Blue Bay – Martinique in Monaco
»Blue Bay«: Das klingt nach Las Vegas oder Miami, und wenn man durch die Lobby des Monte-Carlo Bay Hotel & Resort spaziert, fühlt es sich auch ein bisschen so an. Den Einrichtungsstil betreffend erstaunt es, dass das Hotel erst im Jahr 2006 seine Pforten eröffnet hat und nicht zwanzig Jahre früher. Entgegen seines Namens befindet sich das Hotel übrigens nicht im Stadtbezirk Monte-Carlo, sondern in Larvotto, direkt an der Grenze zur französischen Gemeinde Roquebrune-Cap-Martin.
Das Hotelrestaurant Blue Bay geriet in den Fokus meiner Aufmerksamkeit, weil der Guide Michelin gerade den zweiten Stern zückte und ich ohnehin plante, nach Monaco zu reisen. Nach der Schließung des Restaurants von Joël Robuchon im Hôtel Métropole vor zwei Jahren, ist das Blue Bay derzeit das einzige Zwei-Sterne-Restaurant in dem Stadtstaat. Noch viel mehr als diese bloße Auszeichnung interessiert mich jedoch, dass der von Martinique stammende Küchenchef Marcel Ravin hier seine karibische Herkunft in eine ansonsten mediterran geprägte Küche einfließen lässt – so zumindest die Informationen auf der Website. Ich war bereits öfter auf der französischen Insel und schätze karibische Aromen seit jeher. Wie sehr Ravin seine Wurzeln in die Küche einbringen wird, bin ich daher äußerst gespannt, herauszufinden.
In dem sachlich-schlichten Ambiente des Restaurants sitzt es sich bequem, aber unspezifisch. Auch der auf der Website suggerierte Meerblick ist an diesem Abend nicht auszumachen.
Im Dialog mit dem Sommelier zeichnet sich eine recht magere offene Weinauswahl ab; meine Wahl fällt letztlich auf ein Glas 2016er Pouilly Fumé »Indigène« von der Domaine Pascal Jolivet (€ 25). Ein erfrischendes alkoholfreies Kräutergetränk wird dazu ebenfalls gereicht.
Die in einem goldenen Tischaufsteller eingefasste Menükarte – nicht ganz so stilsicher wie bei Ducasse – präsentiert zwei Menüs, von denen das kleinere (€ 145), trotz unterschiedlichen Titels, einfach nur eine Teilmenge des größeren darstellt (€ 195). Das herauszufinden ist weder problematisch noch kompliziert, aber in dieser Präsentationsform etwas ungewöhnlich. Meine Wahl fällt auf die etwas kompaktere Variante.
Es geht los mit verschiedenen Amuse-Bouches, die sukzessive serviert werden. Ein leicht knuspriger Tapioka-Cracker zeichnet mit einem makellosen Tartar von der Meeräsche und Gels von Mango und Habanero ein fruchtig-pikantes Bild von der Karibik (8/10); danach schwenkt ein am Spieß aufgewickeltes Stück von gegrilltem Tintenfisch mit einer Creme aus Tintenfischtinte und subtil integriertem schwarzem Knoblauch zurück hierher ans Mittelmeer (7/10).
Eine »Crème brûlée« mit Artischocke ist geschmacklich vergleichsweise uninteressant und lässt auch durch die Abwesenheit einer knusprigen Schicht kaum Vergleiche zum namensgebenden Dessert zu (6,9/10); eine Tartelette mit einem Kurkuma-Süßkartoffel-Püree, gehobeltem schwarzem Trüffel und Pecorino spielt sehr gelungen mit exotischen Aromen auf einer Basis von Süße und Umami (7/10).
Nach diesem fein gearbeiteten Auftakt, der deutlich mehr Komplexität zutage trägt, als man es von mediterran geprägten Restaurants aus dieser Region gewohnt ist, folgt ein Gang um die Protagonisten Erbse und Garnele. Auf einem der beiden Teller findet man eine große Portion junger, knackiger Erbsen von erkennbar fabelhafter Qualität. Die Erbsen versprühen ein faszinierendes, ein wenig an Chlor oder Kampfer erinnerndes Aroma, das man bei intensiv schmeckenden Erbsen oft vorfindet. Diese liegen in einem ebenfalls grünen Sud, in dem einige Blüten hübsche und leicht bittere Akzente setzen. Diese etwas »schroffen« Assoziationen werden dabei wunderbar durch die Süße ausgeglichen, die den Erbsen ebenfalls innewohnt. Zu diesem großartigen Teller braucht es eigentlich nicht mehr, aber auch der zweite – mit rohen Garnelen, tatsächlich überflüssigen »Schwämmen« aus Plankton, und, deutlich besser, einer chilischarfen Creme – bereitet ebenfalls Laune. Exzellente Qualitäten, makelloses Handwerk und erstaunliche Komplexität. (8/10)
Aus der vergleichsweise fair bepreisten Weinkarte bereitet mir in der Zwischenzeit ein 2012er Volnay 1er Cru »En Caillerets« von der Domaine de la Pousse d’Or (€ 190) Freude.
Beim nächsten Gericht ist weißer Spargel das Leitmotiv. Entgegen mancher Annahmen, existiert auch dieser in Qualitäten, die weit über ein »bürgerliches« Niveau hinausgehen. Auf diesem Teller wurde eine Stange in mehrere Stücke zerteilt, die senkrecht auf dem Teller platziert sind. Dies weist bereits auf die entsprechend feste, knackige Garung hin. Der Spargel, der eine erstaunliche Eigensüße mitbringt und damit ein wenig an die vorherigen Erbsen erinnert, steht in einer cremigen Sauce auf Crême-fraîche-Basis, die mit Bottarga, gehobeltem Piment und weiteren Gewürzen eine warme Exotik ausstrahlt. Ganz hervorragend. (8/10)
Für den letzten herzhaften Gang bestand die Wahl zwischen einem Gericht mit Kalbsbacke und Gänseleber und, meiner Auswahl, dem »Tagesfang« aus dem Meer. Dieser präsentiert sich in Form von Dorade, deren Zubereitung an ein blaff de poissons angelehnt ist, eine Spezialität der französischen Antillen, bei der in Säure marinierter Fisch (ein wenig wie bei Ceviche) im Anschluss noch in einer Bouillon pochiert wird. Für dieses Gericht wurde dazu auch etwas Kokoswasser verwendet, das sich geschmacklich allenfalls subtil bemerkbar macht. Die säurebetonte Zubereitung ist eigentlich das erste, das einem hier geschmacklich auffällt, neben der ungewohnten, aber sehr gut passenden »gedämpften« Textur des Fischs. Die Säure wird weiter durch pochierten Rhabarber und Taro-Blätter unterstrichen, die eine leichte Bitterkeit hinzufügen. Dabei gelingt es der Küche, unter anderem durch ein mildes Kräuteröl, dass die Säure zwar im Mittelpunkt steht, aber nicht überhandnimmt. Ein Cracker, der die Dorade noch einmal in marinierter Form als Tartar, zusammen mit einer fruchtigen, scharfen Chilisauce präsentiert, macht dazu ebenfalls Laune. Auch dieses Gericht passt mühelos zu den hohen Weihen des Restaurants. (8/10)
Ein Sorbet aus Sauerampfer geht dann – geschmacklich und handwerklich äußerst gelungen – der Idee eines »Gaumenreinigers« nach. Der Sauerampfer ist klar, präsent und kühlend; ein mild-süßlicher Maniok-Schaum und ein knuspriges Gebäck mit Honig schlagen dann die Brücke zur Patisserie. (8/10)
Das Dessert mit dem Titel »Le chocolat de mon enfance à la Martinique« (»Die Schokolade aus meiner Kindheit auf Martinique«) schließt das Menü mit einer Variation verschiedener Schokoladenzubereitungen ab, die, wenn man fertig ist, nur einen Schluss zulassen: Das war Weltklasseniveau. Wenngleich ich mir, gerade hier, ein Dessert um tropische Früchte erhofft hätte, sind die dunklen Petitessen – als Küchlein mit flüssigem Kern, als geschichteter Kuchen, als Eis, und, am allerbesten, als flüssige, lauwarme »Tunke« für ein süßes Gebäck – unwiderstehlich. Die verwendeten Schokoladensorten sind exzellent, an vielen Stellen blitzt wieder eine »exotische Wärme« auf, zum Beispiel durch eine zurückhaltende Verwendung von Kardamom oder anderen Gewürzen. (8,9/10)
Weitere süße Leckereien folgen in Form von Pralinen (Schokolade-Erdnuss sowie Ingwer-Karotten-Gelee) und noch einmal einem ganzen Kuchen mit Rosinen und Pinienkernen à la provençale. (8/10)
Die Patisserie ist hier wirklich auf sagenhaftem Niveau, wenngleich ich an dieser Stelle froh bin, nicht das noch umfangreichere Menü bestellt zu haben.
Das Blue Bay ist ein hervorragendes Restaurant in einer skurrilen Umgebung. Mit einem für Monaco fast schon übersehbaren Menüpreis, für den man im Le Louis XV - Alain Ducasse gerade mal manche Vorspeise erhält, geht das Blue Bay regelrecht als Geheimtipp durch. Ganz sicher ist es nur eine Frage der Zeit, bis das Management die Preise saftig anzieht. Selbst die Michelin-Plakette am Eingang zeigt noch den einen Stern vom letzten Jahr. Es wirkt fast so, als sei der Küchenchef in die zwei Sterne hineingestolpert. Er ist sanft gefallen, so viel steht fest.
Informationen zu diesen Besuchen | |
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Restaurant: | Blue Bay (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Marcel Ravin |
Ort: | Monaco |
Datum dieser Besuche: | 16.04.2022 |
Guide Michelin (F/MC 2022): | ** |
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