Haerlin vs. Jacobs – eine Momentaufnahme

Die beiden Spitzenrestaurants in meiner Heimatstadt besuche ich schon seit Jahren regelmäßig und verfolge damit auch zwangsläufig ihre Entwicklung. Meine diversen Berichte über die Häuser, die jeweils ihre starken wie auch ihre schwachen Momente hatten, kann man hier und hier nachlesen.

Da ich um die Jahreswende erneut beide Restaurants besucht habe, nutze ich die Gelegenheit einer kurzen Momentaufnahme.

Ambiente

Das Haerlin und das Jacobs Restaurant sind beides Hotelrestaurants der noblen Traditionshäuser Fairmont Hotel Vier Jahreszeiten bzw. Hotel Louis C. Jacob. In den letzten Jahren haben beide Restaurants ihr Interieur deutlich entschlackt und sich von Wandteppichen und ähnlich angestaubtem Dekor verabschiedet.

Im Speisesaal des Jacobs wird nun eine zurückhaltende, fast schon karge hanseatische Eleganz gelebt; im Haerlin geht es inzwischen etwas weltläufiger – aber dafür auch weniger authentisch – zu. Dort sorgen gelungen voneinander separierte Tische und eine stimmungsvolle Beleuchtung für eindeutig mehr Gemütlichkeit und Intimität als die helle Festsaalbeleuchtung an der Elbe. 1:0 für das Haerlin, das dafür seit allerneuestem auch als einziges Restaurant in ganz Deutschland mit fünf roten Bestecken im Michelin geführt wird – die allerhöchste Bewertung für Ausstattung und Komfort.

Doch wehe, es ist Sommer … Dann ist die pittoreske Lindenterrasse an der Elbchaussee nämlich das schönste Fleckchen für ein Essen in Hamburg. 1:1!

Gäste

Das Hotel Jacob ist und bleibt ein Hotel an der Elbchaussee mit seiner entsprechenden Klientel. Reeder, Reederssöhne und der typische Hamburger Pfeffersack sind hier häufig anzutreffen. Bei meinem Besuch am 3.1. war die flüsterleise, von Besteckklappern und ernsten Mienen dominierte Stimmung so beklemmend, dass ich am liebsten gegangen wäre. Das ist natürlich nicht immer so, aber zumindest ist die Wahrscheinlichkeit, auf ein solches Szenario zu treffen, hier deutlich erhöht.

Im Grandhotel an der Alster kehrt natürlich auch ab und an der Hamburger Pfeffersack ein, doch in Summe ist das Publikum bunter, weil internationaler. Dies übt sich sofort positiv auf die Stimmung aus, denn nur der Deutsche versteht es, aus gutem Essen an einem schön gedeckten Tisch eine ernste Angelegenheit zu machen. Weniger Deutsche bedeutet also weniger Ernsthaftigkeit und mehr Spaß beim Essen! 2:1 fürs Haerlin.

Speise- und Weinangebot

Beide Restaurants bieten mehrere Menüs, die man völlig flexibel kombinieren kann. Diese gelungene Verzahnung von Menü und dennoch A-la-carte-Auswahl gefällt mir in beiden Häusern gut. Die Preise sind ebenfalls ähnlich – so um die 150 Euro sind pro Kopf für ein ausgiebiges Mahl fällig. Gleichstand beim Menükonzept und damit 3:2.

Bezüglich der Weine sind insbesondere beim Haerlin erfreuliche Beobachtungen zu machen: die Preise wurden spürbar verringert. So ist die überwiegende Anzahl der Flaschen dort mittlerweile im zweistelligen Bereich angesiedelt. Das ist gut fürs Portemonnaie, für die Bestelllaune – und ebenfalls ein Schritt in Richtung mehr Weltoffenheit. Das Haerlin liegt mit 4:2 vorn.

Doch abseits der Preise hält die in Teilen noch immer von meinem Freund und Master Sommelier Hendrik Thoma geprägte – und inzwischen von Markus Berlinghof souverän weitergeführte – Weinkarte einige feinere Tröpfchen für die ebenso feinen Kehlen der Elbklientel parat. Den hochwertigeren und umfangreicheren Weinkeller hat definitiv das Jacobs. Es steht demnach 4:3.

Das Essen

Um es gleich vorweg zu nehmen: einen eindeutigen Gewinner gibt es hier nicht. Das ist auch zu erwarten, denn die Gemeinsamkeiten sind frappierend. Beide Küchen sind – ebenfalls gemeinsam seit 2011 – mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet; die Küchenstile sowohl von Christoph Rüffer als auch von Thomas Martin sind klassisch französisch geprägt; und auch die Zutaten sind austauschbar.

Müsste ich mich bei einem Urteil nur auf meinen jeweils aktuellsten Besuch beschränken, hätte jedoch derzeit das Team vom Jacobs leicht die Nase vorn.

Hier waren zwar zunächst einige Gänge, wie Finkenwerder Gemüse mit Aprikose, Arganöl und roh marinierterHeilbutt mit Dashi, Baumpapaya, Avocado geschmacklich etwas gleichförmig und wenig spannend, doch mit einer fabelhaften Samtsuppe von weißen Zwiebeln mit Trompetenpilzen und Artischocke und dem Übergang zum noch besseren auf der Haut gebratenen Loup de Mer mit Apfel, Weißkohl und Sellerie sowie einem hervorragenden Flank Steak vom Grill mit einer herrlich dekadenten Béarnaise, Spinat und Kartoffel überzeugt Thomas Martin auf ganzer Linie mit Produktnähe, Wohlgeschmack und nahezu makellosem Küchenhandwerk.

Gerade bei den Fonds, Jus und Saucen bleibt die Küche an der Elbe Spitzenreiter und muss dabei auch keinen internationalen Vergleich scheuen. Mir gefallen die Gerichte Martins am besten, je näher er an seiner klassischen Basis arbeitet.

Bei meinem kürzlichen Besuch im Haerlin dagegen ließ das Team um Christoph Rüffer zum ersten Mal seit Längerem die Souveränität und Geschmacksvielfalt vermissen, die mich bisher dort so häufig begeistert hat.

So bot ein roh marinierter Kaisergranat mit Meerrettich, roten Randen und Himbeergeléeein Krustentier von eher gewöhnlicher Qualität (das auch seltsam verloren an den Rand des Gerichts gerückt wurde), sowie – im Mittelpunkt des Tellers – einen breiigen Mischmasch aus Schäumchen, Saucenklecksen, Gelees und rohem Meerestier.

Beim Wolfsbarsch mit knuspriger Haut, Rosenkohlcrème und gebundenem Rotkohlsaft irritierte mich der Einsatz von Vanilleöl, das aufgrund seines dominanten Aromas und einer unpassenden Süße eher deplatziert war. Und auch dem Zweierlei vom Irischen Weideochsen mit Petersilie, geschmortem Wintergemüse in Trompetenpilzjus konnte ich nichts abgewinnen. Das Fleisch (beide Zubereitungen) war mager und fad, die wenigen Gemüse bedeutungslos, und es fehlte an Salz.

Aufgrund meiner vergangenen Besuche im Haerlin weiß ich, dass Enttäuschungen dieser Art hier sonst eigentlich nicht zu erwarten sind – aber schade ist es dennoch um die fünfhundert Euro dieses Abends.

An diesen letzten Erfahrungen gemessen, herrscht damit in dieser Partie mit 4:4 ein Unentschieden.

Fazit

Wer in Hamburg auf hohem Niveau essen gehen möchte, kommt an diesen Restaurants nicht vorbei. Ob die Lindenterrasse im Sommer oder ein Platz mit Alsterblick – beide Restaurants haben ihren jeweiligen Charakter und bieten unterschiedliche Szenarien für unterschiedliche Launen und Anlässe.

Ich selbst werde den besternten Restaurants in Hamburg in nächster Zeit jedoch etwas mehr den Rücken zuwenden. Der ewig gleiche Ablauf, die fortwährend gleichen Zutaten, die Käse- und Pralinenwagen, das festliche Ambiente, die überwiegend älteren Gäste … Da fahre ich künftig lieber schnell nach Berlin oder entfliehe kurz in ein Atelier von Robuchon nach London oder Paris. Hamburg ist „das Tor zur Welt“, aber die Welt beginnt dahinter – vor allem gastronomisch.

Nachtrag

Oktober 2014: Im Laufe des Jahres hat sich viel getan. Christoph Rüffer hat sich im Haerlin inzwischen uneinholbar an die Spitze der Hamburger Restaurants gekocht. Ich war in den letzten Monaten mehrmals dort, leider sind (noch) alle Besuche ohne Bericht (Bewertung aller Essen 8/10). Diese Spitzenposition in Hamburg sollte auch im Guide Michelin 2015 reflektiert werden. In knapp zwei Wochen wissen wir mehr!

Informationen zu diesen Besuchen
Restaurant: Haerlin (→ Website)
Chef de Cuisine: Christoph Rüffer
Ort: Hamburg, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 26.12.2013
Guide Michelin (D 2014): **
Meine Bewertung dieses Essens 7 (Was bedeutet das?)
Restaurant: Jacobs Restaurant (→ Website)
Chef de Cuisine: Thomas Martin
Ort: Hamburg, Deutschland
Datum dieses Besuchs: 03.01.2014
Guide Michelin (D 2014): **
Meine Bewertung dieses Essens 7 (Was bedeutet das?)