Tempura Mizuki – knusprige Tellerkunst
Es ist mein vorletzter Tag in Kyoto. Zwölf (nicht nur) kulinarisch intensive Tage in Japan liegen bereits hinter mir. An keinem Tag war es draußen kühler als 37 Grad im Schatten. Auch heute nicht, Tendenz steigend. Ich habe mich daher im Hotel verschanzt und hege keine Absicht, es zu verlassen.
Das fantastische Ritz-Carlton Kyoto, mit seiner eleganten, flachen Bauweise und dem eindrucksvollen Interieur, das von rechten Winkeln und hochwertigen Materialen geprägt ist, hält im Untergeschoss unter dem Dachnamen Mizuki gleich vier Restaurantkonzepte bereit. Eines davon ist das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Tempura Mizuki. Ich hatte das Restaurant ursprünglich für heute Abend im Kalender stehen (schon lange vor meinem Reiseantritt), stornierte die Reservierung aber gestern ohne Schwierigkeiten zugunsten der Weinbar Cave de K gleich hier nebenan (Bericht folgt). Das war mir etwas unangenehm, aber so fügt es sich dann, dass es mir heute Morgen in den Sinn kommt, mein Versäumnis am Mittag nachzuholen. Mit einem kurzen Anruf aus meinem Zimmer bekomme mühelos einen Tisch. Das Menü muss ich auch schon auswählen, meine Wahl fällt auf das reguläre Lunch-Menü (Nakasumi, ca. 135 €).
Der Fahrstuhl bringt mich fast direkt vor die Tür des Restaurants. Ich werde freundlich empfangen und durch das größere Hauptrestaurant Kaiseki Mizuki zum Tempura-Restaurant geführt. Kurz vor zwölf bin ich noch der einzige Gast. (Es werden später nur zwei mehr.)
Das Tempura Mizuki ist eher ein Bereich als ein Restaurant. Vor einem massiven Tresen aus Granit stehen acht bequeme Sessel. Man platziert mich ganz rechts. Dahinter, in der Küchenzeile, ist Souschef F. Hayashi, so steht es in lateinischer Schrift auf seiner makellos weißen Kochjacke, mit ersten Vorbereitungen beschäftigt, unter anderem mit dem Inspizieren des flüssigen, gekühlten Tempura-Teigs.
Ich bestelle ein Glas japanischen Weißwein, einen 2021er Koshu (das ist eine Rebsorte) vom Weingut Grace aus Yamanashi (ca. 16 €) – nichts Großes, aber mit knackiger, zitrusfrischer Säure – und fühle mich unmittelbar wohl hier. Im Hotel zu speisen, in dem man wohnt, hat für mich immer etwas besonders Entspanntes.
Eine schöne Geste gleich zu Beginn ist das Reichen einer Karte, die die Zutaten des (bereits ausgewählten) Menüs in Form von Illustrationen darstellt, die der Souschef selbst gezeichnet hat. Und dann geht es auch schon los.
Der Appetizer ist ein kühles Arrangement mit Maistofu, roher Jakobsmuschel, Spinat, Mais und etwas Dashi in einem kleinen Schälchen. Diese erstaunliche »Präsenz«, die den hervorragenden japanischen Zutaten so oft innewohnt, ist am Gaumen sofort wahrnehmbar. Zusammen mit dem leicht rauchigen Dashi, das alle Zutaten verbindet, ergibt das einen leichten, abwechslungsreichen Snack, der meinen Appetit nur noch steigert. (7,5/10)
Bevor es dann mit dem Tempura losgeht, präsentiert der Küchenchef die dafür vorgesehenen Zutaten. Wer zum ersten Mal in einem Tempura-Restaurant ist, wird sich bei einer solchen Präsentation ob der Menge wundern, dass man daraus – nur unter Zuhilfenahme von etwas Teig und Öl – ein sättigendes (und auch noch möglichst sehr gutes) Menü zubereiten kann.
Letzteres bestätigt dann gleich der Tempura-Auftakt. Die vorhin noch quietschfidele Kuruma-Garnele wird nacheinander in zwei Happen serviert. Zuerst ihr Kopf, kross frittiert, sehr heiß und mit einem kaum sichtbaren Teig umhüllt; dann folgt der Rest des Tiers, hier mit einer Panierung, die verlaufsartig zum Schwanzende hin dünner wird – allein das ist schon eine Kunst für sich. Etwas Zitrone steht zu diesem Snack bereit, die man behutsam dosieren kann, genauso wie drei verschiedene Salze (Meersalz aus Okinawa, Algensalz und ein pikanteres Salz aus Kyoto), von denen der Küchenchef zu jeder Speise ein bestimmtes als Begleitung empfiehlt. Die Salze sind so intensiv, dass es ausreicht, wenn wenige Flocken an der Speise hängenbleiben. Das ist ein sehr guter, unkomplizierter Auftakt. (7/10)
Die nächste Kreation schlägt dann eine ganz andere Richtung ein. Es gibt ein quaderförmiges Stück Tofu-Tempura, darauf eine großzügige Portion cremigen Seeigels aus Hokkaido, getoppt mit etwas frischem Wasabi. Der heiße Tofuwürfel lässt einen regelrecht hochschrecken, bevor der kühle, süßlich-jodige Seeigel wie eine Welle über ihm zusammenbricht. Der Wasabi ist noch mal ein kleiner Kick hinterher. Der kleine Snack präsentiert mit dem Seeigel eine Weltklassezutat – und mit dem leicht knusprigen Tempura, das man trotz des cremigen Seeigels wahrnimmt, erneut eindrucksvolles Handwerk. Es ist ein famoses Wechselbad der Empfindungen. (9/10)
Dann wird es wieder klassischer. Zucchini aus Kyoto kommt in zwei Teilen auf den Teller, ist heiß, knusprig und sehr aromatisch. Ich streue ein paar Salzflocken drauf, wie es der Koch empfiehlt. Natürlich hat ein frittiertes Stück Gemüse eine Art Genussobergrenze, aber die hier stets unübersehbare Produktqualität und das hervorragende Handwerk machen jeden sehr guten Snack immer noch eine Nuance besser. (7,5/10)
Jakobsmuschel – ein Produkt, das grundsätzlich nur in höchster Qualität genießbar ist – stammt aus Hokkaido und macht mit dem luftig-knusprigen Teig eine hervorragende Figur. Das Frittierhandwerk ist unvergleichbar mit so ziemlich allen Frittier- und Panierversuchen, die man in unseren Breiten oft unternimmt. Auch die zeitliche Nähe zwischen der (nur wenige Sekunden dauernden) Fertigstellung einer Kreation und ihrem Verzehr zahlt sich hier, wie so oft in Japan, erneut aus. (7,5/10)
Eine milde Paprikaschote ist besonders saftig und aromatisch, hat einen appetitlichen Biss und begeistert abermals mit dem Zauber des filigran-knusprigen Teigs. (7,5/10)
Es geht weiter mit in Perilla (Shiso) eingewickeltem Wittling. Durch die »aufgeplusterte« Textur erinnert der heiße Happen ein wenig an norddeutschen Backfisch, eleganter natürlich, wegen des viel feineren Teigs und dem floral-minzigen Shiso-Blatt. Sehr gut. (7/10)
Das Essen bereitet viel Spaß. Durch den nahtlosen Übergang zum größeren Restaurant entsteht trotz der Intimität am kleinen Tresen eine belebte Atmosphäre. Auch der Küchenchef ist freundlich und trotz Sprachbarrieren immer zu einem kurzen Austausch zu bewegen. Nur der besonders achtsame Kellner hinter mir, der die ganze Zeit verstohlen, aber spürbar meinen Platz beäugt, um bei Bedarf irgendetwas zu entfernen, nachzuschenken oder neu anzurichten, macht mich ein bisschen nervös.
Aubergine aus Kyoto setzt das kurzweilige Menü fort. Hier ist interessant, dass der frittierte Teig etwas dunkler ist, offensichtlich wegen der etwas längeren Garzeit des widerspenstigen Gemüses. Die Panierung bleibt dabei knusprig und filigran und passt mit ihrem leichten Röstaroma gut zur Aubergine. Sojasauce und geriebener Ingwer werden dazu als Begleiter serviert; ich dosiere das immer sehr vorsichtig und probiere stets auch das Frittiergut ohne Zugaben. Sehr, sehr gut, weiterhin. (7,5/10)
Dann folgt eine kleine Erfrischung. Eine Art Salat mit geflämmtem Bonito, Stachelmakrele, Tofu und Gemüsen wie Tomate, Brokkoli und Radieschen mutet fast mediterran an; ein Dressing auf der Basis von Soja weist aber den Weg Richtung Japan. Die Zutaten kann man mit separat serviertem Reis kombinieren. Das Niveau bleibt hoch. (7,5/10)
An Ende ist glücklicherweise auch noch nicht zu denken. Das auch optisch höchst ansprechende Mahl geht mit einem Tempura von Süßkartoffel weiter. Auch dies wurde in zwei Teile geschnitten, die der Küchenchef immer persönlich auf den Teller platziert. Das weiße, fettabweisende Stück Papier wird dabei jedes Mal ausgetauscht. Die Kartoffel ist heiß, bissfest gegart und hat ein angenehm süßliches Aroma. (7/10)
Mit Anago folgt Salzwasseraal, zu dem der Küchenchef eine Prise des schärferen Salzes empfiehlt. Am Gaumen passiert hier richtig viel, weil das Salz erstaunlich pikant ist und damit die Hitze, die von den kleinen Stücken ausgeht, unterstrichen wird. Auch der Teig ist hier etwas homogener und krosser. (7,5/10)
Hier im Restaurant, so ist es online zu lesen, wird Benihana oil zum Frittieröl hinzugegeben, eine nach eigenem Rezept zusammengestellt Ölmischung, die meist aus Sesam- und Sojaöl sowie Aromaten wie Knoblauch und Zitrusfrüchten besteht. Natürlich überlassen japanische Köche auch so etwas scheinbar Banales wie Frittieröl nicht dem Zufall.
Und dann kommt mit einer weißen Zwiebel aus Kyoto das vielleicht schmackhafteste Stück Tempura, das ich je probiert habe. Die Zwiebel wurde etwas länger frittiert, sodass eine deutlich goldbraune Färbung mit teilweise noch dunkleren Stellen erkennbar ist. Die Maillard-Reaktion schmeckt naturgemäß verführerisch und ist in Kombination mit der hocharomatischen, süßen Zwiebel ein Garant für Hochgenuss. Der Snack ist extrem heiß, sodass ich das Vergnügen zwangsweise in die Länge ziehe. Das kleine, unscheinbare »Gericht«, das man kaum so bezeichnen kann, ist befriedigender als sehr viele unnötig komplexe Teller in zahlreichen Spitzenrestaurants. (8,5/10)
Es folgt Kakiage, eine Bezeichnung für ein in der Regel sehr schmackhaftes, »klumpiges« und pufferartiges Tempura aus Garnelen und Gemüse, das man zusammen mit Reis serviert. Das schmeckt auch hier köstlich: herzhaft und etwas süßlich, dabei charmant fettig. Der Reis dazu ist von typisch japanischer Güte, mit flockiger Körnung und leichter Klebrigkeit. Man variiert das Ganze mit säuerlich mariniertem Gemüse, bei dem hin und wieder florale Aromen von Yuzu hervorblitzen, sowie einer Miso-Suppe. Ganz hervorragend. (8/10)
Beim Dessert macht man es sich etwas einfach. Es gibt einen kleinen Obstsalat bestehend aus Melone und Himbeere, dazu gibt es eine Kugel Himbeereis von Pierre Hermé. Da das Hotel eine (von mir nachmittags gern in Anspruch genommenene) Konditorei des renommierten Pâtissiers vorhält, rührt man hier ein bisschen die Werbetrommel. Die japanische Klientel erfreut sich vermutlich an dem europäischen Schwenk; ich dagegen hätte eigentlich lieber die Melone pur probiert. Der intensive, zum Menü kaum passende Himbeergeschmack sorgt für ein ziemlich abruptes Ende der japanischen Aromen, die vorhin noch angenehm nachklangen. (6,9/10)
Zum Glück sind die Tees sehr gut. Selbst der Rösttee, der sonst eigentlich immer nach Aschenbecher schmeckt, ist angenehm blumig und fruchtig. Nach idealen achtzig Minuten endet damit ein hervorragendes Tempura-Mahl. Also, bloß keine Angst vor Hotelrestaurants. Auch nicht in Kyoto.
(Weitere Artikel über meine Reise nach Japan im Sommer 2023 unter diesem Link.)