Tourniert: Nomas Erben
Das Restaurant Noma hat in der Gastronomie und Kulinarik weltweit Spuren hinterlassen und war maßgeblich an der Entwicklung der modernen nordischen Küche beteiligt. Von einem radikalen Fokus auf Regionalität und Saisonalität über innovative Techniken wie Fermentation und Trocknung bis zur natürlichen Tellerästhetik und einer lockeren Atmosphäre in der gehobenen Gastronomie – vieles davon hat das Noma geprägt.
Diverse ehemalige Mitarbeiter und andere Mitwirkende des Noma sind inzwischen eigene Wege gegangen, um das Erbe ihres ehemaligen Arbeitgebers weiterzuführen und gleichzeitig ihre eigene kulinarische Identität zu entwickeln. Einige, wie Relæ, 108 und Barr, habe ich bereits besucht (wenn auch insgesamt mit wenig Begeisterung). Zwei weitere, Kødbyens Fiskebar und POPL rahmen einen aktuellen Wochenendtrip ein, der hauptsächlich dem Drei-Sterne-Restaurant Jordnær gewidmet ist.
POPL, Kopenhagen
Dass das Restaurant »poppel« ausgesprochen wird (abgeleitet vom lateinischen Wort »populus«), sollte man im deutschen Sprachraum vielleicht vorwegschicken. Das POPL befindet sich im Stadtteil Christianshavn, nicht weit vom ursprünglichen Standort des Noma entfernt.
Das Restaurant startete während der Pandemie als Burger-Popup und wird von einem Team ehemaliger und auch aktueller Noma-Mitarbeiter geführt.
Während einen von außen einen eine urbane Gastro-Atmosphäre anspringt, sieht es innen eher nach Mensa aus. Aber wir haben einen guten, etwas separierten Tisch im Eingangsbereich.
Knusprige, frittierte Fjord-Shrimps (115 DKK, ca. 15 €) mit Habanero, Rosensalz und Zitronenabrieb eröffnen den Abend angenehm lässig, mit feiner Schärfe und mediterraner Zitrusfrische (6,9/10); ein Schälchen mit dänischen Tomaten, Dashi »RDX«, Beeren, Pinienkernen und Kräutern (ca. 14 €) verblüfft mit feinen floralen Aromen und umami-intensiven Tomaten (7,5/10). Das hohe kulinarische Niveau ermahnt einen, das POPL nicht nur als Burgerrestaurant zu verstehen.
Den Burger, immerhin die Spezialität des Lokals, gibt es wahlweise als vegetarische Variante mit Quinoa-Tempeh oder als klassischen Cheeseburger mit Rind, roten Zwiebeln und Cheddar (ca. 20 €). Die saftigen Fleisch-Patties werden mit verschiedenen fermentierten Flüssigkeiten traktiert, unter anderem mit Rinder-Garum, die das Umami des Fleischs erhöhen – alles Errungenschaften aus dem Noma. Die Buns sind fluffig und buttrig; der Burger wirkt damit so wolkig-weich wie ein Marshmallow. Zwiebeln, eine Mayonnaise und Käse steigern den fleischigen Genuss. Für einen Burger ist das sehr gut. (6,9/10)
Einen Snack mit knackig-frischem Wirsing, anregend säurebetonter Hefe-Vinaigrette und leicht pikanter Rettichsauce wurde (ca. 14 €) von der Küche zusätzlich mit Kaviar veredelt, der mit seiner nussigen Salzigkeit perfekt zum Kohl passt. Das ist schon Spitzenniveau. (8/10)
Wir probieren noch weitere Kleinigkeiten – alle gut bis sehr gut –, und zum Schluss noch ein leider viel zu wässriges Kakigori (ca. 14 €, 6/10) sowie einen etwas fehlinterpretierten Baba au Rhum (ca. 20 €) mit deutlich zu viel Rum, etwas zu trockenem Teig, aber überraschend aromatischen Blüten (6,5/10).
Die Weinkarte des POPL ist kompakt und folgt konsequent einem »naturnahen« Konzept, mit größtenteils moderaten, zweistelligen Preisen. Insgesamt erlebte ich einen kurzweiligen und kulinarisch interessanten Abend, begleitet von einem engagierten, jungen und sehr freundlichen Serviceteam. Häufig blitzte auch kulinarische Komplexität auf. Zu einem Restaurant, das seinen Burger in den Mittelpunkt des Konzepts stellt und dennoch eine solche Vielfalt bietet, wirkt das alles zwar etwas zweigleisig, aber wäre ich öfter in Kopenhagen, wäre ich sicher auf öfter im POPL.
Kødbyens Fiskebar, Kopenhagen
Kødbyen, der »Meatpacking District« von Kopenhagen, ist ein historisches Areal, das früher hauptsächlich der Fleischverarbeitung und dem Handel diente.
Heute hat sich das Gebiet zu einem angesagten Ort für Gastronomie, Kunst und Kultur entwickelt, nicht zuletzt wegen der von Nomas ehemaligem Sommelier Anders Selmer gegründeten Fiskebar.
In lockerem Ambiente gibt es hier alles, was das Seafoodherz begehrt. Wir beginnen am Tisch mit einem 2020er Beaune »Les Bressandes« von Frédéric Cossard (1150 DKK, ca. 154 €), der sich leider mit einer provozierenden Säure zeigt und sich auch nach einer Weile im Glas nicht entspannt, und einer Portion Kys-Austern »No. 6« (6 Stk. ca. 30 €). Die sind naturgemäß von guter Qualität, aber etwas zu warm. Für ein Restaurant, das auf solche Zutaten spezialisiert ist, ist das merkwürdig. (6,5/10)
Die drei nächsten Kleinigkeiten bereiten mehr Freude. Fjord-Shrimps mit Aioli (ca. 17 €) knüpfen perfekt an den vergleichbaren Garnelenspaß aus dem POPL an – hier noch mit etwas mehr Umami wegen der gut gewürzten, leichten Knoblauchsauce (6,9/10). Ein Tagesgericht mit Makrele und einer nicht näher notierten, fruchtig-pikanten Sauce ist ebenfalls sehr gut, dürfte aber erneut eine Nuance kühler sein (6,5/10).
Dieses Manko zieht sich leider fort, durch einen Gang mit gehaltvoller Forelle und dazu etwas ungeschickt wirkenden Blüten (ca. 23 €, 6/10), über ein pures Thunfisch-Sashimi (ca. 30 €, 6,5/10) bis zu aromatischen Tomaten mit Algen und Forellenrogen (6,5/10, ca. 19 €). Alles ist gut, aber alles einige Grad zu warm, so, als stünden die Gänge zu lange am Pass. Das ist etwas schade in Anbetracht des Potenzials der offenkundig sehr guten Zutaten, die hier verwendet werden.
Knackige Erbsen mit Käse und Dill müssen sich qualitativ nicht verstecken (6,9/10), und Fish’n’Chips mit mild geräuchertem Kabeljau dient zum Schluss noch mal als unkomplizierter, aber nicht weiter auffälliger Sättigungsgang (6/10).
Es ist die letzte laue Spätsommernacht in diesem ausklingenden nordeuropäischen Sommer, und der große Platz, der Kødbyen, ist voll von Gastronomie und hungrigen, ausgelassen wirkenden Gästen. Der nächste Wein, ein 2018er Vosne-Romanée von René Engel (ca. 295 €) besiegelt dann endgültig dieses kulinarisch intensive Wochenende.