Zén – zehn für Björn
Ausgerechnet heute Abend mache ich den Fehler, den einen Kilometer zum Restaurant zu Fuß zu gehen. Das Zén ist eigentlich nur die Straße runter, immer geradeaus. Keine große Sache. Doch die Luftfeuchtigkeit ist so hoch, dass man den Eindruck hat, feiner Nieselregen schwebte in der Luft. Die Temperatur von dreißig Grad spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Einige Baustellen mit nicht gerade fußgängerfreundlicher Umleitung und schmale Gehwege mit lauter Stolperfallen reißen mich immer wieder aus meiner Konzentration heraus, bloß nicht ins Schwitzen zu geraten. Man merkt das kaum. Es ist nicht so, dass mir der Schweiß von der Stirn ränne. Man wird einfach nur ganz langsam immer nasser.
Klitschnass stehe ich schließlich vor der Haustür des Zén, das zweite Drei-Sterne-Restaurant von Björn Frantzén, ehemaliger Fußballspieler und aktueller Koch-Superstar aus Schweden. Ausgerechnet. Ausgerechnet hier musste ich es darauf ankommen lassen.
Ich war schon heute Mittag vor Ort, nach meinem Essen im Burnt Ends gleich um die Ecke, und bin vor dem Zén herumgeschlichen. Ich mag das. Ein paar Stunden vorher schon mal gucken. Ein paar Fotos machen, die man später vielleicht nicht machen kann, weil irgendjemand schon in der Tür steht, um einen zu empfangen. Schon mal den Aushang der Speisekarte fotografieren, damit man das später nicht mehr am Platz machen muss. Was man hat, hat man.
Aber hier steht niemand im Eingang, auch heute Abend nicht. Und einen Speisekartenaushang sucht man genauso vergeblich wie überhaupt den Hinweis auf ein Restaurant, das heißt, nicht irgendein Restaurant, sondern eines der besten der Welt. Das meint zumindest der Guide Michelin seit Kurzem. Und wer das Frantzén in Stockholm kennt, das Stammhaus, sozusagen, wird an dieser Einschätzung kaum Zweifel haben. Ein kleiner Springbrunnen vor dem schlanken, wohnhausartigen Gebäude weist auf das Wortspiel des Restaurantnamens hin: Zén, das klingt nach Buddhismus, Meditation und Ruhe, es ist aber natürlich vor allem die letzte Silbe von Björn Frantzéns Nachnamen.
Ich klingle.
Man öffnet. Ich trete ein. Mein erster Eindruck: Es ist etwas »gesitteter« als in Stockholm, wo im Eingangsbereich Kühlschränke mit Tierkadavern hängen, nicht provozierend, aber wie beim Schlachter.
Hier in Singapur sorgt eine Optik mit viel hellem Holz und warmer Beleuchtung für Gemütlichkeit. In einer Art »Aperitifzimmer« nimmt man erst einmal Platz, weiter hinten befindet sich die (relativ kleine) Küche. Das ist insoweit überraschend, als man beim Frantzén erst auf der zweiten Etage die Küche zu sehen bekommt und tresenartig um diese herum sitzt, immerhin das zentrale Thema des gastronomischen Erlebnisses dort. Obwohl man auch hier im Zén durch mehrere Etagen geführt wird – hier unten ist zumindest kein Platz, um zum Essen – ist das Erlebnis in Singapur also keine Kopie des Pendants in Schweden. Das ist für diejenigen, die auch das Frantzén kennen, erfrischend.
Ich bin immer noch völlig zerzaust, verschwitzt, muss mich kurz entschuldigen, kann aber nicht viel retten. Aber es wird schon werden, ein Glas Jahrgangs-Champagner (2013 Jacquesson »DIZY Terres Rouges«, ca. € 55) als eine von drei Optionen leistet erste Hilfe. Snacks werden auch schon gereicht. Ich bin eigentlich noch gar nicht bei der Sache.
Der erste Happen ist ein Blini mit Tatar von mittelfettem Thunfisch (chūtoro) aus Hokkaido, der mit Binchōtan-Holzkohle abgeflämmt und mit einem Dressing aus Aprikose, Ponzu und Zitrone abgeschmeckt wurde. Getoppt ist alles mit Kaviar, Perillablüten und frischem Wasabi. Die Kombination aus üppigem Schmelz, luxuriösem Salz, appetitanregender Säure, eleganter Schärfe und charmant floralen Aromen ist umwerfend gut. So, wie César Ramirez, den man gut und gern als Urheber für diese Art von Kreation im Hinterkopf haben darf, bekommt das aber niemand hin. (8,9/10)
Snack Nummer zwei ist ein Klassiker von Björn Frantzén, ein Röllchen aus frittierten Kartoffelfäden mit Maränenrogen (Kalix Löjrom) und roter Zwiebel. Die Kreation ist dem bodenständigen Kartoffelpuffergericht råraka entlehnt, das im Wesentlichen aus den gleichen Zutaten hergestellt wird. Aus irgendeinem Grund ist das Röllchen, das in Stockholm zuletzt großartig war, hier geschmacklich nicht ganz gelungen, da der Frittiergeschmack die anderen Zutaten überlagert. Mehr als sehr gut ist das dennoch. (7,5/10)
Und dann zieht das Niveau auf einmal auf das Maß an, das man sich hier endgültig erhofft. In einer mit Bier gebackenen croustade (Teigkörbchen), fragil, leicht und knusprig, findet man Stücke von gegrilltem und mit brauner Butter aromatisiertem Hummer, dazu Yuzu, grüner Sansho, eine Ingwer-Butter-Emulsion und Artischocke »barigoule« (mit wiederum allem, was dafür erforderlich ist). Man fragt sich, ob das alles nötig ist, um den Genuss zu erfahren, für den die Petitesse verantwortlich zeichnet. Ginge es allein um Butter, Hummer und Säure, könnte man das verneinen, aber dieser Snack enthält erstmals diese Extraportion »Magie«, die in so vielen von Björn Frantzéns Speisen zu finden ist. Dabei spielen florale, frische und flüchtige Aromen, die schwer zu entschlüsseln sind, eine entscheidende Rolle. Ich bin wach. Ich bin angekommen. (9/10)
Nun werde ich in Richtung Küche gebeten, wo in einer Auslage die Hauptzutaten des Abends präsentiert werden. Diese Geste wurde inzwischen oft kopiert, aber nichts tut so gut, wie sie hier beim Urheber zu erleben. Ich staune über Matsutake-Pilze, frischen Wasabi, Seeteufel, Jakobsmuschel, satt marmoriertes Rind, surreale japanische Früchte und viele scheinbare Kleinigkeiten am Rande. Natürlich ist das alles nur die Spitze des Eisbergs.
Während man hier steht und der charmant vorgetragenen Präsentation folgt, gibt es weitere Gaumenfreuden. Ein Kombu-Beignet mit Foie Gras, Muskatnuss, geräuchertem Ahornsirup und schwarzem Trüffel ist zunächst so famos wie simpel (9/10). Das folgende Algen-Schiffchen (gunkan) enthält verschiedene Schichten: eine buttrige Roggenbrioche als Basis, darauf in Bienenwachs gereiftes und als Tartar verwendetes Reh, das mit Nussbutter, Schalotten, Schnittlauch und Zitrone gewürzt ist, dann noch gegrillten Aal mit Rettich, sowie, einzig sichtbar, kleine Apfelkügelchen, die mit Birne-Mandel-Kombucha und Holunder aromatisiert sind. Wenngleich diese Zutatenliste am Gaumen nicht so detailliert identifizierbar ist, ergibt sich ein Gesamteindruck, der keine andere Regung zulässt, als der Küche schon jetzt endgültig zu verfallen. Besonders das oszillierende Spiel zwischen leichter Fruchtsäure und »fischig-süßem« Aal, aber auch das Nori-Blatt, das einen unweigerlich in eine japanisch maritime Welt entführt, lassen mich etwas sprachlos da stehen. Dass man mein fast leeres Champagnerglas in diesem Moment noch einmal auftoppt, kommt mir gerade recht. (10/10)
Ich werde ins nächste Stockwerk geführt. Meine Überraschung ist groß, als ich dort akkurat gedeckte Tische in sachlich schlichtem, aber durchaus gemütlichem Ambiente vorfinde. Mit dem lässigen Tresen des Frantzén hat das spätestens jetzt nichts mehr zu tun. Frantzén kann auch fine dining, wenn man das so nennen will, wenn im Hintergrund Black Sabbath und David Bowie laufen. Das internationale, junge Team ist dabei so charmant und humorvoll, dass man Lässigkeit nicht lange suchen muss.
Den Rotwein, mit dem ich gleich den Rest des Essens begleite, ist ein 2015er Morey-Saint-Denis 1er Cru »Clos de la Bussière« von der hervorragenden Domaine Georges Roumier (ca. € 390). Jetzt heißt es zurücklehnen und der Dinge harren, die da kommen.
Das Menü (480 SGD, ca. € 311) beginnt mit einem crudo von gereifter und mit Ponzusauce und Arabica-Kaffee marinierter Stachelmakrele. Das auf einem Kräuteröl platzierte Sashimi ist unter Lachsrogen und Rettich versteckt, der Kellner komplettiert das Gericht am Tisch mit dem Abrieb von frischer Bergamotte und Perillablüten. Hier ist er wieder, der parfümartige, zauberhafte Duft. Am Gaumen frappiert das Gericht mit einer glasklaren handwerklichen Perfektion und einem intensiven Erlebnis von Frische und Harmonie. Björn Frantzén bringt oft vergleichsweise viele aromatische Komponenten in einem Gericht unter, doch das gelingt ihm stets so, dass das Hauptprodukt mit all seinen Attributen erkennbar bleibt und alle Aromen wie bei einer Tonart miteinander harmonieren. (10/10)
Der nächste Gang ist ein Chawanmushi mit Baby-Abalone und Seeigel. Das heiße Gericht duftet nach meiner bei Seeigel immer präsenten Assoziation mit einem Hafenbecken, aber auch nach Jod, nach Dashi und abermals einem ganzen Bouquet von Geheimnissen. Lässt man diese einfach auf sich wirken, kann man auch hier nur noch entspannt die Augen schließen und die wundersamen und raren Zutaten ihre wohltuende Wirkung entfalten lassen. Hitze, unterschiedliche Texturebenen, anspruchsvolle Bitterkeit, etwas Säure und seltene Spitzenqualitäten sind hypnotisierend. (10/10)
Später recherchiere ich weitere Details. Das Chawanmushi wurde mit Milch aus Hokkaido (der Hauptstadt des Schlaraffenlands), Kombu und Katsuobushi hergestellt, darüber hat man eine Suspension aus mit Kuki Hojicha (Überbleibsel von der Tee-Herstellung) aufgekochtem Blumenkohl-Dashi und Schnittlauchöl angegossen. In dem Chawanmushi befindet sich wiederum Tokubushi (Baby-Abalone), die in Ingwer-Dashi gegart, über Binchōtan gegrillt, mit Meerrettich-Tare (einer Würzsauce) glasiert und mit brauner Butter und Zitrone abgeschmeckt wurde. Eine Emulsion aus gegrillter und mit einer Mischung aus weißer Sojasauce, Sake und Mirin »mazerierter« Abalone-Leber findet man auch noch. Irgendwo. Es ist ja nicht so, dass diese Komponenten allzu sichtbar wären. Deutlich erkennbar ist schließlich der Seeigel obenauf, genauer Ensui Bafun Uni aus Hokkaido, und, für die Frische, Himenegi (eine dünne Lauchart) sowie Schnittlauchblüten. Dieser irrsinnige Aufwand findet auf einer Ebene statt, bei der eine ohnehin schon großartige Komposition mit weltbesten Zutaten noch weitere Optimierung erfährt, die man weder für nötig noch für möglich hält.
Das raubt mir alles den Atem. Es sind Gerichte wie diese, die Reisen nicht nur wert sind, sondern bedingen. Derartiges kann man nur in wenigen Spitzenrestaurants der Welt erleben. Ich bin glücklich, hier zu sein. Die Playlist spielt gerade Don’t Look Back in Anger von Oasis, draußen schwitzt das Wetter, kann mir aber hier drinnen nichts mehr anhaben.
Dass die Gerichte hier immer individuell am Tisch von Köchen fertig gestellt werden, schlägt charmant die Brücke zwischen klassischem Essen am Tisch und dem Essen am Tresen vor einer Showküche.
Der nächste Koch kommt mit einem Tablett, auf dem sich ein kleiner Holzkohle-Tischgrill mit einer Jakobsmuschel sowie acht Töpfe und Schälchen befinden. Die Jakobsmuschel ist bereits fertig gegart und wird hier nur noch warmgehalten. Sie wird mit einer würzigen Fischsauce (Garum) bepinselt und mit dehydriertem Rogen, frittierten Chrysanthemenblättern, Australischer Fingerlimette, Fichtensprossen und wiederum frischen Chrysanthemenblättern getoppt, bevor sie dann auf dem Teller auf eine Kürbis-Seeigel-Creme platziert wird. Die erneut aus Hokkaido stammende Jakobsmuschel ist von einer derart herausragenden Qualität, dass ich Mühe habe, Vergleiche zu finden. Ihre Textur ist deutlich weicher als man das sonst kennt – fast, wie das Weiße eines Frühstückseis –, was aber spannungsvoll durch die ungewöhnliche, knusprige Zubereitung mit den frittierten Blütenblättern kontrastiert wird. Auch geschmacklich geht es mit dem süßlichen, milden Geschmack der Ausnahmemuschel und der würzig-pikanten, leicht jodigen Creme um Kontraste, die sich am Ende harmonisch zusammenfügen. Schlicht sensationell. (10/10)
Mit »Zwiebel, Mandel & Lakritz« gibt es dann einen Klassiker von Frantzén, der hier handwerklich noch einmal präziser umgesetzt ist, als ich es zuletzt in Stockholm erlebt habe. Karamellisierte Zwiebeln in verschiedenen Texturen, Mandelschaum und Süßholzsahne ergeben eine perfekt zwischen Süße, Säure und Röstaromen auskalibrierte Kreation, die zum Augenschließen großartig ist. Man benötigt hier keine luxuriösen Zutaten, sondern nur das süffige Zusammenspiel der Komponenten. Die Kreation ist seit jeher unvergesslich, aber Erinnerungen aufzufrischen, ist in diesem Fall ganz nach meinem Geschmack. (10/10)
Als nächstes folgt ein Gericht um Seeteufel. Die ohnehin schon hohe Qualität des Fischs in Verbindung mit einer längeren Reifung und der Zubereitung über dem Holzkohlegrill führt hier zu einer für Seeteufel ungewohnt zarten Textur – ohne, dass dabei die charakteristische »Fleischigkeit« des Fischs verloren ginge. An die zwei daumendicken Tranchen wird am Tisch eine buttrige Vin Jaune-Sauce angegossen, anschließend wird der Gang mit hauchdünnen Scheiben Matsutake-Pilz sowie großzügig gehobeltem weißem Alba-Trüffel vollendet. Das Gericht ist geschmacklich und qualitativ erneut am Anschlag, doch es gibt eine kleine Nachlässigkeit: Das Gericht ist nicht warm genug – es fehlen wenige Grad –, weswegen sich unter anderem auch der Trüffel aromatisch nicht optimal entfalten kann. Vielleicht hat mein kurzes Verlassen des Platzes zuvor etwas durcheinandergebracht, was auf diesem Niveau aber nicht passieren dürfte. Wegen der grandiosen Qualitäten spielt sich das trotz allem auf einem Weltklasseniveau ab. (8,9/10)
Für den Hauptgang gibt es ein über Holzkohle gegrilltes Stück Wagyu-Sirloin mit Marmorierungsgrad A5 aus der japanischen Präfektur Hyogo. Zu dem Fleisch, zu dem man sein Messer aus einer Auswahl von zwölf unterschiedlich gestalteten Exemplaren aussuchen kann, gibt es etwas belebenden Wasabi, ein Püree aus weißer Rübe sowie eine mit Foie Gras abgebundene sauce vierge auf Ochsenschwanzbasis mit Bärlauchknospen (wenngleich ich den Zusammenhang zu einer sauce vierge hier nicht ganz nachvollziehen kann). Das Gericht bietet eine Fleischqualität der Superlative, selbst das glatte Püree ist spannender, als es den Anschein hat. Lediglich die Sauce wirkt geschmacklich ein wenig »dünn« (bei etwas unnatürlich wirkender Textur) und verwundert damit an dieser Stelle etwas. Wenn man die Proportionen der Komponenten selbst optimal justiert, indem man zu einem Stück des Weltklassefleischs nur ein wenig von dem Püree und einen Tupfen der Sauce aufnimmt, bleibt jedoch kaum ein Makel erkennbar. (8,9/10)
Ambiente, Musik, Personal, Ausnahmequalitäten, Wein, Atmosphäre: Der Abend ist ein Rausch – und noch längst nicht vorbei.
Das berühmte Toast mit schwarzem Trüffel weicht hier saisonbedingt einer Version mit Foie Gras, Aal und einer Scheibe »doppelt marinierten« Rinds. Das Marinieren hat das rohe, fetthaltige Wagyu-Fleisch in eine schinkenähnliche Textur überführt, nur zarter, und mit noch mehr Schmelz als der beste Iberico-Schinken. Zusammen mit den weiteren Komponenten – dem mit Cevenne-Zwiebeln gespicktem, in Butter gebratenem Toast, dem süßlichen Aal und dem Schmelz der Foie Gras – steht der süffige, reichhaltige Happen der Version mit Trüffeln in fast nichts nach. (9/10)
Nach diesem letzten herzhaften Ausrufezeichen schlägt die kulinarische Reise den Weg ins Reich des Süßen ein.
Der erste Streich ist »Tea, milk & honey« und wird zu großen Teilen auch wieder am Platz fertig gestellt. Das Dessert lullt mich zunächst mit einem anisartigen Duft nach diesen Bonbonständen ein, die es früher in der Innenstadt gab. Auf einem der beiden Teller findet man ein Milchspeiseeis mit samtiger Textur, süß und mit aromatischem »Twist«, der, wie viele der Aromen hier, nicht genau zu fassen ist. Es ist so, als stünde man verloren in einem Wald und folgte die ganze Zeit einer Fee, die man immer wieder vor sich auftauchen sieht. Das liegt ein wenig an dem mit Earl-Grey-Tee und Verjus parfümierten Lavendelhonig, mit dem das Eis beträufelt ist, aber auch an den vielen Blüten, u. a. Jasmin, die hier tatsächlich nicht bloß eine dekorative Rolle einnehmen, sondern die Rohstoffe eines Parfümeurs sein könnten. Auch Banane ist hier noch irgendwo im Spiel, eine oft zu dominierende Zutat in Desserts, die hier jedoch so fein integriert ist, dass man ihr Aroma nur in Form einer exotischen Wärme wahrnimmt. Zu dem verzaubernden Arrangement genießt man in brauner Butter gebackene Waffeln, fluffig und knusprig – die besten, die ich je probiert habe. Es mag hilfreich sein, nicht alle Zubereitungen im Detail mitbekommen zu haben, um sich richtig in dem bildgewaltigen Dessert verlieren zu können. Es ist eines der zwei, drei besten Desserts, die ich je gegessen habe. (10/10)
Und dann geht es ins dritte Level, zu Deutsch ins zweite Obergeschoss. In gemütlichem Ambiente mit gedämpftem Licht und bequemen Sesseln geht die wundersame Reise weiter.
Obwohl ich nur einen Wein bestellt hatte, stehen schon wieder drei Gläser vor mir. Und verschiedene Früchte. Und ein Shiso-Sorbet. Das Sorbet ist magisch, transzendent, die Früchte von einem anderen Planeten (in diesem Fall: Japan). Die Weintraube (eine einzelne, gehäutete Weintraube) ist die beste, die ich je probiert habe, die Melone (musk melon) besser als in vielen Spitzenrestaurants ihres Herkunftslands, und »schwarze Kaki« ist süßlich, parfümiert, fremdartig, grandios. 10/10 für dieses unvergessliche Intermezzo stehen außer Frage.
Auch die Petits Fours norden mich wieder ein, wenn es um ein mögliches Genussniveau zum Ende eines Menüs geht. Es gibt ein Karamellbonbon mit schwarzem Knoblauch und Lakritz; einen Paté de Fruits mit Fenchel, Anis, Yuzu und japanischem Salz; einen Schoko-cup mit roter Bete und Essig; einen Sablé Breton mit Braunkäsekaramell, Blaubeermarmelade und Langpfeffer-Meringue; und einen Macaron mit getrockneter Kaki (hoshigaki), Kürbis und einer mit Safran und Sauternes eingekochten Satsuma-Marmelade. Die Petitessen vereint nicht nur besonders präzises Handwerk und ein Bekenntnis zu französischer Patisserie – mit einer ordentlichen Prise Kreativität –, sondern, dass auch sie alle mit dieser floralen, parfümartigen Aura verzaubern, die bei so vielen Gerichten hier zu entdecken war. Das war eine der besten Abschluss-Sequenzen eines Menüs überhaupt. (10/10)
Ich möchte an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass Björn Frantzén erwartungsgemäß nicht vor Ort ist, doch auch der Küchenchef des Zén, Tristin Farmer, ist heute abwesend. Frantzén reicht sein Können also gleich zweifach »nach unten« durch – und erzielt mit seinem ausführenden Team trotz aller Abwesenheiten grandiose Ergebnisse. Das ist auf diesem Niveau eine Seltenheit.
Die Rechnung setzt mich um knapp tausend Euro zurück, daran gibt es nichts zu verheimlichen. Dass das Essen jeden Cent wert war, wäre jedoch eine triviale Feststellung. Es war eine Investition in eine Auffrischung der Erinnerung, auf welcher Ebene Genuss und Qualitäten erfahrbar sind, und es war ein gastronomisches Erlebnis, mit dem Björn Frantzén wieder einmal Maßstäbe setzt.
Und jetzt, endlich, kann mir die schwüle Hitze draußen nichts mehr anhaben. Komm doch her, hohe Luftfeuchtigkeit. Zeigt es mir, tropische Temperaturen. Ihr macht mir nichts mehr aus, denn ich habe das Zén jetzt besucht. Und mit jedem Schritt, den ich mich vom Restaurant entferne, gehe ich einen weiteren wieder darauf zu.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Zén (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Tristin Farmer |
Ort: | Singapur |
Datum dieses Besuchs: | 10.11.2021 |
Guide Michelin (SG 2021): | *** |
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