La Mer – Kopfsalat mit Schokolade
Schneematsch, Regen, kalter Wind: Was auch immer der Dezember zu bieten haben wird, habe ich mich vorsichtshalber ein paar Tage im Grand Spa Resort A-ROSA Sylt eingebucht. Hier in List, dem nördlichsten Ort Deutschlands, findet man ein modernes Luxushotel vor, bei dem Entspannung und Genuss an der Tagesordnung stehen. So habe ich es zumindest gehört.
Tatsächlich beginnt das Wohlfühlerlebnis bereits beim herzlichen Empfang im Hotel, setzt sich fort in einem der ansprechendsten und großzügigsten Wellnessbereiche, die ich je gesehen habe (mit spektakulärem Meerwasser-Swimmingpool mit Außenbecken), und mündet dann am ersten Abend in einer Reservierung im Zwei-Sterne-Restaurant La Mer. Irgendwie muss man seinen Energiehaushalt ja wieder ausgleichen.
Das La Mer befindet sich im Erdgeschoss der Hotelanlage und ist in eine auch im Dunkeln eindrucksvolle Dünenlandschaft eingebettet. Direkt hinter den bodenhohen Fenstern beleuchten Scheinwerfer die begrasten Sandhügel und schaffen eine surreale, gemütliche Atmosphäre. Der Speisesaal ist in dezenten, beruhigenden Erdtönen gehalten und wirkt elegant und modern. Die großzügig bemessenen Abstände der Tische bieten den Essern eine ungestörte Privatsphäre.
Auf der auch grafisch ansprechend gestalteten Speisekarte stehen verschiedene Menüs zur Auswahl. Ich entscheide mich für die „Empfehlung von Sebastian Zier“ (€ 145) mit ein paar Abweichungen und bin gespannt, was der Abend an kulinarischen Überraschungen bieten wird. Von Beginn an ist der Service entspannt und professionell.
Es geht los mit zwei kleinen Snacks, die schnell verputzt sind. Romanasalat, Whiskey Sour, Erdnuss und Grapefruit spielen da eine Rolle. Das schmeckt alles sehr gut; die Kleckse aus der Spritztüte finde ich optisch allerdings wenig ansprechend.
Bei der im Anschluss servierten Brot- und Butterauswahl leidet die Qualität bedauerlicherweise unter der Quantität. Ein warmes Stück Brot und eine gute Butter, die beide so süchtig machen, dass man sich aus Versehen schon vor dem Essen satt isst – das würde völlig reichen. Stattdessen findet man jeweils fünf mäßige Brot- und Buttersorten, von deren 25 Kombinationsmöglichkeiten keine wirklich zufriedenstellend ist. Das finde ich in diesem Moment zwar nicht besonders tragisch, doch wundere ich mich manchmal über derartige Nachlässigkeiten.
Ein weiteres Amuse mit confierter Wachtel, Petersilie, Kartoffel und Walnuss knüpft an die aromatisch gelungenen Snacks an. Herzhaft, fein säuerlich – schmeckt ausgezeichnet.
Der erste Gang des Menüs mutet optisch wie ein Dessert an, ist aber Lachsforelle in Harmonie mit Joghurt, Granatapfel und Pumpernickel. Und wie das harmoniert! Das Zusammenspiel von Leichtigkeit, natürlichem Fettgehalt des Lachses und Erfrischung funktioniert bestens.
Mich erwischt das La Mer zwar gerade in einer Phase des Überdrusses an „kleinteiligen“ Küchenstilen (im Gegensatz zu einer stärker produktfokussierten Küche mit weniger Komponenten), doch ist aromatisch und qualitativ bisher alles einwandfrei und der Abend vergnüglich. Also weiter so!
Ungestopfte Bio-Gänseleber trifft Tomate und Hagebutte liest sich der Titel des nächsten Gangs. Ich bahne mir meinen Weg durch das aufwändig präparierte Gericht, kombiniere, probiere, sinniere. Das ist zwar alles durchaus stimmig, aber dann doch etwas zu viel „gebastelt“ und dadurch leider etwas emotionsarm.
Das Blatt wendet sich mit Flusskrebsen auf Blumenkohl mit Karotte, Erbse und Krustentierbisque. Ein wunderbares Gericht! Salzig, nussig, „kürbisig“, pikant, mutig – und die Bisque ist hervorragend. Eine moderne Kombination trifft auf makellose und unverzichtbare Klassik.
Ebenfalls ein großes Ausrufezeichen setzen gebratene Jakobsmuscheln mit Chorizoschaum, Estragoneis und Limonenstampf. Auch hier steht eine exzellente Sauce (die zum Glück eher Sauce als „Schaum“ ist) als Bindeglied aller Zutaten im Mittelpunkt. Die Muscheln sind makellos gebraten, und eine leichte Schärfe sowie Aromen aus der Thai-Küche spielen neckisch mit den Geschmacksnerven. Hervorragend!
Kalb mal anders mit Filet, Kalbskopf im Brick, Kalbsbacken-Ravioli und Kalbsbries verliert sich etwas. Zwar ist das in Summe schön süffig, aber mir fehlt hier der Fokus auf ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Zubereitung.
Das Reh mit Vogelbeerpüree und Kürbis an Wacholderrahmsauce trumpft dagegen mit einem grandiosen Produkt auf. Das Reh zergeht am Gaumen wie Butter. Und obwohl es genau die Art von Highlight ist, die ich im vorherigen Gericht suchte, ist in diesem Fall der Rest der Komposition etwas verhalten. Ich wünsche mir etwas Fleur de Sel zu dem Fleisch, bringe diesen frivolen Wunsch jedoch nicht zum Ausdruck.
Wir kommen zum süßen Teil des Abends, für den Patissier Christian Hümbs verantwortlich zeichnet. Hümbs – Anfang dreißig, zurückhaltend, freundlich – ist derzeit fast bekannter als Küchenchef Sebastian Zier. Warum seine Bekanntheit gerechtfertigt ist, demonstriert eindrucksvoll das erste Dessert, Kopfsalat, weiße Schokolade, Gurke und Passionsfrucht.
Regelmäßige Leser meiner Beiträge wissen, dass ich Desserts mit Gemüse eher kritisch gegenüber stehe, da diese häufig das Bedürfnis des Essers nach Süßem missachten. Nicht so in diesem Fall! Absolut hervorragend ist die schwierig in Worte zu kleidende Harmonie aller Zutaten. Kopfsalat und Schokolade; Gurke und Passionsfrucht? Das klingt forciert andersartig, ist aber das genaue Gegenteil. Die Kombination ist derart ausgewogen und „Dessert-geeignet“ wie es nicht viele Desserts sind. Eine gekonnte, den Horizont erweiternde – und wahrhaftige – Süßspeise.
Das nächste Dessert, „Wintergarten“: Koriander mit Joghurt, grünem Apfel und Macadamianuss, könnte optisch auch gut eine Hauptspeise von Christian Bau sein. Dennoch ist auch diese Kreation zweifelsfrei als Dessert einzuordnen – auch als sehr gutes Dessert, doch leider bin ich mit der Vielzahl an Komponenten inzwischen etwas überfordert.
Deutlich fokussierter ist dann wieder Rotes Kraut und weiße Schokolade, das ein sehr harmonisches Dessert ist und die Zutat Rotkohl in ein völlig neues Licht rückt. Beeindruckend gut!
Den Abschluss des Menüs bildet Schokolade mit Altländer Apfel und Buchweizen, ein ansprechend schokoladiges Dessert.
Und auch das wird nicht das letzte Dessert sein, das ich von Hümbs während meines Aufenthalts in diesem Haus probieren werde. Auch im sehr guten asiatischen Restaurant Spices sowie im rustikalen La Cucina della Mamma lässt sich Hümbs nicht nehmen, jeweils einen kleinen, süßen Gruß reinzureichen – jedes Mal dem Küchenstil angepasst und äußerst willkommen!
In Summe war dies ein vergnüglicher Abend auf kulinarisch hohem Niveau, und es ist keine Frage, dass man bei einem Aufenthalt in diesem Wohlfühlhotel auch einen Abend im La Mer einplanen sollte. Dennoch: Meine grundsätzliche Affinität zu einer stärker produktfokussierten Küche mit weniger Zutaten wird umso deutlicher, je häufiger ich solche vielteiligen Gerichte koste. Ich kann irgendwann diese gefrorenen Kügelchen nicht mehr sehen, die gezupften Kräuter und Blättchen, die Schwämme, die Würfelchen und die hauchdünn gerollten Scheibchen. Wenn nicht eine sublime Zutat im Mittelpunkt steht, sondern eine komplexe Komposition aus unterschiedlichen Komponenten mit wiederum unterschiedlichen Texturen und Temperaturen, der man im Menü einen Fantasietitel geben muss, weil es keine Hauptzutat gibt, wird es auch umso schwieriger, das Gericht in Erinnerung zu behalten. Anstatt sich an „den Wolfsbarsch“ oder „die Steinpilze“ zu erinnern, muss man Gedanken bemühen wie: „Das Gericht damals mit Gurke, Limone und irgendeinem Stampf war ziemlich gut – was war das noch mal?“
Dies ist jedoch keine Kritik am La Mer selbst, sondern eine allgemeine und persönliche Erkenntnis, die rein zufällig jetzt besonders in mir zum Vorschein kommt.
Aber das Gericht mit den Jakobsmuscheln, dem Chorizoschaum und irgendeinem Stampf war wirklich ziemlich gut! Und dieses Gurkendessert mit Kopfsalat und Schokolade auch.
Informationen zu diesem Besuch | |
---|---|
Restaurant: | La Mer (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Sebastian Zier |
Ort: | List/Sylt, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 13.12.2012 |
Guide Michelin (D 2013): | ** |
Meine Bewertung dieses Essens |