Victor’s Gourmet-Restaurant Schloss Berg – haben Sie ein Alibi?
Hamburg. Ich sitze im Auto in meiner Garage und programmiere das Navigationssystem für die bevorstehende Route. Selbstverständlich ist das Restaurant mit dem holprigen Namen (und falschem Apostroph) Victor’s Gourmet-Restaurant Schloss Berg als Sonderziel auswählbar. Ein kurzer Informationstext dazu lautet: „Der Küchenstil des Restaurants ist Französisch. Das Restaurant befindet sich in einem Hotel.“
Ich frage mich, auf wie viele Hunderte Restaurants ein solch allgemeiner Text wohl allein in Deutschland zutrifft, dabei hätte gerade dieses Restaurant eine Differenzierung verdient, z. B.: „Der unverwechselbare Küchenstil des Restaurants ist Französisch mit japanischen Einflüssen. Das Restaurant befindet sich in einem kleinen Renaissance-Schloss an der Obermosel.“
Ein vollständiges Bild erhält wahrlich nur derjenige, der sich auf den Weg macht zum kleinen Grenzort Nennig – zwischen Deutschland, Luxemburg und Frankreich – und sich dort in die Hände begibt von Christian und Yildiz Bau, die das Hotelrestaurant seit 1998 in geradezu familiärer Weise führen. Es ist nicht ungewöhnlich, auch mal die kulinarisch schon äußerst versierten Töchter hier umherschwirren zu sehen, denen niemand so leicht etwas vormacht, wenn es ums Essen geht. Männer, zieht euch warm an. Euren Lieblingsitaliener könnt Ihr alleine besuchen.
Dreieinhalb Jahre ist mein letzter Besuch hier schon her, aber ich erinnere mich noch immer lebhaft an die kulinarische Reise des damaligen Winters. Und auch, wenn ich gerade bekanntlich nicht so sehr auf der Suche nach komplexen Gerichten bin, die mir im Ambiente eines Schlosses serviert werden, ist es Zeit für eine Auffrischung. Denn, so weiß ich noch von damals, der Genuss hier ist alles andere als kompliziert und förmlich.
Absichtlich früh – um 19 Uhr schon – sitze ich dann am Tisch des gemütlichen Schlosszimmers, wohl wissend, dass ich nicht einmal daran denken muss (und will), vor Mitternacht meinen Platz zu verlassen. (Es wird fast drei Uhr …)
Der „Voyage Culinaire“, auf den man sich in verschiedenen Größen einlassen kann (z. B. komplett für € 210), beginnt mit einem „Prolog“ aus sechs aufwändigen Kleinigkeiten, die bereits einen Großteil des Stils und des Könnens von Christian Bau zusammenfassen.
Eher klassisch von der Aromatik sind z. B. das Cornet mit Bio-Ox und Räucherfrischcrème und die Gänseleber mit Café, Nuss und roten Früchten. Letztere ist eine ganz wunderbare Foie-Gras-Kreation, bei der sich selbst dann größtmöglicher Genuss einstellt, wenn man dieser Hauptzutat etwas überdrüssig geworden ist; eine köstliche Haselnuss und ein raffiniertes Spiel mit Temperaturen und „Knusper“ sei Dank.
Chawanmushi mit Schnecken und Chinesischem Schnittlauch, eine herrlich süffige Kleinigkeit, spielt dann bereits etwas mit fernöstlichen Einflüssen, wohingegen das „kleine ‚Japanische Meer‘“ die japanisch beeinflusste (aber nicht dominierte) Stilistik Baus am treffendsten wiedergibt. Schon beim ersten Probieren gewinne ich dieser elegant säurebetonten Speise eine Assoziation zum Ozean ab – und da habe ich noch nicht einmal den Namen des Gerichts gelesen. Eine geradezu atemberaubende Vielfalt an Zutaten zeichnet für diesen Eindruck verantwortlich, nämlich Stabmuscheln, Herzmuscheln, Gillardeau-Austern, Fjördshrimps, Austernwasserperlen, Ponzuschaum, Shiso-Yuzusorbet, Enokipilze, Austernkresse und Meerwassertapioka!
Wie man das alles in derart hervorragender Qualität an die Obermosel bekommt und in geschätzten zehn Kubikzentimetern Raum zu einem kleinen Meisterwerk verarbeitet, ist eine ganz andere Frage, die man als genießender Gast allerdings nicht beantworten, sondern nur erleben muss.
Wer Mittelmäßiges sucht, ist auch bei den anderen Amuse-Bouches ganz falsch, z. B. beim hervorragenden mallorquinischen Gamba mit Joghurt und Karotte, der sogar mich wieder zum Garnelenfreund macht – dann aber bitte nur so hervorragend umgesetzt wie hier, wo der behutsame Einsatz von Curry, dazu Joghurt als Frischepol, sowie hauchdünnen, knusprigen Karottenscheiben die Aromareise mal eben kurz in Richtung Orient gehen lässt. Ganz ohne sich zu verzetteln, versteht sich.
Zum Reinlegen ist auch der leicht geräucherte Lachs mit Gemüsepickles und Austernemulsion. Was für eine Rohstoffqualität!
Dieser „Prolog“ (dessen Servierreihenfolge eigentlich 1–4–5–6–2–3 gemäß meiner Beschreibung ist) wäre in etwas größerer Portionierung bereits ein komplettes Menü auf höchstem kulinarischem Niveau. Ich kenne kein einziges Restaurant, das derart aufwändige, durchdachte und dabei so durchgehend wohlschmeckende Gerichte als Auftakt eines Menüs serviert. Das Aqua kommt dem recht nah, gerade auch in Hinblick auf die präzise Ausführung, muss sich aber in der Gesamtbetrachtung diesbezüglich hinten anstellen.
Wer „eigentlich keine Weinbegleitungen mag“, dem lege ich die Weinbegleitung von Rieslingkoryphäe Daniel Kiowski ans Herz, der über einen ganz beachtlichen Schatz an Moselrieslingen (und anderen Kreszenzen) wacht und darüber so leidenschaftlich erzählen kann wie ich über Essen.
Nach ungefähr einer Stunde gelangt der erste Gang an den Tisch, Taschenkrebs/ „éffiloché“ [das bezeichnet das „fransige“ Fleisch] und Knusper / Buttermilch-Dashi / Gartengurke. Dieses Gericht besticht durch seine außergewöhnliche Frische und eine qualitativ herausragende Hauptzutat. Der großzügig portionierte Kaviar fügt dem Ganzen eine willkommene Salzigkeit hinzu, geht aber etwas im Gesamtkontext etwas unter. Mit Kaviar zu würzen macht das Gericht jedoch nicht weniger exzellent. Und wer berät Herrn Bau eigentlich künstlerisch? Sehen die Gerichte nicht alle wundervoll aus?
Aber sobald man glaubt, man hätte den Stil der Gerichte nun halbwegs verinnerlicht, schlägt Bau einen Haken und präsentiert so etwas Puristisches wie die nächsten beiden Gänge.
Ein Sashimi von der Japanischen Gelflossenmakrele mit Bergamotte und „Crispy Ginger“ versetzt mich auf einen Schlag zurück nach Japan; nicht nur wegen der schlichten Ästhetik des Tellers – und damit meine ich sowohl das Geschirr als auch die Komposition. Am Gaumen dann Ungläubigkeit hinsichtlich der Möglichkeit, derartigen Fisch in Deutschland zu beschaffen, und dann folgt nur noch Schwelgerei.
Auch Gang drei (drei erst!) ist grandios. Der grüne Spargel von Robert Blanc – einem der berühmtesten Spargellieferanten aus der Provence – ist bereits von Natur aus ein Meisterwerk. Mit einer nicht zu verbessernden Hollandaise mit eleganten Zitrusnoten, dazu Misokaramell und Gewürzsumach, der für ein leichtes Säurespiel sorgt, gelangt das Produkt hier in seiner ganzen Pracht zur Geltung. Wunderbar. Und die à part gereichte Hollandaise löffle ich natürlich restlos aus.
„Langoustine³“, so der Titel des nächsten Streichs, überzeugt durch einen erneut hervorragenden Protagonisten, zu dem sich einiges an Gemüse gesellt, sowie Macadamia und verschiedene Zitrusfrüchte. Eine betonte Salzigkeit des Gerichts ist so präzise gewichtet, dass man meinen könnte, der Zufall sei am Werk – doch mitnichten! Kiowski serviert dazu einen fast dreißig Jahre alten Riesling Kabinett „Oberemmeler Hütte“ vom Weingut Von Hövel, der erstaunlicherweise eine ähnliche Salzigkeit und Mineralität mitbringt und damit kongenial auf den Teller abgestimmt ist. Verblüfft fiebere ich dem weiteren Verlauf des Menüs entgegen.
Weiter geht die Reise dann mit Heilbutt aus Skandinavien (perfekt gegart), dazu Aubergine, Soba (Milchhaut) und glasiertem Räucheraal; danach Steinbutt mit Blumenkohl, „Buddha’s Hand“ (Zitronatzitrone) und einem hervorragenden Austern-Schnittlauchsud, leicht aufgeschäumt, und insgesamt an Gischt erinnernd. Beide Gänge eine Wucht.
Und Fleisch kann er auch! Aber das war mir nicht neu. Es gibt ja Menschen, die mehrmals im Jahr in so genannte Steakhäuser einkehren. Sie sollten das Geld lieber aus dem Fenster schmeißen (dann freuen sich Andere, die vielleicht Sinnvolleres damit tun), oder alles in ein Sparschwein stecken, um dann so etwas zu probieren wie das auf Holzkohle gegrillte US-Prime-Beef.
Es ist nussig gereift, wird u. a. mit kleinen Artischocken serviert, die sonst eigentlich nur Alain Ducasse so hinbekommt, Walnuss-Parmesan und einem Trüffeljus. Das ist einer der besten Fleischgänge, die mir je serviert wurden. Ein schnörkelloser Hochgenuss.
Und wenn ich schon mal dabei bin, probiere ich gleich noch den Eifeler Rehrücken mit Zwiebelchen, Pfefferkirschen und Eisenkraut. Fabelhaft.
Mit einer angenehmen kleinen Pause macht sich dann die Patisserie ans Werk, nämlich mit einer Sweet Bento Box genannten Folge gleich mehrerer süßer Kreationen.
Den Anfang macht Mascarpone / Mango & Kokos / Rote Shiso-Infusion, ein Dessert, das so farbenfroh und exotisch-aromatisch ist wie ein Karibikurlaub. Es folgt Rote Bete / Pistazie / Cassis, dem ich etwas weniger abgewinnen kann, bevor Beeren / Calpico / Sake / Limone wieder vollends durch intensiven Beerengeschmack begeistert.
Die letzten Teller, die an diesem Abend aus der Küche kommen, sind Schokolade / Erdnuss / Karamell, eine Art dekonstruierter „Snickers“-Schokoriegel in richtig gut, gefolgt von „Sweeties“ mit dem Hinweis „mehrteilig“.
Es ist kaum zu glauben, was Christian Bau und seine (überschaubare) Mannschaft hier auf die Beine stellen. Das Menü heute war eines der besten, die ich in Deutschland je genießen konnte. Es ist überhaupt eine der beeindruckendsten kulinarischen Darbietungen. Die Rohstoffe suchen hierzulande ihresgleichen; das Handwerk ist von einer unglaublichen, durchgängigen Perfektion; die Gerichte ausnahmslos hervorragend und wohlschmeckend; der Stil abwechslungsreich und kurzweilig, von klassisch bis modern, aber niemals abgehoben oder experimentell. Mit anderen Worten: gewaltig.
Dass heute auch nur ein einziger Tisch unbesetzt war (es waren leider sogar einige) ist ein regelrechter Skandal. Sie, werter Leser, wo waren Sie letzten Donnerstag? Und gibt es dafür Zeugen? Wenn Sie kein stichhaltiges Alibi vorlegen können, schulden Sie Ihrem Gaumen – und dem Team auf Schloss Berg – einen baldigen Besuch.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Victor’s Gourmet-Restaurant Schloss Berg (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Christian Bau |
Ort: | Nennig, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 22.05.2014 |
Guide Michelin (D 2014): | *** |
Meine Bewertung dieses Essens |