Mugaritz – mit Essen spielt man
Dies ist kein Bericht über die Errungenschaften von Andoni Luis Aduriz. Dies ist ein Bericht über ein Essen in dessen renommiertem Restaurant Mugaritz. Das muss man voneinander trennen.
Dem Küchenchef-Kult stehe ich seit jeher kritisch gegenüber. Es gibt eine ganze Reihe von Restaurantgästen, die immer nur »zu dem und dem« gehen, anstatt in ein bestimmtes Restaurant. Mir liegt das fern, meist bekomme ich die Küchenchefin oder den Küchenchef ohnehin nicht zu Gesicht. Der Guide Michelin geht da ähnlich vor. Auch beim Eintrag zum Mugaritz fällt der Name Aduriz nicht. Man vergibt aber zwei Sterne für eine »sehr individuelle« und »kreative« Küche mit »avantgardistischen Techniken«.
Das Mugaritz ist in bequemen zwanzig Autominuten von San Sebastián zu erreichen. Danach wird es unbequem.
Es fängt schon alles etwas merkwürdig an, als ich zur Begrüßung gefragt werde, ob ich mir vorher noch den Garten ansehen wolle. Als ich dies bejahe, deutet man um die Ecke des Hauses. Außer ein paar Beeten mit recht durstig anmutenden Keimlingen gibt es dort aber nicht viel zu sehen. Ich frage mich (weil sonst niemand da ist), etwas übersehen zu haben. Egal, ich gehe erst mal rein.
Am Tisch bekommt man zuerst erläutert, dass etwas Arbeit auf einen zukommt. Das sagt man natürlich mit einem charmanten Zwinkern, dennoch erhält man daraufhin ein kleines, orangefarbenes Notizbuch und einen Bleistift. In dem Büchlein findet man, in alphabetischer Reihenfolge, einige mehr oder weniger mit Kulinarik verbundene Begriffe sowie deren jeweils recht philosophische, keinesfalls uninteressante, aber vor dem Hintergrund eines kurzen Darin-Herumblätterns wenig verständliche Interpretation durch den Küchenchef. Einige Erläuterungen sind freigelassen, damit man sie während des Essens selbst ergänzen kann, z. B.: (Un)algorithm:______________. Ich mag ja Algorithmen, aber jetzt bekomme ich Prüfungsangst.
Ich brauche erst mal Wasser und ein Glas Weißwein. Letzteres wird, auf Empfehlung der Sommelière, ein Txakolin Ekologikoa vom Weingut Urkizahar hier aus der Region (€ 10) – auch nicht gerade etwas zum Zurücklehnen, dafür mit griffiger, schlanker Säurestruktur. Da sitzt man wieder kerzengerade in seinem Stuhl. Man muss auch aufpassen, nicht zu schnell zu viel zu trinken, denn die Anweisung, bitte zwei Gänge, bevor man ggf. die Toilette aufsuchen möchte, dem Service Bescheid zu sagen, wurde ebenfalls postuliert.
Aus der tatsächlichen Weinkarte, die eigentlich aus drei verschiedenen Karten besteht, die jeweils über einen eigenen QR-Code aufrufbar sind, wähle ich eine Flasche 2016er Vosne-Romanée 1er Cru »Les Suchots« von der Domaine Arlot (€ 300). Die Weinkarte ist für spanische Verhältnisse mit vergleichsweise hohen Aufschlägen kalkuliert. Erstaunlich ist, dass man auch hier eine beträchtliche Menge Romanée-Conti vorrätig hält, bis hin zu zweiundzwanzigtausend Euro pro Flasche für recht aktuelle Jahrgänge. Von einem der seltensten Weine der Welt scheint eine Menge nach Spanien zu fließen.
Erste Speisen des (nicht einsehbaren) Menüs (€ 220) erreichen den Tisch. Eine Stange Lauch ist gekocht und mit etwas Frühlingszwiebel und Salbeibutter aromatisiert; das ist naturnah und sehr schlicht (6,5/10). Deutlich spannender ist ein Zweig Rosmarin, den man in eine sehr klebrige Safrancreme getunkt und dazu Blüten angerichtet hat. Man lutscht die Safranmischung von dem Zweig ab und erlebt einen intensiven, durch die ätherischen Aromen des Rosmarins verstärkten, etwas »harzigen« Safran-Geschmack. Ziemlich gut. (7/10)
Als nächstes bekommt man eine aufklappbare und mit Kräutern dekorierte Papierkarte serviert, aus der einem eine Art Esspapier entgegenfällt, in das überwiegend Salbei eingearbeitet wurde. Entgegen seines zerbrechlichen Aussehens ist das Konstrukt scharfkantig, zäh und trocken, sodass man Mühe hat, überhaupt ein Stück davon abzubeißen, ein bisschen wie beschichteter Karton. Das kleine Stück, das es mir abzubeißen gelingt, klebt nervig am Gaumen und zwischen den Zähnen und löst sich erst mit etwas nachgespültem Wein auf. Ein schlechter Scherz. (5/10)
Der nächste Gang ist ein Gemisch aus Pinienkernen und Kaviar unter etwas festeren, irgendwie karamellisierten Apfelsplittern. Zu meinem Befremden ist die Kreation wie eine Augenbinde auf einem Porzellangesicht angerichtet. Zum Glück bekommt hier jeder dasselbe zu essen, dennoch schaue ich mich etwas beschämt um und stoße auf ähnlich verdutzte Blicke. Interessant ist auch, dass der Service die Idee hinter den Gängen nicht erläutert. Man muss also eigene Interpretationen finden, ein wenig wie bei einer Ausstellung – vielleicht eine beabsichtigte Parallele. Die Speise ist für sich betrachtet recht stimmig, der jodig-salzige Kaviar passt gut zu den saftigen Pinienkernen. Das letzte Fischei kratze ich aus den Augenhöhlen. (6,9/10)
Es folgen Snacks auf drei kleinen Holztabletts. Eine Kreation aus frittiertem Blätterteig ist sehr fettig, geschmacksneutral und erneut enorm kaubedürftig. Wie zuvor beim Esspapier muss man mit seinen Zähnen kräftig daran herumreißen, um ein Stück abzubekommen. Die phallische Spargelspitze auf dem zweiten Tablett ist offenbar roh und schmeckt interessanterweise nach Erbse. Die dritte Speise – ein schlecht, weil pappig, frittiertes Artischockenherz – demonstriert dann ganz unverblümt mangelhaftes Frittierhandwerk. (Wenn das ein japanischer Tempura-Meister sähe.) Das Beste an diesem seltsam unzusammenhängenden Allerlei sind zwei winzige Herzmuscheln mit einem säuerlichen Gelee. Sie schmecken erlösend frisch. Eigentlich alles eine Farce. (6/10)
Inzwischen habe ich auch langsam Appetit, befürchte aber, dass das Stillen eines solchen hier nicht oberste Priorität genießt. Stattdessen ist eine gefrorene Hühnerpastete mit frischen Kräutern erst einmal schmerzerfüllend kalt an den Zähnen und schmeckt nach dem, was es ist: Hühnereis. In einem weiteren Schälchen gibt es rohe, kleine Garnelen von erkennbar hochwertiger Qualität, die mit ihrem von Natur aus blauen Rogen und einer extrem süßen, klebrigen Sauce serviert sind. Das ist in Summe erneut eher befremdlich als köstlich, dennoch zumindest essbar. (6,5/10)
Drei pralinenartige Speisen folgen. Die erste, die ich davon probiere, ist eine Halbkugel aus Schinkenfett und Erbse, die ich als eines der scheußlichsten Dinge behalten werde, die ich mir jemals in den Mund gesteckt habe. Die Praline hat eine feste, schmierige Konsistenz, wie eine Mischung aus Kerzenwachs und Seife. Man verspürt einen unmittelbaren Reflex, den Fremdkörper aus seinem Mund zu entfernen, doch den dafür angebrachten Gang zu den Waschräumen habe ich vor zwei Gängen leider versäumt, anzukündigen. Auf eine Art erlösende Überraschung wartend, lasse ich mich daher auf den Verzehr der Masse ein und bezahle das mit einem beißenden Geschmack von ranzigem Fett, den ich auch nach Stunden nicht loswerde. Ganz ähnlich dürfte es schmecken, wenn man einen Löffel erkalteten, erhärteten Fetts aus der Fritteuse einer Pommesbude probiert. Von der erwähnten Erbse ist weit und breit keine Spur. Ein ähnlich krasses Erlebnis bietet dazu ein großes Stück Rogen mit einer weißen Getreidecreme (»aus Mexiko«), das mit einem intensiv fischigen Geschmack an manch teure Delikatesse aus japanischen Kaiseki-Restaurants erinnert – immerhin. Ein würfelförmiges Stück »Rogen-Tempura« mit Eigelb fasst die Erlebnisse »ranzig« und »fischig« dann noch mal treffsicher zusammen. Abgesehen davon, dass das alles abscheulich schmeckt, ist es schwer vorstellbar, dass man in einer Restaurantküche derartige Speisen abnickt, um seinen Gästen eine kulinarische Freude zu bereiten. (5/10)
Es folgt die nächste Absurdität. Auf einem Holzbrett liegt eine weiße, membranartige Masse, die an verschiedene unappetitliche Dinge erinnert. Da es kein Besteck gibt, muss man die gallertartige Substanz irgendwie mit den Fingern in seinen Mund befördern. Das Zeug besteht aus Sake, den man dazu auch ins Glas eingeschenkt bekommt. Dort sagt er mir mehr zu, die Sake-Haut bleibt zum größten Teil liegen. Daneben finde ich noch eine rohe Garnele, die auf einer gelben, haarigen Masse mit Reis angerichtet ist. Ich probiere sogar das und finde nichts als schleimige Textur vor. Dass die Teller kaum angerührt abgeräumt werden, zieht keine Rückfragen vom Service nach sich. Vermutlich ist man das hier gewohnt. (5/10)
Ein bisschen halte ich noch durch. Als nächstes kommt ein zumindest annähernd nach Essen aussehender Gang. Es gibt ein Stück Zackenbarsch, der in einem heißen Gusseisenschälchen angerichtet ist. Jegliche Hoffnung auf etwas Normalität wird schnell im Keim erstickt, oder vielmehr in der fettig-tranigen Sauce, in der der Fisch schwimmt. Der wiederum ist trocken und übergart, ein erneuter handwerklicher Fehler, über den weder das ganze Fett noch die weiteren Dinge wie die zu knusprigen Flocken verarbeitete Haut und eine gallertartige Zubereitung am Boden des Schälchens hinwegtrösten können. Immerhin gibt es Besteck dazu. (5/10)
Ich wäge ab, das Essen abzubrechen und den Rest des Weins mitzunehmen, aber meine Fassungslosigkeit über das Erlebte ist eng mit der Neugier verknüpft, ob nicht doch noch irgendetwas Spannendes heute Abend passiert. Zum ersten Mal in einem Restaurant halte ich eine versteckte Kamera allen Ernstes für plausibel.
Wie sollte man das auch nicht, angesichts weiterer Gänge, wie zu einer Kugel gepressten rohen und schleimigen Tintenfischscheiben, die zusammen mit einem Kardamom-Kuchen mit Mascarpone erneut nur zum Stehenlassen des Gerichts animieren? (5/10)
Oder wie wäre es mit einem „Tierkuchen“ mit Eigelb und irgendetwas Knusprigem? Mehr verrät man tatsächlich nicht. Ich probiere das alles. Aber außer schleimigen, fettigen Texturen sowie faden oder extrem fischigen Geschmacksbildern hat man hier fast nichts zu bieten. (5/10)
Ich habe inzwischen aufgehört, mir Notizen zu machen.
Irgendwann gibt es noch einen Gang mit Rind. Es ist zäh und geschmackneutral. Dazu gibt es, in einem Knochen serviert, eine Vanille-Bananen-Creme. Und hätte ich mir zu diesem Gang kein Besteck bestellt, würde ich jetzt an dem Knochen lutschen und hätte ein paar Pilze auf dem Fußboden verteilt. (5/10)
Ein Karottendessert in Fingerform gibt dem Gast dann den Rest. Vermutlich soll das ein Mittelfinger sein, vielen Dank auch.
Es ist beschämend. Wie kann man als Koch Zutaten derart missbrauchen? Wie kann man Speisen servieren, die größtenteils ungenießbar sind? Es fühlt sich so an, als sei das gesamte Essen eine (teure) Persiflage, die sich über sich selbst und die Gäste lustig macht. Soll Selbstironie vielleicht die Idee des Menüs sein? Oder lautet die Absicht, sich überhaupt solche Fragen zu stellen? Kritische Reflexion als Rechtfertigung für ein überwältigend schlechtes Menü? All diese Motive haben für mich in einem Zwei-Sterne-Restaurant nichts zu suchen.
Vielleicht sind diese zwei Sterne auch das einzige Problem am Mugaritz. Immerhin darf ein Küchenchef tun und lassen, was immer er möchte. Aber eine Küche, die so wenig Respekt vor Produkten und Gästen zeigt, ist ganz sicher keine »Spitzenküche«, die einen »Umweg wert« ist. Sie ist banal, unverschämt und entbehrlich. Etwas anderes fällt mir dazu beileibe nicht ein. Und jetzt reicht es mir auch. Zwei Gänge würden noch folgen, aber davon möchte ich nichts mehr mitbekommen. Ich hoffe, das rechtzeitig angekündigt zu haben.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Mugaritz (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Andoni Luis Aduriz |
Ort: | Errenteria (Rentería), Spanien |
Datum dieses Besuchs: | 25.05.2022 |
Guide Michelin (ES 2022): | ** |
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