Eden Rock Saint Barths – eine Klasse für sich
Ab und zu, man glaubt es kaum, unternehme auch ich Reisen, die nicht in erster Linie dem Thema Essen gewidmet sind. Einfach mal „nichts“ tun, den Kopf frei bekommen und entspannen. Die französische Karibik ist ein traumhaftes Fleckchen, um genau diesem Vorhaben nachzugehen. Denn abgesehen von angenehmem Klima, Sonne, Sand und kristallklarem Meer ist man hier nach wie vor in Frankreich und gelangt in den Genuss des entsprechenden savoir-vivre, bei Rum und Zikaden. Das ist ein großer Unterschied zu vermeintlich ähnlichen Fernzielen wie Malediven, Seychellen und Co., wo außerhalb des Hotels entweder schon der Ozean beginnt oder ein Entwicklungsland.
Im April reiste ich so für gute zehn Tage auf die Insel Saint-Barthélemy (im englischsprachigen Raum meist Saint Barths genannt). Die Wahl auf das „Relais & Châteaux“-Hotel Eden Rock fiel nicht besonders schwer. Dass die beiden Hotelrestaurants Sand Bar und On The Rocks unter der Leitung von Küchenchef Jean-Georges Vongerichten stehen, empfand ich zudem als angenehmen Wink mit dem Zaunpfahl, mich dort niederzulassen. Irgendwas mit Michelin-Sternen hatte das Ganze dann also doch zu tun; außerdem gibt es auf der Insel einige weitere Möglichkeiten, zum Essen einzukehren.
Beruhigt wegen all dieser Aussichten überquerte ich mit Air France entspannt den Atlantik. In der Classe Affaires stellt sich den Herausforderungen eines schmackhaften Bord-Essens Michel Roth, „Bocuse d’Or“-Gewinner und Küchenchef im L’Espadon (zwei Sterne) im Hotel Ritz in Paris.
Es gibt als Vorspeise Lachsrolle mit Crumble, Entenpastete, Babyspinat und Radieschen (alles unappetitlich), als Hauptgang wähle ich aus drei Optionen Tilapia schonend gegart mit Curry-Ingwer-Reis, Yamswurzelpüree und Kokosmilch (durchaus essbar). Dazu gibt es noch einen ganz ordentlichen Käseteller und ein paar einfache, aber ehrliche Weine, z. B. einen 2011 Saint-Véran von Joseph Drouhin oder einen 2007Château Haut Condissas.Nach dem spektakulären Landeanflug auf die ziemlich marode Insel Saint-Martin und der Weiterreise zur Nachbarinsel Saint Barths erreiche ich schließlich das Hotel Eden Rock.
Das auf und um einen Felsvorsprung erschlossene Hotel empfängt einen mit einer atemberaubenden Kulisse, überwiegend entspanntem Personal und genau dem französisch-karibischen Zauber, den ich mir erhofft hatte, zu finden. Und was ich hier in den folgenden Tagen alles erlebte, ist teilweise so denkwürdig, dass ich es meinen Lesern nicht vorenthalten möchte.
Durch die Verkettung einiger interessanter Umstände lernte ich das Hotel und seine Eigentümer auf eine sehr persönliche Art kennen. Ich erhielt Einblicke in eine unglaubliche Welt – und in den Teil einer fesselnden Lebensgeschichte der Gastgeber Jane und David Matthews, die es sich mit scheinbar unbegrenzten Mitteln zur Lebensaufgabe gemacht haben, einen der exklusivsten Rückzugsorte dieses Planten zu erschaffen. Doch die Pläne weiten sich aus, mit Freund Richard Branson unterhält man sich zuweilen auch schon mal über Reisen zum Mars.
Das britische Ehepaar erwarb das Anwesen 1995 zunächst als Eigenheim für die Familie, es wurde später um eine Strandbar erweitert, und heute, durch weitere Akquisitionen, ist es ein Hotel mit 12 Zimmern und 21 Villen.
Und eigentlich – und das ist der Kern der Faszination Eden Rock – ist das ganze Hotel immer noch Eigenheim der Familie Matthews. Jane ist Künstlerin und Inneneinrichterin, Unternehmer David ein britischer Lebemann aus dem Buche, mit Charaktergesicht, abgewetztem Poloshirt und Tennisschuhen, und sich niemals zu schade für irgendeine Tätigkeit. Man erlebt ihn mit welken Palmenblättern in der Hand genauso wie beim Mittagessen mit, vermutlich, Milliardären. Trotzdem im Poloshirt und immer mit Stil.
Wenn die Matthews nicht gerade in einem ihrer anderer Anwesen produktiv sind, z. B. in einer der aktuellsten Errungenschaften Glen Affric Estate in Schottland, sind sie häufig hier im Eden Rock. Wenn es mal ausgebucht ist, dann geht man eben zu Freunden. Und wenn doch Platz ist, wohnt man gerne in einer der 21 Villen.
Und hätte ich nicht durch die bereits erwähnten Irrungen die Gelegenheit bekommen, gleich zwei dieser Villen selbst zu sehen und zu erleben, wäre diese Geschichte eine andere. Sie wäre eine Geschichte über ein sehr schönes Hotel in exklusiver Lage, mit maßlos überteuerten Restaurants und amerikanischen Thirty-somethings, die am Strand Cristal Rosé und Dom Pérignon bestellen und die eigentliche Geschichte, die David und Jane mit diesem Anwesen erzählen, gar nicht sehen.
Meine Geschichte ist eine andere. Als ich einen Tag lang die „Villa Rockstar“ bewohnte, die aktuellste Schöpfung der Matthews im Eden Rock, schnappte ich mir irgendwann aus einem der vielen Kühlschränke eine Flasche Chassagne-Montrachet, öffnete diese mit einem Kellnermesser, setzte mich an den riesigen U-förmigen Küchentresen im Eingangsbereich der Villa und starrte stundenlang hinaus durch die gigantische Fensterfront auf die Rasenfläche, den Pool, den Strand, das Meer, solange bis es dämmerte.
Dabei hätte ich in dem 1.500 Quadratmeter großen Areal ganz andere Sachen machen können: Kissenschlachten in einem der vier oben gelegenen, individuell eingerichteten Schlafzimmer mit den Namen Freddy Mercury, Lennon, Dylan und Marley;
ich hätte alle Badewannen, Whirlpools und Duschen gleichzeitig verwenden können, Musikanlagen laut aufdrehen und mich auf dem Ledersessel in einem der Badezimmer drehen und dabei versuchen können, die kleinen Mosaikkacheln an den Wänden zu zählen.
Ich hätte die riesigen Wandschränke aufreißen, die geschmackvollen Sturmlichter herausholen und draußen aufbauen können. Ich hätte mehrere, sich hinter Wandschränken offenbarenden Bars plündern oder mir für einen Spontanausflug das Mini Cabrio schnappen können, das auf einmal hinter irgendeiner Tür stand.
Oder ich hätte mir, die Treppe runter, einen Film im eigenen Kino ansehen oder gleich ein ganzes Musikalbum aufnehmen können, im eigenen Tonstudio mit dem Mischpult, auf dem John Lennon „Imagine“ aufgenommen hat und das jetzt an einen Mac angeschlossen ist.
Ich hätte alle Welt sofort anrufen können, dass ich gerade die Villa bewohne, aus der Tage zuvor Bill Gates ausgecheckt hat und die mit fünfundzwanzigtausend Euro pro Tag zu Buche schlägt.
All das habe ich nicht gemacht. Aber die Möglichkeit, all das zu tun, und – noch viel mehr – die Möglichkeit, jemandem solche Möglichkeiten zu bieten, hat mich berührt, angespornt und so in den Bann gezogen wie es keine Suite eines noch so prunkvollen Grandhotels jemals könnte.
Die Tage danach verbrachte ich dann wieder im bescheideneren, aber auch mit viel Liebe zum Detail eingerichteten Garden Room, dann allerdings weniger im Zimmer als am Strand und in den Restaurants, für die ja mit Jean-Georges Vongerichten immerhin ein Küchenchef von Weltruf mit seinem Namen einsteht. Er sei auch recht häufig hier zu Besuch, so hörte ich, gerne jeweils ein paar Wochen am Stück. Offenbar sieht er in der Zeit jedoch nicht allzu sehr nach dem Rechten, denn die Speisen sind nur in preislicher Hinsicht Spitzenklasse.
Das abends geöffnete und auf dem Felsen errichtete Restaurant On The Rocks bietet ohne Zweifel eine atemberaubende Kulisse. Es ist ein perfekter Ort, um zum Aperitif den Sonnenuntergang zu beobachten und dann entspannt zu dinieren. Natürlich bin ich während meines Aufenthalts mehrmals hier, äußerst gerne sogar. Dennoch ist das Essen dort immer ein Biss in den sauren Apfel.
Die teilweise zu Preisen wie in einem Zwei-Sterne-Restaurant angebotenen Gerichte sind größtenteils Mittelmaß, z. B. ein viel zu trockener Vivaneau (Red Snapper) (€ 29 zzgl. mehrerer Beilagen zwischen € 9 und € 18) oder ein auch recht schwaches Filet de Bœuf (€ 36 zzgl. Beilagen).
Ein paar gute bis sehr gute Treffer kann man aber landen, z. B. mit einem pikant-frischen Salat mit Tomate, Mango und Avocado (€ 23) oder einem saftigen Mahi-mahi mit Süße-Zwiebel-Vinagirette, grünen Bohnen und Pistazien (€ 38).
Empfehlenswerter ist die tagsüber geöffnete Sand Bar, bei der man jedoch auch erst ein paar hundert Euro Lehrgeld zahlen muss, bevor man weiß, was es sich nach einem vormittäglichen Bad in Sonne und Meer zu bestellen lohnt.
Für mich entdeckt habe ich irgendwann die frisch-säuerlichen Romanasalatherzen mit Erbsen, Parmesan und Vinagirette (€ 23) und als Nachtisch eine wirklich sternewürdige Crême brûlée mit Banane (€ 15). Zum Lehrgeld zählten u. a. eine trockene, kleine Pizza mit Kirschtomaten, Rauke und Parmesan (€ 25!) und eine ebenso trockene gegrillte Languste mit Oregano, Chili und Zitrone (€ 40 für ein 400-Gramm-Exemplar). Die Tiere werden quasi direkt vor der Tür aus dem Wasser geholt, da sollte man sich eigentlich andere Qualitäten erhoffen können.
Dies ist schon meine dritte Erfahrung mit Restaurants von Vongerichten, die nicht zu überschwänglich ausfällt. In New York vor einigen Jahren hinterließ ein Lunch im Drei-Sterne-Tempel Jean Georges einen eher faden Nachgeschmack (kein Bericht), seine Mercer Kitchen macht etwas mehr Spaß, doch auf die großartigen Speisen dieses Chefs warte ich noch immer.
Erfreulicherweise bot Saint Barths für abends einige interessante Alternativen. Meine Berichte folgen.
Doch unabhängig von dem Essen, das trotz meiner Kritik vermutlich den meisten Gästen hier gefällt, ist das Eden Rock eine eigene Klasse von Unterkunft, die auf ihrem Felsen über den restlichen Luxushotels dieser Welt thront. Es ist die Tür ins Leben einer Familie, die sich die schönen Dinge des Lebens zur Berufung gemacht hat und diese mit anderen teilt. Danke dafür! Mein Aufenthalt hat sich eingebrannt wie ein selten grandioses Gericht. So schließen sich die Kreise.