Spago – »Cut!«
Wolfgang Puck ist seit Jahrzehnten einer der bekanntesten Gastronomen der USA. Mit seinem Restaurant-Imperium beschäftigt der gebürtige Österreicher und Wahl-Kalifornier tausende Mitarbeiter, von Hawaii über Istanbul bis Singapur. Das Restaurant Spago im mondänen Beverly Hills – es gibt noch andere Filialen – ist sein Aushängeschild. Es ist eine Ikone der Restaurant-Szene von Los Angeles.
Unzählige Prominente – aus Showbusiness, Politik, Gastronomie, Kunst und Kultur – waren hier schon zu Gast. Das Restaurant eröffnete 1982 (damals noch an einer anderen Adresse). Jeder in Los Angeles kennt das Spago. Selbst das Konzept der offenen, einsehbaren Küche wurde hier angeblich erfunden.
Ich war noch nie in einem Restaurant von Puck, aber mit Reservierungen in verschiedenen seiner Steakhaus-Filialen CUT immer kurz davor, bevor sich doch noch etwas anderes ergab.
Mir ist bewusst, dass ich einige Jahrzehnte zu spät komme, als ich heute Abend das Spago betrete. Ich erwarte nicht einmal besonders große Küche. Der Guide Michelin attestierte im Jahr 2009 zwar noch zwei Sterne, bevor er wieder aus Los Angeles verschwand, inzwischen ist dem Restaurantführer das Spago nicht mal eine Empfehlung wert. Irgendeinen Grund wird das haben.
Mich interessiert vor allem das Restaurant an sich – als Ort. Denn, wie so oft in den USA, gerade in Kalifornien, ist das Spago ein atmosphärisches Juwel. Ich habe längst ein Faible für diese Art der amerikanischen Gastronomie entwickelt, deren Details ich immer noch versuche, genau benennen zu können. Es sind verschiedene Aspekte aus den Bereichen Architektur, Innendesign, Beleuchtung, Dekoration, Bepflanzung, Servicekultur und Publikum. Mehr dazu bei Gelegenheit an anderer Stelle.
Ich habe einen guten Tisch in einer halbrunden Sitznische im leicht beheizten, offenen Innenhof bekommen, direkt am Übergang zum Innenbereich, den ich von meinem Platz aus ebenfalls komplett einsehen kann. An meinem Tisch saß kürzlich noch Beyoncé, erklärt der freundliche Kellner, was ich höflich erstaunt quittiere, während ich in der Weinkarte blättere. Den 2022er »Howling Hills« Chardonnay (Glas 27 $, ca. 27 €), den ich vorher an der Bar bestellt hatte – ich war eine halbe Stunde zu früh und musste die Wartezeit überbrücken – musste ich dort stehen lassen, weil er fürchterlich schmeckte, säuerlich, wässrig, unmöglich auszutrinken.
Der Wein, den ich jetzt auswähle, einen 2019er Pinot Noir »Vista Verde« des kalifornischen Erzeugers Williams Selyem (225 $) ist leider nicht mehr verfügbar, wie mir der Sommelier nach einer Weile des Suchens erklärt. Die Alternative, die er vorschlägt, ein 2021er Pinot Noir »West Ridge« von Hirsch Vineyards von der Sonoma Coast (250 $), ist eine sehr gute Empfehlung mit feinen Tanninen, rotfruchtigen Aromen und ansprechender Struktur.
Auf der kulinarischen Seite fällt meine Entscheidung auf das Tasting-Menü (»Innovation«, 240 $). Nach einigen Tagen in den USA mit legereren Restaurants und À-la-carte-Auswahl ist mir heute nach der Struktur eines Tasting-Menüs, das mir alle Entscheidungen abnimmt.
Es beginnt ganz gut. Die Amuse-Bouches, die in einer Klappschachtel aus Holz an den Tisch gebracht werden, folgen weitestgehend dem Motto »teigig und knusprig«. Ein frittierter Toastzylinder mit Garnele und Chili-Gelee ist heiß, knusprig und hat eine feine Schärfe im Nachgang (7/10); ein frittierter, extrem heißer Teigball mit mariniertem Kabeljau (Bacalao) und Safran-Aioli schmeckt angenehm maritim und fein nach Estragon (7/10).
Ein Spieß mit Pfifferlingen, Crêpe-Teig und schwarzem Trüffel ist dann etwas zu mächtig und undifferenziert (6,5/10); eine Lavash-Tartelette mit Auberginenkaviar und angenehmen Grillaromen ist wieder deutlich besser (7/10).
Eine kulinarische Richtung lässt sich bisher noch nicht ausmachen – von kalifornischer Finesse bisher keine Spur –, aber ich bin guter Dinge.
Als nächstes wird ein Mais-Chawanmushi serviert. Die weiteren Mitspieler Kaluga-Kaviar, Parmesanschaum und Schnittlauch haben in dieser Kombination prinzipiell ein hohes Genusspotenzial, doch am Gaumen hält sich meine Begeisterung in Grenzen. Der Grund ist ein sehr stichfestes, puddingartiges Chawanmushi – eigentlich ist das leichter und weicher –, das durch ein intensives Maisaroma geschmacklich alles andere übertönt. Selbst der Kaviar hat bei der Süße Mühe, auch nur etwas von seiner maritimen Salzigkeit preiszugeben. Das ist ein spannendes Beispiel dafür, wie wichtig diverse Details bei der Herstellung japanischer Zubereitungen sind; Eierstich ist eben nicht gleich Eierstich. Einigermaßen gut ist das trotz allem. (6,5/10)
Es folgt ein Teller mit roter Meerbrasse (Madai), mariniert und geräuchert und in einem öligen, pechschwarzen Sud aus verbrannten Zwiebeln angerichtet. Beim Herauspulen der Fischstücke mit den angebotenen Essstäbchen – nicht, ohne vorher eine Serviette vor mein weißes Hemd zu hängen –, entdecke ich in der erdölartigen Flüssigkeit noch Melone und kleine Portionen von geschmortem Joghurt. Von dem Fisch ist in der bitteren, schweren, aber seltsam geschmacklosen Sauce nicht viel auszumachen; hinzu kommt noch das Gefühl, als hätte jemand eine Handvoll Sand in den Teller geschmissen, vielleicht irgendein Restprodukt von der gebrannten Zwiebel oder eine Art Getreide. Das sandig-ölige Gericht lässt also Rätsel aufkommen; dennoch lässt die immerhin ansprechend bissfeste Textur des Fischs Rückschlüsse auf seine gute Qualität zu, und der öligen, sandigen Sauce kann man aus irgendeinem Grund doch noch etwas Kurzweiliges abgewinnen. Mäßig begeisternd. (6,5/10)
Vom Kulinarischen abgesehen, macht es große Freude, die Atmosphäre hier zu genießen. Ich beobachte im Innenhof illustre wie skurrile Gäste, begeistere mich an Details wie den weiß verputzen Wänden, die von den schwarzen, gusseisernen Fensterrahmen ansprechend kontrastiert werden, an den mediterranen Fliesen, der Bepflanzung und den Heizstrahlern, die ganz behutsam den abklingenden Temperaturen nachhelfen.
Wenn ich nach rechts schaue, blicke ich in ein lebendiges Restaurant mit warmer Beleuchtung und der offenen Küche im Hintergrund. Auch dort staune ich über die geschmackvolle und atmosphärische Schlichtheit der klaren Linien und gedeckten Farben.
Der nächste Gang passt prinzipiell zu meinen Gedanken von Klarheit. Es gibt »Sun Gold«-Tomaten, die halbiert in einer klaren Tomatenessenz mit Basilikumöl angerichtet sind. Kalifornien ist Heimat von grandiosen Rohstoffen, daher könnte ein solcher Teller überragend sein. Dieser ist es nicht, weil die Tomaten qualitativ enttäuschendes Mittelmaß sind. Die Essenz ist – folgerichtig – auch nicht besonders spannend. Eine Garnele und eine Olive findet man auch noch irgendwo, aber sie helfen über die Trivialität der Komposition nicht hinweg. Das ist ein klares Qualitätsproblem, das hier in Kalifornien sehr ungewöhnlich ist. Und was das Ganze mit Gazpacho zu tun haben soll – das Gericht ist in der Karte mit Gazpacho Essence beschrieben –, ist geschmacklich auch nicht nachvollziehbar. Schlecht ist das nicht, aber vollkommen uninteressant. (6,5/10)
Hoffnungsvoll blicke ich auf den nächsten Gang. Bei Gnocchi »Carbonara« mit schwarzem Trüffel sollte nicht viel schiefgehen können, gerade wenn man, wie viele Restaurants in Kalifornien, Zugriff auf exzellente Wintertrüffeln hat, die derzeit üblicherweise aus Australien bezogen werden (woher diese hier stammen, erfrage ich nicht). Die Gnocchi sind in Form von zwei Halbkugeln geformt, der Trüffel wurde darüber gerieben, was, bis auf wenige Ausnahmen, ein Sakrileg ist. Der Gang ist dazu unerwartet heiß, was entweder auf ein sehr schnelles Anrichten und Servieren auf vorgewärmten Tellern hindeutet – oder auf ein Aufwärmen von Nudeln und Sauce unter dem Salamander und einem schnellen Drüberhobeln des Trüffels. Ich spekuliere auf Letzteres. Auch dieses Gericht verpasst die Chance, mit einer an sich für Hochgenuss prädestinierten Kombination zu begeistern. Dennoch kommt man hier in den Genuss von gewissenhaft hergestellter Pasta mit annehmbaren Wintertrüffeln (das Gericht hat geschmacklich nichts mit Trüffelöl oder ähnlichen Gemeinheiten zu tun). (6,9/10)
Der nächste Gang hat mit Khao Soi einen thailändischen Titel. Vielleicht gelingt der Küche ja ein fernöstliches Geschmacksbild. Und tatsächlich ist das interessant: Es gibt gegrillten Heilbutt, gegrillten Mais, Baby-Aubergine und Nudeln aus Eigelb in einem süffigen, viskosen und nach Thai-Curry schmeckenden Sud. Etwas frisches Thai-Basilikum trägt zum Geschmacksprofil bei. Die Zutaten sind jeweils sehr gut gegart, bemerkenswert aromatisch und differenziert. Dass man hier auf einmal in Richtung Thailand schwenkt, folgt der Idee eines Menüs ohne feste Ausrichtung. Der Gang ist jedenfalls bisher mit Abstand der beste. (7/10)
Weiter geht’s mit einer Interpretation von Saltimbocca. Der Klassiker mit flachgeklopftem und gleichmäßig gebratenem Kalbfleisch, aromatischem Salbei und würzigem Parmaschinken ist eigentlich ein Paradebeispiel für die Köstlichkeit der einfachen italienischen Küche. Auf dem Teller vor mir treffe ich auf verschiedene Saucen und Pürees, u. a. eine Puttanesca-Zubereitung und eine Crema du Colatura auf Basis von Sardellen, die um ein Stück mit einer Scheibe Lardo di Collonata bedeckten Kalbfleischs angerichtet sind.
Das Fleisch schneide ich als erstes an und stelle fest, dass es im Kern kaum durchgegart, also rare, ist. Bei Kalbfleisch (wie auch bei Schweinefleisch) ist das in der Regel keine gute Idee, weil, im Gegensatz z. B. zu Rind, die Textur gallertartig ist und sich der Geschmack schlecht entfalten kann. Gerade im Kontext eines Saltimbocca erscheint mir dies widersinnig und wie ein handwerklicher Fehler.
Ich probiere ein wenig davon, merke das Problem dann aber an. Wie es in den USA üblich ist, ist der Service sehr zuvorkommend, entschuldigt sich für den Fauxpas und nimmt den Teller zurück in die Küche.
Als das Gericht nach einigen Minuten neu serviert wird, bin ich perplex: Vor mir steht derselbe, bereits von mir angegessene Teller – klar erkennbar durch die halbe Portion Fleisch –, einfach nur neu erhitzt und ein wenig umdekoriert. Es benötigt nicht allzu viel Souveränität, um dem Kellner mitzuteilen, dass das nicht die feinste Art sei, ein reklamiertes Gericht noch einmal zu präsentieren. Ich schiebe noch hinterher, dass ich das Menü damit auch gerne abbrechen würde. Das Essen ist langweilig genug, zudem lasse ich mich nur ungern von der Küche veralbern. (5/10)
Ich kann beobachten, wie man sich im Team eifrig berät, der Manager ist inzwischen auch schon erschienen, und beobachte bestürzte und ratlose Gesichter. Irgendwann kommt man zum Tisch zurück und erläutert, dass einem das alles sehr unangenehm sei, man auch nicht genau wisse, was da in die Küche gefahren sei, und dass man das gesamte Menü von der Rechnung gestrichen hätte. Das habe ich keinesfalls erwartet – eine Teilberechnung des Menüs wäre völlig akzeptabel gewesen –, aber in den USA ist man immer danach bestrebt, solche Probleme so kundenfreundlich wie möglich zu lösen. Das ist hier gelungen. Die Rechnung – für Wein und Wasser – beträgt dennoch ein paar hundert Dollar, ich justiere auch mit Trinkgeld üppig nach, denn der Service war tadellos.
Ich bin eigentlich ganz glücklich mit dem Abend. Die Stimmung war angenehm, satt bin ich ohnehin, und es ist auch mal ganz erfrischend, festzustellen, wie souverän man – als Gast und im Service – mit solchen Situationen umgehen kann. Nur die Küche, die könnte man nach vierzig Jahren Spago vielleicht mal etwas ölen.
Anm.: Wegen besonders ungünstiger Lichtverhältnisse ließ sich aus einigen Fotos dieses Artikels leider nicht mehr herausholen.