Atrio – Teil 1: Das Schwein und der Wein
Ich hatte einfach nur reserviert. Zwei Nächte, über ein langes Wochenende. Das war, nachdem der Guide Michelin Ende November letzten Jahres drei Sterne für das Atrio vergab. Zwei Nächte mussten es schon sein, weil das Haus in einem besonders entlegenen Winkel Europas liegt, in Cáceres, in der Region Extremadura in Spanien. Viel mehr hatte ich nicht recherchiert.
Als ich an diesem heißen Freitagnachmittag hier ankomme – der letzte im April –, nach einer etwas über zehnstündigen Anreise mit zwei Flügen und einer dreistündigen Autofahrt, wird mir erst allmählich klar, was das hier für spezieller Ort ist. Die Relais & Châteaux-Mitgliedschaft des Hotels, das Setting in einem mittelalterlichen Dorf mit UNESCO-Weltkulturerbe-Status und die Fotos auf der Website mit den vielen geschmackvollen architektonischen und gestalterischen Details waren natürlich schon Hinweise darauf, dass mich hier nichts Alltägliches erwartet.
Doch was die Eheleute Toño Perez und José Polo hier über Jahrzehnte aufgebaut haben, ist nur schwer in Worte zu fassen. Das Hotel ist ein architektonisches Juwel, das mich vom ersten Schritt an einlullt, den ich über die Türschwelle schreite. Holz und Stein, Parallelität als roter Faden der Gestaltung, ein ständiges Spiel mit Licht, Schatten und Fluchten, integriert in jahrhundertealte Gemäuer schaffen eine distinguierte Kulisse von Ästhetik, Geschmack und Luxus.
Den bereits ausklingenden Nachmittag verbringe ich zunächst mit einem kompakten Spaziergang im Dorf, aber ich möchte das Atrio eigentlich nicht allzu lange verlassen.
Auf der Dachterrasse stöbere ich danach etwas in der Weinkarte, die ich während der letzten Tage schon online in Augenschein genommen habe. Es handelt sich um eine der spektakulärsten und umfangreichsten Weinkarten, die ich je gesehen habe. Die Karte ist in Wahrheit ein gebundenes, fünf Zentimeter dickes Buch, das genauso geschmackvoll gestaltet ist wie das Hotel, von der Typografie bis zur Auswahl der Grafiken und Fotos, die viele Seiten der Karte schmücken. Inhaltlich kommt man aus dem Staunen ebenfalls nicht heraus, man findet darin die berühmtesten Lagen und Winzer der Welt in erstaunlicher Jahrgangstiefe.
Schade nur, dass die Karte im Internet bereits fünf Jahre alt ist, wie ich hier oben im angenehmem Halbschatten feststellen muss. Ich hatte mich schon auf einige rare, aber bezahlbare Schätze gefreut, was für Spanien keine Seltenheit wäre. Doch wo online immer noch »350 €« steht (z. B. bei einem 2001er Vosne-Romanée »Les Réas« von der Domaine Bizot), steht hier jetzt »1 350 €«, wohlbemerkt beim selben Wein.
Die Preise klettern bis auf 350 000 € für eine Flasche 1806er Château d’Yquem aus einer der vollständigsten Yquem-Kollektionen weltweit. Erst letztes Jahr ging ein dreister Raub durch die Presse: Als Gäste getarnte Diebe stahlen hier im Keller Weine im Wert von Millionen. Die Diebe wurden gefasst, die Weine nie.
Aber es gibt zahlreiche Alternativen zu meinen herausgesuchten Optionen, z. B. einen 1996er Viña Tondonia Gran Reserva Blanco (280 €). Der schmeckt schon als Sundowner hervorragend. Abends im Restaurant lasse ich den Rest als Aperitif servieren.
Es ist sehr angenehm hier am Tisch. Die beeindruckende Architektur setzt sich auch im Restaurant fort. Ich kann mich an der parallelen Linienführung der Holzbalken und den geschmackvollen Farben gar nicht satt sehen.
Die Küche von Toño Perez widmet sich in Form eines 22-gängigen Degustationsmenüs voll und ganz dem Thema Iberico-Schwein, das hier in der Region die Spezialität schlechthin ist. Das Thema ist für mich eine Überraschung; die Speisekarte war online nicht einsehbar, im Übrigen lasse ich das Kulinarische auch gerne mal auf mich zukommen.
Das Menü startet erwartungsgemäß mit ein paar Kleinigkeiten. Sie stellen den Gaumen auf ein Niveau ein, das man über das gesamte Menü nicht verlassen wird. Das weiß ich natürlich jetzt noch nicht, aber bereits ein kleiner, sehr fein gearbeiteter Leinsamen-Cracker mit einer Füllung von schwarzen Oliven und intensivem Thymian schmeckt so eindringlich nach Sonne, Sommer und Grillfest, dass das ein ernsthafter Hinweis auf Großartigkeit ist (9/10). Selbst ein scheinbar simples, fast transparentes »Sandwich« aus hauchdünnen, knusprigen Kartoffelscheiben entpuppt sich mit einer Füllung aus Ziegenkäse und etwas Dill als feinsinnigster Knabberspaß mit unerwarteten aromatischen Verzweigungen (8,9/10). Eine kleines Gebäck aus Brandteig, flüssig gefüllt unter anderem mit geräuchertem Speck und Oregano schmeckt als hätte man eine hervorragende Pizza verflüssigt und in das Gebäck injiziert – zum Augenschließen (9/10).
Dazu lasse ich mir noch ein Glas Sherry empfehlen, ein Sacristía AB Manzanilla Saca 19 (16 €) – kühl, trocken, geradlinig.
Ein weiteres Amuse-Bouches-Trio erreicht den Platz. Die Speisen sind nun sichtlich komplexer gearbeitet. Zuerst begeistert eine dichte Praline mit Thunfischbauch, Lardo, Eigelb und Kaviar. Der vom Ei noch verstärkte Schmelz des Thunfischs und das luxuriöse »Salz« ergeben am Gaumen eine Kombination, die alle Anreisestrapazen verfliegen lassen (9/10). Eine Kreation in Schmetterlingsform mit knuspriger Tapioka, Lachsemulsion und knusprigem Schwein setzt weiter auf das Thema »maritimer Schmelz und Salz« (8,9/10), und ein Spieß mit einer Terrine von Aal und Schweinefuß, dazu Apfel, ist handwerklich hervorragend umgesetzt und belebt durch eine sich erst im Nachhinein entwickelnde Schärfe (8,9/10).
In der Zwischenzeit konnte ich mich auch zu einer weiteren Weinentscheidung durchringen. Inmitten des Abschnitts zur burgundischen Appellation Romanée-Saint-Vivant, in dem viele Weine so viel kosten wie Kleinwagen, fällt mir der Jahrgang 1994 von Joseph Drouhin ins Auge. Der ist mit 490 € zwar mitnichten ein günstiger Wein – und Joseph Drouhin auch nicht der begehrteste Winzer vom Platz –, aber in Burgund zählt am Ende immer noch die Lage. Und einem fast dreißig Jahre gereiften Romanée-Saint-Vivant, ganz gleich, von welchem Erzeuger, begegnet man so gut wie nie zu einem solchen Preis.
Meine Experimentierfreude macht sich bezahlt; der Wein ist ein seltenes Erlebnis. Auch nach drei Jahrzehnten in der Flasche ist er immer noch mit der Kraft der berühmten Appellation ausgestattet, mit würzigen Aromen, feiner »Süße« und keinem Anzeichen von Müdigkeit. Schon das allein begründet seine Größe.
Der nächste Gang rankt um das Thema Mayonnaise. Diese ist in Tellermitte in Form einer kühlen Sphäre auf etwas knusprigem Schinken angerichtet, darauf wurde eine gelierte Scheibe transparenten Tomatengels gelegt. Am Tisch wird dazu eine kühle Sauce angegossen, die wiederum aus Tomate, Schinken und Mayonnaise zubereitet wurde. Bei dem Gericht geht es überraschenderweise nicht primär um Aromen, sondern eher um die Geschmacksqualitäten umami und bitter. Diese gelangen durch die Kühle besonders klar zur Geltung. Das ist auf hervorragende Weise sonderbar. (8/10)
Der nächste Happen ist schlicht etwas Schinken, der zusammen mit einer Emulsion von schwarzem Pfeffer in einer knusprigen Weizentartelette angerichtet ist. Umami, Salz und Fett bereiten hier die üppige Bühne für ein geradezu ausufernd blumiges Aroma des Pfeffers. Der Schinken von sagenhafter Qualität, mit kurzweiligen Salzkristallen, die durch etwas Fischrogen noch akzentuiert werden, sowie dem wunderbaren Pfeffer ergibt sich ein sensationeller Snack, der ein Paradebeispiel dafür ist, wie Qualitäten und Handwerk (vor allem auch die clevere Kombination von Texturen) scheinbar triviale Zutaten auf das höchste Niveau hieven können. Wo ist der Rest? (9/10)
Es folgt ein halbkreisförmiges, dünnes »Bananen-Gebäck«, auf das cremige Schweinepastete, Senfkörner und säuerlich eingelegte Gemüse platziert wurden. Da das Bananenaroma nicht auszumachen ist – vielleicht vorteilhafterweise –, ergibt sich ein leichter, knuspriger Snack mit deutlichen aromatischen Assoziationen an ein zünftiges Mahl mit Pastete, Senf und säuerlich-appetitlichen Begleitern wie Cornichons und Perlzwiebeln. Weiterhin absolut hervorragend. (8,5/10)
Eine weitere Kreation auf Teig-Basis ist ein länglicher, etwas festerer Cracker mit einem Tatar vom Schweinerücken (lomo). Das Fleisch selbst ist nicht als roh zu identifizieren, eher mariniert und mit spürbarem Biss. Der mit etwas Brunnenkresse und einer säuerlichen Creme aufgelockerte Snack erinnert geschmacklich an eine (gute) Salami-Pizza. Ein blumiges Aroma, dessen Quelle ich nicht ausmachen kann – vielleicht die Kresse –, ist die entscheidende Nuance, die auch diesen wundervoll bodenständigen Snack auf ein atemberaubendes Niveau hievt. (9/10)
Der folgende Gang ist ein besonders originelles Gebilde. Es handelt sich um eine auch von den Dimensionen her einem Taco ähnelnde Teigtasche aus Taro-Wurzel. Das kuriose, weiche Konstrukt ist, auch der Stabilität wegen, in einem Schälchen mit Sesamsamen angerichtet. Dass von diesen einige an der Teigtasche haften bleiben, ist Absicht. Die Tasche selbst ist mit einer dicklichen Tomate-Kreuzkümmel-Suppe gefüllt, einige dehydrierte Blüten dienen dabei als aromatische Dekoration, die auch etwas knusprige Textur hinzufügt. Das ist etwas kompliziert zu essen und schmeckt, vereinfacht gesagt, nach einer herausragend ausbalancierten Curry-Suppe. Aber der »Teufel« steckt auch hier im Detail: Texturen, Aromen, Handwerk, Kreativität und Verzehrspaß lassen mich auch hier verblüfft und begeistert in den Stuhl zurücklehnen. Den Romanée-Saint-Vivant erwecke ich dazu im Glas mit einigen beherzten Schwüngen. (9/10)
Mit »Pork Tonnato« folgt eine Interpretation – oder sagen wir: ein Angriff – auf den italienischen Klassiker mit Kalbfleisch. (Nicht zu) dünne Scheiben gekochten und geräucherten Schweinerückens, von der Textur her an Roastbeef erinnernd, aber saftiger und üppiger, sind hier neben einer Thunfisch-Sardellen-Emulsion angerichtet: eine samtig-cremige Sauce mit blumigem schwarzem Pfeffer. Kleine frittierte Kapern, Blüten und Kräuter bereichern weiter die umami- und säurebetonte Kreation, die ich bisher jedem italienischen Konterfei vorziehen würde. Erneut gelingt ein Transport von bodenständigen Konzepten in die Spitzenküche auf bestmögliche Art. (9/10)
Eine »Tintenfisch-Brioche« mit Tintenfischtinte und geschmortem Schweineohr vermittelt im Anschluss »Weichheit«, Wärme und ein dezentes Knoblaucharoma und erinnert von der Konsistenz her ein bisschen an einen Kalbfleischknödel. Der Ball ist durchgehend tiefschwarz gefärbt, auch innen. Dazu liefern kleine Stücke Tintenfisch-Pasta Biss, Schmelz und Kontraste. Das ist weiterhin herausragend, ohne auch nur im Ansatz das schwindelerregende Niveau zu verlassen, bei dem immer wieder eine wohlschmeckende, handwerklich geschickte und qualitativ makellose Originalität zum Leitmotiv erhoben wird. An keiner Stelle hat man zudem das Gefühl, ein »Schweinemenü« zu essen – erst recht nicht bei derart maritim geprägten Kreationen wie dieser. Weltklasse, keine Frage. (9/10)
Jakobsmuschel, knusprige Schweineschwarte, Tomaten, Kräuter und Blüten – alle moderat, aber unterschiedlich temperiert –, sind beim nächsten Gang halbkreisförmig um eine kühle, hellgrüne Sauce aus Sellerie, Zwiebel und Yuzu angerichtet. Die Sauce ist fruchtig, leicht pikant und sehr säurebetont (dennoch nicht »sauer«, sondern eher an Senföl oder Wasabi erinnernd), was das Gericht äußerst frisch wirken lässt. Die Sauce ist ein starker, passender Kontrast zu den anspruchsvoll knusprigen Komponenten aus Schwein, die man damit etwas in ihrer Wirkung zügelt. Es hilft dabei, dass die Sauce genauso lange am Gaumen persistiert wie das Zerkauen des Schweins dauert. Erneut großartig. (9/10)
Dann geht es reduzierter weiter, und schon deshalb ist das Gericht für mich eine Augenweide. Es gibt ein kleines, quaderförmiges Stück Schweinebacke in einem Jus aus Pilzen, obenauf eine Nocke Kaviar. Das gehaltvolle Fleisch wurde über einen Zeitraum von siebzig Stunden bei fünfundvierzig Grad geschmort, was eine butterzarte Konsistenz zur Folge hat. Der Rest setzt auf Bewährtes: Kaviar sorgt für nussiges Salz und weiteren Schmelz, der Pilzjus für Umami. Die Portionsgröße ist dabei genau richtig für einen derart intensiven Happen: mehr ginge nicht, weniger wäre gemein. Es ist ein perfekter und einprägsamer Happen, der Schweinebacke auf eine Ebene wie Thunfischbauch oder Kobe-Rind bringt. (10/10)
Die Komplexität wird beim nächsten Gang wieder etwas erhöht. Es gibt Hummer, der, in mundgerechte Stücke zerteilt, in einer grünen Currysauce angerichtet ist. Dazu gibt es einen Kokos-Zitronengras-Schaum, gepuffte Kichererbsen und gerösteten Brokkoli. Das Gericht duftet eindringlich nach Aromen aus der thailändischen Küche – und schmeckt auch so. Die Currysauce und vor allem auch der unscheinbare Schaum haben jeweils sehr präzise herausgearbeitete Geschmacksbilder mit authentischen, klaren Aromen und perfekter Balance. Trotz der aromatischen Intensität und einer leichten Schärfe wirkt alles sehr elegant. Garung und Qualität des Hummers sind makellos, die kurzweiligen Kichererbsen und der fast bodenständige Brokkoli mit prägnanten Röstaromen liefern spannende Kontraste. Dass der Hummer mit einer »Schweinesauce« überglänzt wurde, greift den roten Faden des Menüs wieder auf, ist aber im Grunde nebensächlich. Das Gericht ist erneut in jeder Hinsicht grandios. (9/10)
Es geht weiter mit einem bereits aus dem Jahr 1996 stammenden Rezept des Küchenchefs, erklärt dieser persönlich am Tisch. Dabei geht es um ausgelösten Flusskrebs, der in einer samtigen, cremigen Foie-Gras-Sauce auf Basis von Geflügelfond angerichtet ist. Knusprig frittierte Schweinebacke kontrastiert das Gericht sowohl in Bezug auf Texturen als auch geschmacklich, indem das knusprige, aber leicht zerteilbare Fleisch das ansonsten im Gericht sparsam verwendete Salz mitbringt – man muss nur entsprechend kombinieren. Der üppigen Sauce merkt man ihr konzeptionelles Alter an, dennoch ist sie handwerklich und geschmacklich hervorragend umgesetzt, ebenso wie die Garung des (eher selten zu begegnenden) Krustentiers. Durch dessen nussige Süße und das knusprige Fleisch ergeben sich interessante, »getreidige« Aromen. Das ist erneut ein makelloses und souveränes Gericht, das schon damals drei Sternen würdig gewesen wäre. (9/10)
Noch älter, nämlich auf Grundlage eines Rezepts aus dem 16. Jahrhundert, reicht die Idee für den folgenden Gang zurück. Es gibt geschmortes Rebhuhn »Alcántara«, eine Zubereitung, die an den Klassiker Lièvre à la royale erinnert. Das Fleisch für diesen Teller wurde so lange geschmort, bis dessen Ursprung kaum noch auszumachen ist, in seiner Anrichtweise in zylindrischer Form und mit einer dichten, dunklen Sauce überglänzt schon gar nicht mehr. Neben diversen »weihnachtlichen« Gewürzen wie Zimt und Nelke wurde das Fleisch mit einer regional hergestellten Schokolade und Portwein geschmort, was sowohl eine leicht herbe Note als auch die feine Süße erklärt. (Und irgendwo wird man hier sicherlich auch etwas Schwein verwendet haben.) Die Sauce ist ein kleines Meisterwerk, aromatisch dicht, glänzend und mit leichten Süßholzaromen. Einige saftige schwarze Trüffelscheiben aus Spanien lockern das winterliche Gericht etwas auf, ebenso wie ein separat im Glas servierter Geflügeljus. (9/10)
Man muss das Schwein aber nicht lange vermissen. Ein knuspriger, sehr fettiger Chip in Schweineoptik, der mit einer Creme aus Schinken und Oregano zusammengehalten wird, ist sehr fragil und zerfällt am Gaumen in ein knusprig-fettiges Vergnügen mit Schinkengeschmack. Das erscheint auf den ersten Bissen etwas eindimensional, aber ich schmecke darin auch die etwas karge Landschaft der Extremadura. Keine Frage, dass selbst dieser Snack nur Platz in einem Restaurant dieser Klasse hat. (8,9/10)
Das erste Dessert kombiniert ein angenehm säurebetontes »Käsekuchen-Eis« (aus Schafsmilch) mit einem Arrangement aus verschiedenen Komponenten wie Matcha-Tee-Schwämmen, Quittengelee und cremigen Käsekuchen-Sphären. Durch unterschiedliche Kombinationen der Komponenten erhält man hier immer wieder andere, aber hervorragende Erlebnisse am Gaumen, zwischen kühler und gemäßigter Temperatur, Salz und Süße und, immer im Vordergrund, verschiedenen Fruchtaromen. Meine Skepsis wegen der etwas konstruierten Anrichtweise hat sich bereits mit dem ersten Probierlöffel verflüchtigt. (8,9/10)
Das zweite Dessert kombiniert in einem länglichen Konstrukt spanische Schokolade in verschiedenen Zubereitungen unter anderem mit einer »Crème brûlée mit Schinkenfett« und frisch gemahlenem Kaffee. Von der hier nun sehr forciert klingenden Verwendung von Schinken darf man sich nicht ablenken lassen; sie trägt letztlich nur zu einem leichten Salzakzent bei, wie bei Salzkaramell. Die Schokolade ist mit einer hervorragenden Balance zwischen Fruchtigkeit, Süße und Bitterkeit ausgestattet. Ein Kaffee-Eis fügt weitere Kontraste und etwas Frische hinzu. Am Gaumen ergibt das ein besonders harmonisches Bild und großen Schokoladengenuss. (9/10)
Diverse Petit-fours – von einer Kirsche, die keine ist, über Olivenöl-Madeleines bis zu Erdbeer-Pate-aux-fruits – beenden dann das Menü. Viele davon leiden ein wenig unter einer »Trockenheit«, die man erneut fast als regionstypisch bezeichnen könnte – natürlich nur, wenn man an dieser Stelle des Menüs so guter Laune ist wie ich. Das hohe Niveau des Menüs halten die Kleinigkeiten allerdings tatsächlich nicht. (7/10)
Meine heutige Reise an diesen Tisch begann vor 19 Stunden in zweitausendfünfhundert Kilometern Entfernung. Morgen Abend sind es nur wenige Schritte. Ich zähle schon die Stunden.