The Hinds Head – typisch undeutsch
Nirgends ist die Berührungsangst vor Sternerestaurants so groß wie in Deutschland, zumindest was den „normalen Esser“ betrifft. Es ist ihm auch nicht übel zu nehmen, denn in keinem anderen Land liegen Michelin-Sterne und Formalität so dicht beieinander wie hier. Das liegt jedoch mitnichten daran, dass die werten Inspektoren des Guide mit zweierlei Maß messen würden, sondern an dem hierzulande nur sehr vereinzelt ausgeprägten Bedürfnis für gute Produktqualität.
Sehr gute Küche zu fairen Preisen in ungezwungener Atmosphäre – das sind, in Kombination, die schwierigsten Anforderungen an einen Restaurantbesuch in Deutschland, gerade in den Großstädten.
Verlässt man das Land, ändert sich das schlagartig. Simple Ecklokale mit Stern, Restaurants fast ohne Servicepersonal mit zwei Sternen und Tresenrestaurants mit drei Sternen sind keine Ausnahmen, sondern Normalität. Da wundert es einen auch nicht, dass der deutsche Begriff „Sternerestaurant“ in anderen Sprachen gar nicht existiert. Starred restaurant oder restaurant étoilé kann man zwar sagen, doch würde kein jeweiliger Muttersprachler damit gleich formales Essengehen verbinden – ganz im Gegenteil.
Kein Wunder, wenn es solche Lokale wie The Hinds Head in Bray gibt. In diesem urigen Restaurant, gleich neben dem The Fat Duck – und auch ersinnt von Heston Blumenthal – speist man einfach (und) wunderbar.
Mein Mittagessen überbrückt die Zeit zur Reservierung im Waterside Inn am Abend. Ich beginne mit der Pea and Ham Soup (£ 7,50!), dazu gibt es hervorragendes Weißbrot, ebenso gute Butter und einen simplen, aber sehr gut passenden 2011er Chardonnay(Lychgate White, Bolney Wine Estate)aus Sussex, England (das Glas für £ 6,80). Wenn schon urig und lokal, dann richtig.
Die Suppe ist ein Genuss! Cremig, „erbisg“, herzhaft, dazu das gute Brot und die Butter – herrlich.
Im Anschluss wähle ich den Hinds Head Tea-smoked Salmon with Soda Bread (£ 9,50). Auch dieser Teller ist einfach und sehr gut. Der Lachs überzeugt durch vorbildliche Qualität (Fettgehalt) und ein angenehmes, nicht aufdringliches Räucheraroma. Dazu begleitet mich ein offener 2011er Viognier von Delas Frères, Pays d’Oc (£ 6,70).
Mein Mittagessen geht weiter mit einem ziemlich üppig portionierten Hauptgang, Veal Chop, Cabbage with Onion, Sauce “Reform” (£ 29,50). Das Fleisch ist makellos gegrillt und wird mit einer säuerlich-herzhaften Sauce serviert. Ausgezeichnet!
Und um möglichst viele Impressionen mitzunehmen, lasse ich mir das Dessert nicht nehmen und wähle die verlockend klingende Chocolate Tart with Vanilla Ice Cream (£ 7,25). Man schmeckt die hohe Qualität der Schokolade – etwas herb und nicht zu süß –; das Vanilleeis dazu ist eines der besten, die ich je auf dem Teller hatte. So möchte ich häufiger essen können.
Wehmütig (weil ich solche Restaurants zu Hause nicht finde), beschwingt (weil ich solche Restaurants hier finde) und alles andere als leichtfüßig, spaziere ich zum Hotel zurück. Der kleine Marsch wird mir guttun. In fünfeinhalb Stunden geht es weiter.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | The Hinds Head (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Kevin Love |
Ort: | Bray, Großbritannien |
Datum dieses Besuchs: | 12.11.2012 |
Guide Michelin (GB/IRL 2013): | * |
Meine Bewertung dieses Essens |