Taverna del Capitano – Captain’s Table

Ein kleiner Fußmarsch ohne Gehweg über eine kurvige Straße inklusive einer kleinen Abkürzung querfeldein bringen mich von meinem Hotel Quattro Passi hinunter zur Marina del Cantone. Es ist mein zweiter und letzter Abend in der Gegend, die schon wegen des gestrigen Essens die Reise wert war.

Der Strand in der Bucht von Nerano ist bekannt für sein klares, blaues Wasser – und das besternte, familiengeführte Restaurant (und Hotel) Taverna del Capitano. Ich entdeckte es im Guide Michelin beim Stöbern nach Restaurants in der Gegend und reservierte vor einigen Wochen über die Restaurant-Website.

Der kleine Ort pflegt einen charmanten, touristischen Charakter. Mit einem sauberen Strand und einigen einfachen Hotels mit Meerblick richtet sich die Gemeinde an Strandurlauber, die einen entspannten Aufenthalt am Meer ohne übermäßigen Luxus suchen.

Das Lokal wirkt bereits von außen einladend urig, von einem unansehnlichen Bauzaun davor einmal abgesehen. Interessanterweise betritt man das Haus von der Straßenseite aus gleich im dritten Obergeschoss, da das Gebäude in den Hang hinein gebaut ist. Noch eine Etage höher befindet sich das erst vor kurzem eröffnete Dachgeschoss mit offener Küche und einer breiten, überdachten Terrasse.

Der Blick aufs Meer ist malerisch. Kurz nach dem Sonnenuntergang verwandeln sich der Himmel und das Meer allmählich in ein spektakuläres, leuchtendes Blau. Ich bestelle einen Negroni (15 €), während erste Snacks schon den Tisch erreichen. Speise- und Weinkarten wurden bisher noch nicht gereicht, was ein paralleles Stöbern darin verhindert ‒ ein gängiges Timing-Problem in einigen Restaurants.

Eine Tartelette aus einem hellroten Teig mit Tomaten ist mit Ricotta, Sardelle und Fenchel gefüllt und macht einen sonderbar süßen, etwas zu massigen Auftakt (6,5/10), während eine über Holzkohle erwärmte (aber immer noch rohe) Auster mit schwarzem Knoblauch angenehm würzig schmeckt und von hoher Qualität ist (7/10).

Um Tintenfisch geht es bei den folgenden zwei Snacks, einmal in Form eines Chips, »saftig« und gut gewürzt (6,9/10), sowie einem einer frittierten Kartoffel nachempfundenen, feinknusprigen Häppchen, das aperitifgerechten Knabberspaß bietet (7/10).

Jetzt werden auch die Karten gereicht. Kulinarisch stehen zwei Degustationsmenüs zur Auswahl (zu 180 € und 200 €) sowie eine Auswahl à la carte, die größtenteils, aber nicht ausschließlich, mit den Menüs übereinstimmt. Das Hauptaugenmerk der Küche liegt auf nachhaltig und regional gefangenem Fisch und Krustentieren, wie es im (etwas zu) ausführlichen Vorwort der Inhaberfamilie Caputo erläutert wird. Ich entscheide mich für eine Auswahl à la carte nach der Formel »fünf Gerichte für 150 €«.

Die Weinkarte stellt mich dagegen vor Herausforderungen. Den italienischen Fokus möchte ich zwar gerne nutzen, doch die Preisstruktur ist verwirrend. So gibt es viele – weniger ansprechende – Weine in einem Bereich bis hundert Euro, sowie diverse – interessantere – Weine ab dreihundert Euro aufwärts, aber auch nichts, wofür mein Herz Kapriolen schlagen würde. Dazwischen gibt es wenig Aufregendes. Immerhin sind von verschiedenen Weinen auch gereiftere Jahrgänge erhältlich. Das Ganze wirkt wie eine passionierte, aber etwas vernachlässigte Privatsammlung. Für mich ein klarer Fall, um den Sommelier zurate zu ziehen. 

Der nimmt einige Ideen von mir zur Kenntnis, kehrt letztlich aber mit drei ganz anderen Flaschen aus dem Keller zurück. Am Ende lasse ich mich auf einen 1998er Taurasi Radici von Mastrobernardino ein (140 €), einem traditionellen Weingut hier aus Kampanien. Regionalität und Reife stechen hier etwaige größere Namen. Der Wein hat zwar zweifellos seinen Zenit erreicht, wirkt aber auf spannende Art robust und langlebig. So kann es jetzt auch endlich kulinarisch losgehen.

Der erste Gang präsentiert gegrillten Kaisergranat, der in ein zart gegartes Kopfsalatblatt gewickelt ist. Der dazu servierte dunkle Jus wurde ebenfalls aus Kopfsalatblättern gewonnen. Das Gericht ist angenehm warm, wobei der Kaisergranat mit seinen typisch nussigen Aromen und seiner saftigen Konsistenz überzeugt. Ein ausgewogenes Zusammenspiel zwischen einer gemäßigten Süße und leichten Bitterkeit steht geschmacklich hier im Vordergrund. Sehr gut. (7/10)

Es geht weiter mit Tintenfisch, dessen Teile auf einem Rinderknochen angerichtet sind. Diese ungewöhnliche Präsentation greift eine Zubereitungsmethode auf, bei der der Tintenfisch vor dem Grillen in Knochenmark gegart wurde (wenngleich ich Mühe habe, mir diesen Prozess vorzustellen). Ob das seine Textur maßgeblich verändert, ist nicht auszumachen. Auf dem Teller befindet sich zudem ein Carpaccio vom Marchigiana-Rind sowie eine Sauce mit Passionsfrucht. Das Ergebnis ist ein Surf and Turf mit homogenen Texturen und fruchtigen Röstaromen. Das ist alles ganz ordentlich, aber nicht allzu bemerkenswert. (6,9/10)

Die Atmosphäre auf der Terrasse ist die ganze Zeit über äußerst angenehm. Das Ambiente ist zwar etwas rustikal, aber authentisch und geschmackvoll ‒ das passt zur Umgebung.

Meine Empfindungen werden vom nächsten Gericht perfekt aufgefangen. Die Spaghettini mit Zitrone und Lobsterragout verzichten auf Manierismen, sind sehr al dente gekocht und in einem säurebetonten, süffig eingekochten Sud angerichtet. Die Zitrusaromen kommen dabei gut zur Geltung. Besonders spricht mich hier die authentische, gewissenhafte Zubereitung des Gerichts an. Die hochwertigen Zutaten und die geschmackliche Balance heben das Gericht dabei von rustikaler Küche in die gehobene Gastronomie. (7/10)

Für den Hauptgang fiel meine Entscheidung auf ein gegrilltes Filet vom Marchigiana-Rind. Die Wahl von Filet als Zuschnitt passt zur Bodenständigkeit der Küche. Das Fleisch, das vom Zulieferer Giacomo Buonanno stammt, wurde über Holzkohle medium rare gegart, ist sehr zart und bemerkenswert aromatisch. Mit Rinderfilet verhält es sich ein wenig so, wie mit magerem Thunfisch (Akami): Oft erregen die fettigeren Schnitte (Chu-toro, O-toro) wegen ihres buttrigen Schmelzes zwar mehr Aufmerksamkeit, doch wenn ein mageres Stück besonders zart und aromatisch ist, kann es den fetteren Varianten die Schau stehlen.

Zum Fleisch gesellt sich hier noch eine im Ganzen karamellisierte Schalotte sowie eine dicht eingekochte und mit Zitronengras aromatisierte Demi-Glace, was der Sauce eine leichte Frische verleiht. Das Ergebnis ist klassischer, fast schon französischer Fleischgenuss auf handwerklich hohem Niveau. Sehr gut – nicht mehr, nicht weniger. (7/10)

Nach »Rinderfilet mit Sauce« bleibe ich mit einer Auswahl vom Käsewagen auf dem französischen Pfad, natürlich aber mit italienischem Käse. Ich lasse mir eine Auswahl zusammenstellen; dazu gibt es hausgemachtes Brot. Alles einwandfrei.

Ein paar überwiegend sehr gute Pralinen und andere Süßigkeiten (6,9/10) runden das Mahl ab, das ich in großen Teilen genossen habe, sowohl atmosphärisch als auch kulinarisch.

Die Küche organisiert dann sogar noch einen Fahrer, der mich die zwei Fahrminuten zurück ins Quattro Passi bringt. Die vier Schritte wäre ich sonst auch zu Fuß gegangen, aber es war kein Widerspruch möglich.

Informationen zu diesem Besuch
Restaurant: Taverna del Capitano (→ Website)
Chef de Cuisine: Alfonso Caputo
Ort: Nerano, Italien
Datum dieses Besuchs: 19.05.2024
Guide Michelin (Italien 2024): *
Meine Bewertung dieses Essens: 7 (Was bedeutet das?)
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