Roadtrip, Stopp 3: Schwarzer Adler, Vogtsburg
Als vinophiler Genussmensch noch nicht im Schwarzen Adler gewesen zu sein, ist ein großes Manko, das ich heute Abend endlich beseitigen werde. Das Restaurant gehört zum Familienbetrieb Franz Keller, in dessen Namen u. a. mehrere Restaurants, ein Weingut sowie Hotels betrieben werden.
Von Wingen-sur-Moder im Elsass, wo ich anlässlich meines Roadtrips gerade zwei Tage in der Villa René Lalique verbracht habe, fahre ich mit dem Auto zwei Stunden in südlicher Richtung nach Oberbergen, einem Ortsteil von Vogtsburg im Kaiserstuhl. Die Straße, an der das Restaurant gelegen ist, geht mit lästigem Lkw-Durchgangsverkehr vermutlich nicht nur mir auf die Nerven. Und das dazugehörige Hotel, in dem ich für eine Nacht einchecke, hat leider auch eher den Charme eines Seniorenheims. Aber für das, was mich heute Abend hier erwartet, nehme ich das gerne in Kauf.
Ein Novum dürfte für mich sein, dass ich die Reise zu einem Restaurant erst sekundär dem Essen widme. An erster Stelle meines Interesses steht die Weinkarte. Der Ruhm des Restaurants liegt zu einem großen Teil in diesem Opus begründet. Gäste aus aller Welt, davon viele Gastronomen, feiern hier, ganz unter sich, vinophile Exzesse, von denen eigentlich niemand etwas hören darf.
Die Inhaberfamilie hat hier über Jahrzehnte einen Weinkeller aufgebaut, der es Gästen erlaubt, die berühmtesten Weine der Welt regelrecht hinterhergeschmissen zu bekommen. Anders kann man es beim besten Willen nicht nennen, da so gut wie alle hier erhältlichen Weine außerhalb dieser vier Wände ein Vielfaches kosten. Selbst im mittleren zweistelligen Bereich bekommt man berühmte Weine aus der ganzen Welt in erstaunlicher Jahrgangstiefe.
Bei sommerlichen Temperaturen habe ich heute Abend einen Platz auf der Terrasse, die ausreichend Platz für einige Tische bietet. Weitere Plätze innen sind heute Abend ebenfalls besetzt. Während ich die klassisch französische Speisekarte studiere, stimme ich mich schon mal mit der Sommelière ein. Melanie Wagner ist eine deutliche Spur besser gelaunt als der Rest des Personals; selbst unter dem Mund-Nasen-Schutz erkennt man ihr herzliches Lächeln. Das ist angenehm ‒ und verkaufsfördernd. Nach einer Weile kurzweiligen Austauschs steht meine erste Wahl. Obwohl ich längst wusste, dass ich einen Wein dieser Domaine hier bestellen würde. Es kam nie etwas anderes in Frage. Zu diesem Preis.
Dass knapp über tausend Euro ein irrsinniger Betrag für eine Flasche Wein sind, steht außer Frage. Doch was genauso unstrittig sein dürfte, ist die Tatsache, dass dieser Preis für einen 1978er Romanée-Saint-Vivant von der Domaine de la Romanée-Conti eine einmalige Gelegenheit ist. Jahrzehnte alte DRCs trinken, ohne dafür so viel wie für einen Mittelklassewagen auszugeben, ist ein Traum für jeden Weinliebhaber. Ich erfülle ihn mir heute Abend und freue mich darauf wie ein kleiner Junge, der gleich ein neues Lego-Raumschiff auspacken darf.
Um die Vorfreude zu erhöhen, begleite ich die ersten Vorspeisen noch mit einigen offenen Weißweinen. Die Auswahl der Sommelière ist sehr gut, man dürfte mit Fug und Recht schon an dieser Stelle resümieren, hervorragende Weine getrunken zu haben ‒ bliebe man auf dem Teppich.
Auf dem bleibe ich heute Abend aber nicht und sehe schon mal herzklopfend der Entkorkungszeremonie des 42 Jahre alten Burgunders zu (bin ich wirklich schon so alt?), die neben einem Kellnermesser noch ein Burgunderkörbchen, eine Serviette und eine „Hebamme“ involviert. Am Ende klappt alles, ein kleiner Probeschluck wird mit mir geteilt, und schon wegen des Dufts, der den wenigen Millilitern in diesem Glas entströmt, hat sich alles gelohnt. Die Flasche wandert noch einmal kurz zurück zur weiteren Temperierung.
Den kulinarischen Auftakt macht eine Gazpacho aus Paprika und Gurke mit Joghurtschaum, Nordseekrabben und einem Krustentierchip. Der intensive, kühle Gurkengeschmack ist angenehm sommerlich, die verschiedenen Texturebenen dazu spannungsvoll. (6,9/10)
Als Hauptgang steht bereits die getrüffelte Poularde aus dem Ofen fest, vorweg lautet meine Bestellung auf eine Vorspeise und einen Fischgang. Im Dialog mit der Dame, die meine Bestellung entgegengenommen hat, wäre ein Hinweis auf die Üppigkeit meiner Auswahl allerdings eine nette Geste gewesen.
So bin ich schon nach dem Steinbutt in kleiner (!) Portion (€ 42) ziemlich satt. Ein großes Stück Filet, makellos gegart, sehr saftig und von unzweifelhafter Qualität, thront auf einer mächtigen Portion Schupfnudeln. Dazu gibt es (etwas zu weit) gegarten grünen Spargel, eine offenbar durch den sehr heißen Teller bereits leicht gestockte Sauce Choron, die intensiv nach Tomate schmeckt, sowie eine leichtere, aufgeschäumte Beurre Blanc, die wegen ihres Luftgehalts besser mit der Hitze umgehen kann. Die hohe Temperatur des Gerichts ist am Gaumen ein Pluspunkt, genauso wie die präzise Garung des Fischs; dennoch könnte man sagen, dass das Gericht wegen der kleinen handwerklichen Fehler und den sicherlich diskutablen Proportionen der Zutaten die Schwelle von Rustikalität zu gehobener Küche nicht überschreitet. (6,9/10)
Froschschenkel habe ich als nächstes bestellt (€ 20). Die sind heiß, süffig, zart und mit viel Öl und Knoblauch ebenfalls auf der (angenehm) rustikalen Seite (6,9/10). Im Glas ist inzwischen, weiterhin offen serviert, ein 1999er Pouilly-Fuissé „Vielles Vignes“ vom Château Fuissé, bei dem mir wieder einfällt, wie gerne ich eigentlich diesen Erzeuger mag.
Aber jetzt ist die Zeit reif. Der Burgunder muss ins Körbchen, das Körbchen auf den Tisch und der Romanée-Saint-Vivant ins Glas.
In dem großen Burgunderkelch kommt das Bouquet besonders gut zur Geltung. Ich setze meine Nase an, und der Duft von Tomate, Liebstöckel, Ketchup und Minze ist eindringlich, außergewöhnlich und unvergesslich. Am Gaumen bestätigt sich der komplexe Duft, hinzu kommt eine (perfekt temperierte) Frische. Keine Spur von Alter, stattdessen Reife und Eleganz. Ich hätte auf Hunderte Weine verzichtet, um diesen zu probieren. Aber hätte ich ihn dann auch so geschätzt? Mit Freudentränen in den Augen kommt der nächste Gang.
Die Poularde (€ 90) kommt auf einem Silbertablett an den Tisch, knusprig, bräunlich, duftend, feist. Der Maître mit Anzug und Krawattennadel tranchiert den Vogel blitzschnell und richtet das halbe Huhn, zunächst ohne die Keule, auf einem heißen Teller an. Klassische Beilagen wie Karotten, Kartoffelgratin und Steinpilze sind bereits darauf angerichtet. Alles duftet intensiv nach saftigem Huhn und schwarzem Trüffel. Die Sauce ist exzellent, säurebetont und klassisch, die Beilagen auf den Punkt. Das ist wie bei den alten französischen Meistern, sofern man das überhaupt noch so bekommt. Absolut hervorragend, und mit dem Romanée-Conti dazu ein unvergessliches Erlebnis. (8/10)
Etwas später folgt noch die Keule, serviert mit Pfifferlingen und Bratenjus, sehr gut (7/10), aber inzwischen so fordernd, dass ich den Gang nicht ganz schaffe.
Den Schwarzen Adler verlasse ich aber sicher nicht, ohne eine zweite Flasche zu öffnen. Auf Burgund folgt Bordeaux, und mit einem 1983er Château Haut-Brion für faire dreihundertfünfundvierzig Euro lasse ich die denkwürdige Nacht ausklingen.
Den Wein schaffe ich auch nicht mehr. Macht nichts. Korken drauf und morgen damit zu Klaus Erfort.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Schwarzer Adler (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Christian Baur |
Ort: | Vogtsburg, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 14.07.2020 |
Guide Michelin (D 2020): | Empfehlung |
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