisch. Der eigentliche Snack ist ein kleines, intensives Stück gepökelte Makrele. Sehr gut.
Es folgt Eigelb mit Radieschen, das ist ganz okay, …
… sowie eine ebenso gute Kreation mit Zucchini und Birne.
Alles nicht großartig, aber der Produktpurismus gefällt mir – dank hochwertiger Zutaten und einfallsreichem Handwerk – sehr gut.
Offiziell beginnt jetzt das eigentliche Menü, doch eine Zäsur ist lediglich in der Speisekarte sichtbar: klein, aber fein, geht es weiter.
Die leicht geräucherte Auster „Grevelingen“, die man mit einer kleinen Holzzange aus ihrer Behausung löst, ist ein riesiges Exemplar. Die Auster ist etwas weniger „jodig“ als üblich und schmeckt wunderbar nach Meer und Möwen, Gischt und Ozean. Ziemlich gut!
Lediglich in Ordnung, d. h. etwas zu puristisch, ist mir Sepia mit Lauch und Kräutern, …
… wohingegen mit dem Rochen ein wundervoll „süffiges“ Gericht an den Tisch gelangt. Zur kleinen Portion des zart gegarten Fischs gibt es eine die Geschmacksnerven kitzelnde Vinaigrette und säuerlich-knackiges Gemüse, ich glaube, Sellerie. Das Niveau zieht etwas an.
Dass ich Muscheln einst skeptisch gegenüber stand, hatte früher – also vor meinen Abstechern in die Spitzengastronomie – immer nur mit Qualitätszweifeln zu tun. Inzwischen wurde ich längst eines besseren belehrt und schätze die riesige Portion exzellenter Miesmuscheln, die jetzt vor mir steht. Ein herrlich unprätentiöser Gang, der mit den Fingern genossen werden will.
Es geht weiter mit Ardenner Wildpilzen, dazu dünn geschnittene frische Haselnüsse. Eine ganz hervorragende Symbiose!
Optisch ähnlich folgt Blumenkohl mit Muschelsauce, ein Teller, den ich viel zu schnell blankputze. Ein gutes Zeichen.
Ganz wunderbar ist dann auch Desmeraults‘ Interpretation eines belgischen Klassikers: Kerremelkstampers. Es handelt sich dabei um eine schaumige Creme, u. a. mit Kartoffel, Buttermilch und Erbsen. Dieses herzhafte Allerlei genießt man einfach so – oder als Dip für die dazu gereichte, makellos gegarte, Ofenkartoffel. Unverschämt gut.
Es folgt ein Gang mit Ente (ohne Foto), den ich fast komplett so stehen lasse, weil mir das Fleisch zu roh ist. Ich habe die Unsitte, halbgares Geflügel zu essen, noch nie verstanden.
An dieser Stelle bieten sich vielleicht ein paar Worte zum Service an. Dieser ist jung und international (ich spreche mit Franzosen, Kanadiern, Belgiern, Amerikanern), aber besonders freundlich geht das hier nicht zu. Eher neutral-distanziert. Und so interessiert es auch niemanden, dass mir dieser Gang nicht gefällt. Eine Alternative wird mir nicht vorgeschlagen. Ich finde so etwas zwar nicht schlimm, aber es zeigt eine gleichgültige Haltung, die ich recht unwirtlich finde. Sei es drum, ich freue mich auf weitere gute Speisen.
Es braucht allerdings jetzt ein bisschen, bis sich das Niveau wieder fängt.
Eine auf einem Schweineschädel präsentierte Tartelette (laut dem Koch, der mir das serviert, „with pig’s brains“, also mit Schweinehirn) schreckt mich nicht ab, begeistert aber auch nicht. Schmeckt wie eine kleine, erkaltete Quiche. Schnell runter damit und ein Schluck von der (mäßigen) Weinbegleitung hinterher.
Als nächstes wird mir eine Taube präsentiert, obwohl ich diese explizit ausgeschlossen hatte (auf zweifache Nachfrage). Ich bin einfach nicht der größte Taubenfreund, aber hier will man mir den Vogel offenbar partout schmackhaft machen.
Ich lehne erneut ab und erhalte dafür, vermutlich als Strafe, zwei Kubikzentimeter eines Fischs mit etwas Brokkoli dazu. Recht dürftig.
Als Käsegang gibt es, für die Region typisch, Flamiche au Maroilles: eine herzhafte, sehr gehaltvolle, Tarte mit Lauch, Sahne und Käse. Gut, aber mächtig (und daher auch entsprechend zurückhaltend portioniert).
Der süße Teil des Abends beginnt dann mit dem besten Gericht des Menüs, einer Creme mit roter Bete und Joghurt sowie etwas Rose. Kühl, erfrischend, aromatisch, wundervoll.
Ebenfalls hervorragend ist ein Dessert mit ganz junger Gurke und Sauerampfer, das ebenfalls Süße und Frische exzellent zusammenbringt.
Den Abschluss des Menüs bildet eine in einem ausgehölten Apfel servierte Kreation mit Birne und Bärenklau. Geradezu genial passt dazu das Bier „Oude Geuze“ der belgischen Brauerei Oud Beersel. Beeindruckend abgestimmt und – als Abschluss eines Menüs – erfrischend anders!
Ebenfalls gut: die Schokolade zum Kaffee.
Es war – sowohl kulinarisch als auch gastronomisch – eine etwas holprige Reise, aber einige teils wohltuend andersartigen Genussmomente verleihen diesem Restaurant einen Hauch von Denkwürdigkeit. Man muss hier nicht hin, aber man kann. Und das ist gut so.
Informationen zu diesem Besuch | ||
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Restaurant: | In de Wulf (→ Website) | |
Chef de Cuisine: | Kobe Desramaults | |
Ort: | Dranouter, Belgien | |
Datum dieses Besuchs: | 02.10.2014 | |
Guide Michelin (BE/LUX 2014): | * | |
Meine Bewertung dieses Essens |