Lockdown-Notizen II: die »Grundkiste« und eine Tajine

Neben der kontinuierlichen Selbstversorgung am eigenen Herd, muss es ab und zu etwas Abwechslung sein. Dabei ist allein das Vorhaben, zu einem Restaurant zu fahren, bei mir derzeit mit einer hibbeligen Vorfreude verbunden. Sich einem Restaurant zu nähern, zumindest kurz Kontakt zum Personal zu bekommen und vielleicht sogar eine Michelin-Plakette an der Häuserwand zu sehen, ist in diesen Zeiten fast aufregender als vor der Pandemie. Restaurantfassaden erscheinen mir wie Portale zu einer anderen Welt. Mit dieser Welt wieder in Berührung zu kommen, ist einer der Reize, der mit Außer-Haus-Angeboten kurzzeitig mitschwingt. Ich habe weitere ausprobiert.

Einigen bekannt, zumindest vom Hörensagen, dürfte die so genannte »Grundkiste« des Restaurants 100/200 sein. Küchenchef Thomas Imbusch bietet damit eines der durchdachtesten Außer-Haus-Angebote Hamburgs an. Das Paket, bequem bestellbar über das Buchungssystem Tock ‒ entweder zur Abholung oder zum Versand per Kurier ‒, ist für eine drei-, fünf- oder siebentägige (€ 90‒210) kulinarische Versorgung am eigenen Herd ausgelegt. Was ungefähr enthalten ist, kann man den Informationen online entnehmen, wer »dies und das« nicht mag, kann vermutlich Rücksprache halten, ist bei Imbusch aber ohnehin an der falschen Adresse.

Meine Kiste, die Version für fünf Tage, enthält diverse Einmachgläser, Vakuumbeutel, Tüten und anderweitig Verpacktes. Optisch ist das bereits in diesem Zwischenzustand sehr ansprechend, ein Pluspunkt in Zeiten, in denen der Esser selbst für die Tellerästhetik verantwortlich zeichnet. Eine ausführliche Anleitung für alle fünf Tage ist ebenfalls dabei und lässt keine Fragen offen. Hierbei sind scheinbar triviale Details wichtiger als vermutlich viele Köche glauben. »Den Beutel langsam erwärmen« ist beispielsweise eine völlig unklare Aussage. »Den Inhalt des Beutels vorsichtig in einem schweren Topf auf dem Herd erhitzen, aber nicht zum Kochen bringen« dagegen unmissverständlich. Dass Köche jetzt auch Verpackungsgestalter und Texter sein müssen, ist eine weitere Herausforderung in diesen besonderen Zeiten.

Für den ersten Abend ist eine Königinpastete mit Ragout fin vorgesehen. Imbuschs begnadeter Patissier Mario Michaelis hat sich hier in gewohnter Pedanterie an einem Blätterteig abgearbeitet, dessen buttrige Teigschichten genauso oft gefaltet zu sein scheinen wie die Klinge eines japanischen Messers. Das Opus aus Teig erwärmt man im Ofen, das Ragout fin, dem ein Duft nach Sahne, Kalb und ehrlichem Handwerk entströmt, auf dem Herd. Nach knapp zehn Minuten ist die Pastete fertig, frische Kräuter aus einem Glas ‒ ich rieche Dill, Estragon und Petersilie ‒ kommen noch obenauf, und das Gericht, das auf den ersten Blick so aussah wie eine nicht ausreichende Vorspeise, füllt den Abend mit Genuss.

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Am zweiten Tag gibt es Brotzeit. Zu sehr gutem Sauerteigbrot, das man noch einmal kurz aufbackt, gibt es Quarkbutter, nordfriesischen Weichkäse, Bohnencreme und eine selbstgemachte, würzig-rauchige Wildwurst mit Fenchelnoten. Ein leicht pikanter Kartoffelkäse irritiert zunächst durch das Vorhandensein von etwas Kohlensäure, aber eine spontane Rückfrage beim Chef klärt auf, man habe hier mit Kombucha für etwas Pepp gesorgt. Die Brotzeit ist gelungen, man schmeckt die Passion fürs Handwerk in jedem Bissen.

Ein Gericht mit Saibling folgt an Tag drei. Der Fisch hat in seiner Vakuumtüte kein Bisschen seiner außergewöhnlichen Frische eingebüßt. Die Anleitung sieht vor, dass man ihn scharf auf seiner Haut mit etwas Öl anbrät; dazu gibt es geschmortes, duftendes Ofengemüse (Kartoffel, Zwiebel, Fenchel, Karotte) und eine appetitanregende Rotkohl-Vinaigrette, inzwischen eine Art Markenzeichen des Küchenchefs. Eigene Anrichtakrobatik komplettiert das Gericht, das vor allem durch makellose Produktqualitäten überzeugt. Etwas Brot von gestern ist auch noch da.

Die zwei Gerichte für die nächsten Tage sind deftiger ‒ und dabei nicht weniger fein. Ein würziger Eintopf mit Kichererbsen und Wildwurst ist blitzschnell zubereitet und bereitet Freude bei nasskaltem Wetter; ein Risotto mit Fischklößen und Kräuteröl erfordert zum Schluss dann noch einmal etwas eigenes Geschick (und eine Zwiebel im Haus). Dank eines würzigen Miso-Safran-Fonds, in dem man den Reis kocht, sowie geriebenem Hartkäse gelingt ein süffiges, umamibetontes Risotto, das mit dem Dill des Kräuteröls ‒ und dies wiederum mit den Fischklößen ‒ besonders gut harmoniert.

Die »Grundkiste« überzeugt auf ganzer Linie. Von der Verpackung bis hin zu den makellosen Produktqualitäten und dem spürbar passionierten Handwerk bringt sie eine in diesen Zeiten willkommene Abwechslung in die eigene Küche.

Eine zwei Wochen später vom Restaurant abgeholte Einzelspeise mit saftiger Hühnerbrust vom Geflügelhof Odefey, gespickt mit Périgord(!)-Trüffeln und Leber, zu Hause fertig gestellt mit einer Rouennaiser Sauce, die man selbst mit Leberbutter montiert, ist dann nicht weniger als Weltklasse.

Thomas Imbusch und sein Team nutzen die Zeit der Krise offenkundig, um sich handwerklich noch einmal weiterzuentwickeln. Zusammen mit dem undogmatischen, aber fokussiert regionalen Konzept setzt man sich damit in Hamburg an eine eigene kulinarische Spitze.


Im Piment gibt es vielleicht weniger Pioniergeist, dafür aber genauso respektables Handwerk und durch den orientalisch-französischen Küchenstil Wahabi Nouris eine ganz eigene Handschrift. Als das aktuelle Abholangebot ‒ neben einem mehrgängigen Menü in bekannter Finesse ‒ neulich auch eine etwas »bodenständigere« Option (€ 55) mit Couscous aus der Tajine enthält, greife ich zu.

Eine bereits auf eigenen Bernardaud(!)-Tellern fertig angerichtete Vorspeise mit Rindertatar, köstlich eingelegtem Gemüse und kurz aufgebratenen Thymian-Grießtalern bietet ein aromatisch breites Spannungsfeld. Minze, Würze, Säure, exotische Gewürze und ein makellos frisches Tatar lassen den orientalischen Michelin-Stern hell überm eigenen Tisch funkeln. In Anbetracht zu dem, was folgt, ist lediglich die Portion etwas zu gut gemeint.

Das Couscous ‒ mit Hitze, Dampf, Schärfe, Kalbfleisch und sagenhafter Würzung ‒ taucht die eigene Küche wenig später in eine orientalische Nacht mit einem Wirrwarr aus Stimmen, Farben und Lichtern. Gerichte dieser Art sollte Nouri eigentlich verkaufen können wie geschnitten Brot, tatsächlich ist das Angebot inzwischen wieder von der Website verschwunden. Aber diese eine Nacht bleibt unvergessen.