Ein Essen in der Lufthansa First Class – erstklassig?
Gerade wenn man allein reist und dabei besonders großen Wert auf Komfort und Privatsphäre legt, ist ein Flugticket in der First Class das Nonplusultra – das nötige Budget oder Meilenkonto vorausgesetzt. Die Kabine in diesem Airbus A330-300 auf meinem Weg von Frankfurt nach New York (LH 400) ist zwar von der Ausstattung her ziemlich in die Jahre gekommen, doch die ungefähr fünf Fensterreihen Platz pro Sitz sorgen für Entspannung vom Start bis zur Landung, ganz ohne Sitznachbarn.
Während man noch am Boden vom hektischen Boarding im hinteren Teil der Maschine nichts mitbekommt, kann man hier schon mal etwas Champagner trinken, um eventuelle Reisenervosität abzulegen. Und natürlich, um zu inspizieren, welche großen Gewächse hier kredenzt werden. Dom Pérignon vielleicht? Krug? Cristal? Alles falsch. Der Champagner erreicht mich bereits eingeschenkt im Glas, dazu ein paar Macadamia-Nüsse. Erst auf Nachfrage zeigt man mir die Flasche. Es ist ein La Cuvée „D“ de Devaux. Nie gehört, nie gesehen.
Um eines gleich klarzustellen: der Champagner ist gut, aber bei einem Flugpreis von vielen tausend Euro will man hier Etiketten sehen, die man kennt. Das mag dekadent sein – und natürlich völlig unsachlich – doch man sitzt nun mal nicht bei einer Weinprobe von Nischenerzeugern.
Eine gute Dreiviertelstunde später und sechsunddreißigtausend Fuß höher werden großformatige Menü- und Weinkarten verteilt. Zwei deutsche, in Bangkok tätige, Köche – Thomas und Mathias Sühring – schreiben darin in einer viel zu langen Einleitung über „kulinarisches Bewusstsein“, „Respekt vor Produkten“ und „regionalen Zutaten“ und einem in diesem Sinn konzipierten Menü. Ich frage mich, was man sich unter „regional“ vorstellen soll – in einem sich mit nahezu Schallgeschwindigkeit bewegenden Flugzeug, von deutschen Köchen, die in Thailand arbeiten. Ich bin auf jeden Fall gespannt, ob sich die genannten Ansprüche – unter den widrigen gustatorischen Bedingungen einer Flugzeugkabine – in dem Essen wiederfinden werden.
Anstelle dieser ausladenden Prosa hätte man beispielsweise der grafischen Gestaltung des eigentlichen Menüs etwas mehr Aufmerksamkeit widmen können. Da sind über ein Dutzend Speisen aufgelistet, unterteilt in Vorspeisen, Salat/Suppe, Hauptspeisen und Käse/Dessert. Ob – und wenn ja, was – davon ausgewählt werden muss, wird nicht klar (es ist nur die Hauptspeise).
Die Weinkarte ist eine große Mogelpackung. Großformatig wie eine Tageszeitung bietet diese in erster Linie viel Text und wenig Wein. Pro Kategorie sind hier ungefähr zwei bis vier Weine gelistet, allesamt aus der Kategorie „anständig bis sehr gut“ – aber eben nicht erstklassig. Am besten ausgewählt, zwischen mittelmäßigen Burgundern, ebensolchen Bordeaux und einem australischen Shiraz, ist vermutlich noch der 2010 Grüner Veltliner Smaragd Pichlpoint von der Domäne Wachau.
Das Menü beginnt dann mit einem kleinen Amuse-Bouche mit Ziegenkäse und Tomate, dazu Pesto Genovese. Der Snack ist kräftig gewürzt, leider viel zu kalt und dadurch auch ziemlich zäh. Gleichwohl spricht er mit seinen Umami- und salzigen Aromen genau die Grundgeschmacksrichtungen an, für die man in dieser trockenen Luft noch am ehesten empfänglich ist.
Ein wenig später werden die Variationen von Hors d’œuvres serviert. Die Stewardess ist dabei nicht besonders herzlich und macht einen überwiegend teilnahmslosen Eindruck. Vielleicht hat sie einen schlechten Tag. Das ist zwar menschlich, aber dennoch nicht first class.
Der Flug ist – trotz angekündigten starken Jetstreams – ruhig, der Ausblick auf die sich vollkommen in ihrem Element befindenden Tragflächen und auf das Wolkenmeer darunter jedes Mal aufs Neue faszinierend. Die Vorspeisen gelangen in einer Etagere an den inzwischen eingedeckten Platz. Es gibt konfierte Riesengarnelen mit Palmherzen, Minze, Limone und Vanille; Thaisalat mit gebratener Wachtelbrust und Tamarindensauce sowie Pomelosalat mit Cashewkernen und mildem Chili.
Mit ausgetrockneten Schleimhäuten mache ich mich an die Verkostung. Das grundsätzliche Problem hier oben ist, dass feine Aromen (eben solche, die in der Nase wahrgenommen werden), hier kaum zur Geltung kommen. Dies sollte eine gute Flugzeugküche versuchen, zu berücksichtigen. So kommen die Limone- und Minznoten bei den (zu kalten und harten) Scampi gut zum Vorschein, eine würzige Sauce bei der (ebenfalls zu kalten und very well done gegarten) Wachtelbrust ebenfalls, doch beim Pomelosalat schmecke ich nichts – außerdem ist die Textur etwas merkwürdig.
Erfreulicherweise ganz hervorragend funktioniert hier oben die Geschmackswahrnehmung von Kaviar mit traditionellen Beilagen (Ei und Zwiebeln). Die Salzigkeit und Nussigkeit der Fischeier kommen gut zur Geltung. Das kann man sich bei einem weiteren Glas Champagner schon ganz ordentlich schmecken lassen. Hier ist man nicht zimperlich, Nachschlag inklusive.
Wir verlassen gerade den europäischen Kontinent in ungefähr westnordwestlicher Richtung.
Ein Süppchen von Parmigiano-Reggiano-Käse mit gerösteten Croutons wird als Zwischengang gereicht. Auch das kann man sich schmecken lassen; Röst- und Käsearomen kommen klar zur Geltung.
Als Hauptgang wähle ich sautiertes Rinderfilet in Austernsauce mit jungem Gemüse und Jasminreis, dazu einen 2006 Mudflat Shiraz von Peter Lehmann Wines aus dem Barossa Valley. Der Reis kommt in einem kleinen Paket. Das Fleisch ist vollkommen durchgegart und zäh, doch vermute ich, dass eine Mischung aus Lebensmittelsicherheit und den beschränkten Kochmöglichkeiten an Bord kaum andere Zubereitungen gestattet. Zartrosa sollte man sein Fleisch hier wohl nicht erwarten. Auch bei diesem Gericht hilft eine kräftige Sauce über die sonst faden Aromen hinweg.
Jetzt ist etwas Schlafenszeit vorgesehen – nicht gerade meine Spezialität im Flug, doch der Liegesitz, der Wein und die Sättigung wirken Wunder und lassen fünf Stunden im Fluge vergehen.
Erst danach – wir haben nun Grönland hinter uns gelassen und steuern auf die Ostküste des amerikanischen Kontinents zu – werden Dessert und Käse serviert. Die Käseauswahl ist in Ordnung, der Shiraz passt hierzu wieder ganz gut. Danach wähle ich noch ein paar kleine Kuchen, die verhältnismäßig gut sind, dazu einen Cappuccino.
Es ist angenehm, so lange Zeit im Flugzeug mit Essen und Trinken verbringen zu können. Ich hatte wirklich das Gefühl, den ganzen Flug über nur dies getan zu haben. Das stimmt mich schon mal gut auf die folgenden fünf Tage in New York ein, bei der nicht weniger als einundzwanzig Michelin-Sterne auf meiner Agenda stehen.
Wir landen.
Doch so entspannt dieser Flug war, habe ich erhebliche Kritikpunkte. Wer First bucht, erwartet Erstklassiges. Erstklassig geschulten Service, erstklassige Getränke, erstklassiges Essen. Das alles wurde auf diesem Flug nicht geboten. Es gab mittelmäßiges Essen, mittelprächtige Weine, dasselbe Wasser aus Plastikflaschen wie in der Economy-Klasse und einen „funktionierenden“ Service. Auch die endlosen Texte der Wein- und Menükarte interessieren vermutlich niemanden. Das ist zwar alles ausreichend, um einen entspannten Flug zu haben, aber für eine First Class ein viel zu niedriger Anspruch.
Durch all dies gewinnt man den Eindruck, in einer „Mittelklasse“ – also in der Business Class – zu sitzen. Hier sehe ich hohes Verbesserungspotenzial bei der Linie mit dem gelben Kranich. Ich fliege trotzdem gern mit LH. Bis die Tage.