Benoit Kyoto – untypisch unjapanisch
Die Benoit-Restaurants zählen zu den legeren Gastronomiekonzepten von Alain Ducasse. Neben Filialen in Paris, Tokyo und New York ist das Benoit Kyoto die neueste Filiale der Ducasse-Bistros.
Französische Bistroküche in Kyoto zu probieren erscheint nur demjenigen widersprüchlich, der nicht weiß, wie sehr es sich in Japan lohnt, auch andere Länderküchen zu probieren – und der noch nie, wie ich, elf Tage am Stück fast durchgehend japanisches Essen genossen hat. Irgendwann kann man sich nichts Genüsslicheres vorstellen als ein französisches Bistro.
Das Benoit Kyoto gehört zu einem brandneuen Hotel mit dem sperrigen Namen The Hotel Seiryu Kyoto Kiyomizu. Das gekonnt in die Landschaft integrierte Design-Hotel mitten im belebten Gion-Viertel ist architektonisch und gestalterisch eindrucksvoll – und vielleicht beim nächsten Mal eine Alternative zu dem ansonsten von mir besonders geschätzten Ritz-Carlton Kyoto.
Ich stehe noch eine Weile vor der Tür, bevor das Restaurant um halb zwölf öffnet. Bei achtunddreißig Grad im Schatten und hoher Luftfeuchtigkeit ist das wenig vergnüglich. Aber irgendwann geht es hinein in ein sehr angenehmes Interieur.
Der lichtdurchflutete Saal mit enggestellten Tischen, einigen dunkelrot gepolsterten Bänken und gefliestem Boden strahlt unverkennbares Bistro-Flair aus; die weißen Tischdecken, zeitgemäße, hochwertige Stühle und weitere moderne Akzente sprechen dabei »Ducasse«, der sich immer schon als Modernisierer verstanden hat.
Ich sitze bequem auf einer der Polsterbänke und habe allen Platz der Welt. Außer einer Handvoll ausschließlich mit weiblichen Gästen besetzten Tischen ist das Restaurant leer. Die Situation, dass gerade Freundinnen gerne gemeinsam Essen gehen, auch in bessere Restaurants, klingt trivial, fällt mir aber gerade in Japan öfter angenehm auf.
Ich brauche erst mal etwas Wasser – die kurze Wartezeit in der Hitze zollt bereits ihren Tribut. Dazu bestelle ich aus der kompakten, aber guten Weinkarte ein Glas 2015er Meursault von der Domaine Famille Picard (4.620 Y, ca. € 29), ein angenehmer Start.
Bei der Speiseauswahl tue ich mich etwas schwerer, weil vieles gut klingt, ich es aber heute Mittag nicht eskalieren lassen möchte. Am Abend steht mit einer Reservierung im Gion Maruyama wieder ein umfangreiches Kaiseki-Mahl auf dem Plan. Meine Wahl fällt daher auf eine klassische Vorspeise-Hauptgang-Dessert-Formel, die hier mit überschaubaren 6 050 ¥ (ca. € 38) auf der Karte steht.
Die Burgunder-Schnecken oder ein Paté en croûte klingen auch verlockend, aber ich starte mit einem schlichten Salat, der immerhin als »Benoit signature salad« betitelt ist. Auf dem Teller befindet sich dann allerdings die armseligste Vorstellung eines Salats, die mir seit langem begegnet ist. Müde Salatblätter, dem Anschein nach von schlaffen Außenblättern eines Kopfsalats, banale Kirschtomaten und durchgetrocknete Radieschen und Champignons sind nicht die einzigen Unzulänglichkeiten dieser Tristesse: Außer einem Spritzer wässrigen Weinessigs ist hier nicht einmal eine gute Vinaigrette dran. Dazu gibt es ein Toast mit Rillettes, aber auch das ist beklagenswert, weil es eher nach Zuckerwatte schmeckt als nach der gehaltvollen Streichzubereitung. Das ist wahrhaftig eine Zumutung und würde von Alain Ducasse mit Sicherheit nicht abgenickt. (5/10)
Mein Hauptgang ist der »Fang des Tages«, eine Dorade, die mit »griechischen Gemüsen« serviert wird. Der Teller ist angenehm heiß, den Fisch darin findet man in Form zweier kross gebratener Filets. Die sind saftig, in guter Qualität und auf Gemüsen wie Rübchen, Prinzessbohnen, Möhrchen und Blumenkohl angerichtet, die teilweise etwas zu lange gegart wurden. Eine säurebetonte Sauce passt geschmacklich gut dazu, ist aber etwas unnötig angedickt. Das Geschmacksbild bietet genau die gustatorische Abwechslung, die ich gesucht habe und ist auf einem akzeptablen, aber nicht hohen, Bistro-Niveau. (6,5/10)
Das Dessert ist handwerklich am besten gelungen. Eine Schokoladen-Crème-brûlée mit Kakao-Nougatine und Kaffeeeis machen insgeheim Werbung für die exzellenten Schokoladen, die Alain Ducasse inzwischen weltweit – auch intern – vertreibt. Es ist nur viel zu mächtig. (6,9/10)
Der Szenenwechsel tat gut, aber meine Hoffnung auf eine handwerklich und qualitativ gute Bistro-Küche konnte das Benoit Kyoto nicht erfüllen. Dass der Küchenchef hier Japaner ist, erstaunt besonders. Das Essen war, auch für ein französisches, äußerst unjapanisch.
(Weitere Artikel über meine Reise nach Japan im Sommer 2023 unter diesem Link.)