Tatiana by Kwame Onwuachi – verhaltene Vorstellung
Am architektonisch imposanten Lincoln Center, genauer dort: an der westlichen Seite des Konzerthauses David Geffen Hall, befindet sich der Eingang zu New Yorks »bestem Restaurant«.
Das Restaurant heißt Tatiana by Kwame Onwuachi, und den Spitzenplatz attestiert die New York Times in ihrer jährlichen Restaurant-Rangliste bereits zum zweiten Mal in Folge. Ich hatte bis vor kurzem noch nie davon gehört. Kein Wunder, denn das Restaurant eröffnete erst im Herbst 2021 – in einem New York, das sich gerade erst von Covid erholte.
Die Liste, die von Restaurantkritiker Pete Wells kuratiert ist, muss man – wie alle solche Listen – einordnen können. Bestimmt würde auch Wells nicht behaupten, dass man in Restaurant Nr. 36 besser isst als in Restaurant Nr. 37. (Ein Food Truck in der Bronx ist hier derzeit höher platziert als das grandiose Yoshino; viele berühmte Sterne-Restaurants fehlen komplett; und selbst mit Wells’ eigener Sterne-Bewertung ist das Restaurant paradoxerweise nur mit drei von vier Sternen bewertet.) Es geht Wells mit seiner Liste eher um eine aktuelle Relevanz, um eine Art Stimmungsbarometer in einer Metropole, die immer wieder große Krisen übersteht als auch kurze Zeit später neue Trends schafft.
Doch beim Tatiana geht es (Wells) nicht nur um Trends und Stimmungen, sondern um die Autobiografie eines schwarzen Küchenchefs, was wichtig ist, weil Onwuachi kulinarische Einflüsse aus Westafrika und der Karibik auf eine Bühne hebt – die Bühne des Fine Dining und die des Lincoln Center –, wo man derartige Einflüsse sonst suchen muss wie Wirkstoffe in homöopathischer Arznei.
Fast überflüssig zu erwähnen ist die Tatsache, dass auch dieses Restaurant – weder besternt noch übermäßig schick – so gut wie nicht reservierbar ist. Die Reservierungen über die Plattform Resy, mit der das Restaurant arbeitet, sind dauerhaft vergriffen, andere Reservierungsmöglichkeiten bestehen nicht. Ich habe es per E-Mail versucht, zunächst voller Hoffnung, dann wechselte dort mein Ansprechpartner, und der Kontakt brach ab. Kurz vor meiner Reise erhielt ich dann doch noch unerwartet eine Reservierung für meinen Wunschtermin. Den Abend hatte ich mir in meiner Planung freigehalten und sonst einen Walk-in versucht, der auch offiziell möglich ist.
Viele Gäste des Restaurants sind Theaterbesucher, weswegen auch die früheren Seatings sehr begehrt sind. Meines ist um 19 Uhr, gutes Timing nach einem exzessiven Mittagessen im Carbone.
Ich bin unter anderem wegen der kreolischen Ausrichtung in großer Vorfreude, zu sehr schätze ich die fruchtig-pikanten, herzhaften Aromen der Karibik, ihre Vielseitigkeit und spannenden Gewürze.
Der Speisesaal ist voll besetzt, die Tische eng gestellt und der Geräuschpegel hoch. Im Gegensatz zu vielen anderen betriebsamen Restaurants in dieser Stadt, ist es im Tatiana jedoch nicht so atmosphärisch, dass man hier lange verweilen möchte. Es wirkt etwas hektisch und kantinenartig.
Das Konzept der Speisekarte ist denkbar simpel: Es gibt acht kleinere und acht größere Gerichte, alle sind zum Teilen am Tisch gedacht. Die Weinkarte ist kompakt und enthält für New Yorker Verhältnisse viele, auch moderat bepreiste Optionen aus aller Welt. Große Tropfen gibt es hier nicht, was zur hektischen Stimmung passt. Ich finde mit einem roten 2011er Viña Tondonia Reserva für 147 $ brutto (ca. 137 €) eine solide Option.
Die ersten Kleinigkeiten, die ich wähle, sind knusprig gebratene Okra-Schoten (17 $), die zum Nachwürzen mit einer Zitrone und einer scharfen, fruchtig-süßen Honig-Senf-Paprika-Sauce serviert werden. Genau das Richtige zum Starten. (6,5/10)
Ein feiner Buttersalatkopf (23 $) mit gehobeltem Saltfish (konserviertem Kabeljau) und Perilla ist geschmacklich besonders wegen der salzig-maritimen Akzente und der an Minze erinnernden Aromen von Perilla spannend. (6,5/10)
Ebenfalls stehen Crab Rangoons auf dem Tisch (21 $), mit Ochsenschwanz und Krebsfleisch gefüllte, warme Teigtaschen. Ein süßlicher Peking Jus, in dem die Snacks angerichtet sind, bringt etwas Würze ins Spiel. Eine weitere solide Vorspeise, die eher interessant als begeisternd ist. (6,5/10)
Vom Hauptgericht wünsche ich mir etwas mehr Mut, mehr Aromen, mehr Farbe, mehr Schärfe. Es gibt Sofrito Roasted Chicken (57 $), im Wesentlichen eine große Hühnerkeule mit Schmorgemüse, besonders Tomate und verschiede Olivensorten. Eine dazu bestellte Schüssel Reis kostet 13 $ extra. Das Gericht sieht geschmacklich nach deutlich mehr aus als es ist – nur die monströse Portion ist selbst zu zweit nicht zu schaffen. Aromatisch ist das erstaunlich verhalten, mit einem eher mediterran schmeckenden Tomatenkompott und einem aromatischen, aber nicht besonders saftigen Huhn. (6,5/10)
In Summe ist das leider alles etwas enttäuschend, nicht nur wegen der Vorschusslorbeeren, sondern wegen der nur mäßig spannenden Gerichte. Inzwischen ist es auch unerträglich laut geworden, bleibt nur noch die Flucht.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Tatiana by Kwame Onwuachi (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Kwame Onwuachi |
Ort: | New York City, USA |
Datum dieses Besuchs: | 19.03.2024 |
Guide Michelin (New York City 2023): | Empfohlen |
Meine Bewertung dieses Essens: | |
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