Waterside Inn – ein Denkmal an der Themse
Das Waterside Inn ist das einzige Restaurant außerhalb Frankreichs, das schon über 25 Jahre mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet ist. Seit 1992 kocht hier Alain Roux, der das Restaurant von seinem Vater übernahm.
Der Laden brummt. Überall schwirren Kellner umher, die irgendetwas einschenken, auftischen oder anrichten. Der Teppich ist rot, die Sitzbänke grün, und die Stühle sehen so aus wie die von IKEA, die ich vor Jahren entsorgt habe. In der Mitte des vorderen Speisesaals steht eine große Anrichte mit einer Entenpresse, daneben bestellte Weine und Wasserflaschen der Gäste. Ein Château Haut-Brion wurde gerade geöffnet.
Auf das Ambiente treffen viele Adjektive zu: altbacken, überladen, schräg. Einzigartig ist es in jedem Fall. Leider ist von der angeblich schönen Wasserlage an der Themse an diesem dunklen Winterabend nichts zu erkennen. Sei es drum; das bunte Treiben erfordert bereits Aufmerksamkeit genug.
Während ich mit einem Glas Laurent-Perrier (£ 19!) in meiner Sitzbank versinke, versuche ich staunend, die vielen Reize zu verarbeiten. Der Geräuschpegel hier ist so laut ist wie in einem Pub. In Deutschland wäre es in einem solchen Drei-Sterne-Haus mucksmäuschenstill, doch hier in England schämt man sich ganz offensichtlich nicht dafür, in ausgelassener Gesellschaft dem Genuss zu frönen. Gut so!
Die Karte liest sich wie ein Rezeptbuch von Paul Bocuse – und das nicht nur, weil die Gerichte hauptsächlich auf Französisch dort stehen. Foie Gras, Hummer, Wild, Geflügel, Soufflés… Leicht ist anders. Ich entscheide mich für das „Menu Exceptionnel“ zu £ 152,50 (da hat jemand offenbar messerscharf kalkuliert).
Recht zügig geht es dann auch schon los mit einem Teller voller Gebäck. Wie man es den Kleinigkeiten schon ansieht, sind sie trocken, schwer und lieblos. Ich muss etwas schmunzeln: das ist so dermaßen old school, dass es schon fast wieder hip ist. Aber nur fast. Mehr als ein paar Bissen muss man sich davon nicht antun.
Ein weiteres amuse folgt in Form einer Kürbissuppe mit Ente und Haselnuss. Das ist sehr ordentlich zubereitet, aber auch nicht das letzte Wort in Sachen Kürbissuppe.
Der erst Gang wird serviert. Es handelt sich dabei um, ich zitiere die Karte, Crémeux de parmesan à la truffe et cornes de gatte, accompagné d’une allumette feuilleté aux amandes, d. h. eine getrüffelte Parmesamcreme mit ebenfalls getrüffelten Kartoffelscheibchen und ein bisschen Alibi-Grünzeugs. Das schmeckt eigentlich ziemlich gut und ist perfekt abgeschmeckt; lediglich die erneute Gebäckstange erweckt nicht mein Interesse.
Es folgt die Escalope de foie gras chaude à la cardamome, racines glacées, sauce au verjus et raisins de Smyrne. Wenn man ein solches Gericht servieren möchte, dann sollte man es genauso tun wie hier. Die gebratene Gänseleber ist von hervorragender Qualität und hat einen betörenden Schmelz, die Sauce und alle weiteren Komponenten passen vortrefflich dazu. Das ist große Klassik, wie man sie wirklich kaum noch irgendwo findet. So langsam, ganz langsam, komme ich hier an.
Die Tronçonnette de homard poêlée minute au porto blanc ist ein Gedicht von einem ausgelöstem Hummer und einem dichten, aromatischen Hummerjus, der beinahe schon zu intensiv ist. Aber eben nur beinahe. Schön, dass man so etwas noch irgendwo bekommt. Das erdet einen richtig.
Der Hauptgang setzt die Reise in die Vergangenheit fort. Duo de gibier de saison, subric de potiron et champignons sauvages d’épinards, sauce poivrade ist ein mächtiges, aber feines Wildgericht, das man sich so am Küchentisch eines Jägers vorstellen könnte. Ohne jeglichen Firlefanz steht hier ein hervorragendes Produkt (gebraten und geschmort/gefüllt) im Vordergrund, und auch hier ist die Sauce meisterhaft. Leider ist das Kürbispüree etwas pappig und die gesamte Komposition ziemlich mächtig.
Ein zunächst unscheinbares Sorbet dient als Übergang zu den Desserts und ist überraschend gut! Erfrischend, limonig, auf den Punkt.
Die Desserts – eine „Schokoladenträne“ mit Karamell und exotischen Früchten (Larme de chocolat lacté au caramel, cœur de mangue et fruits de la passion) sowie ein Soufflé (Soufflé chaud à l’orange et airelles) – sind geeignete Repräsentanten ihrer jeweiligen Art, aber einfach auch ein bisschen langweilig.
Und wer jetzt immer noch Appetit hat, für den gibt’s zum Abschluss noch ein paar üppige Petitessen, z. B. Schweineohren oder ein Canelé.
Mit gemischten Gefühlen sinke zurück in meine Sitzbank, gesättigt und immer noch etwas sprachlos von dem quirligen Trubel hier. Ich bin ein großer Freund der traditionellen französischen Küche (die ich hier so traditionell überhaupt nicht erwartet hätte), doch wirklich großartig war das Essen nicht. Auch in der klassischen Küche ist aromatisch, handwerklich und qualitativ mehr möglich als heute Abend auf den Tellern war.
So ist für mich das Waterside Inn – neben Paul Bocuse und der Auberge de l’Ill – ein weiteres ultra-traditionelles Drei-Sterne-Restaurant, bei dem die Höchstnote vielleicht eher als Denkmalschutz zu verstehen ist.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Waterside Inn (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Alain Roux |
Ort: | Bray, Großbritannien |
Datum dieses Besuchs: | 22.11.2012 |
Guide Michelin (GB/IRL 2013): | *** |
Meine Bewertung dieses Essens |