Roadtrip, Stopp 2: Villa René Lalique, Wingen-sur-Moder (Teil 2)
Am Folgeabend in der Villa René Lalique stelle ich meine Speisen aus einem der Menüs zusammen (€ 165). Da die vier Gänge, die hier zur Auswahl stehen, jeweils drei unterschiedliche Optionen beinhalten, steht auch diese Menüauswahl einer A-la-carte-Auswahl in nichts nach. Auch die Weinauswahl, die ich gestern noch zielstrebig in Richtung Burgund lenkte, überlasse ich heute dem Sommelier. Gerne regional, bitte nicht nur Riesling. Es geht los mit einem Glas Sylvaner Vielles Vignes „Sono contento 2013“ von Albert Seltz, nichts Großes, aber ein angenehmes Herauskommen aus meiner Komfortzone.
Am Setting selbst ändert sich dagegen wenig. Der Speisesaal ist auch am zweiten Tag noch genauso einladend und das Team so souverän und herzlich wie ich es gestern kennen gelernt habe.
Die Trilogie der ersten Snacks beinhaltet eine Tartelette mit Gartengemüse (floral, fruchtig, sehr gut, 7/10); einen Flammkuchen als „Calzone“ mit Heringseiern (herrlich salzig und mit einer herzhaften, heißen Creme als Füllung, 7,5/10); sowie eine Löffeldegustation in Form eines Granny-Smith-Sorbets (schmeckt wie besonders gutes Apfelmus, 7/10).
Das Œuf parfait « Sarah Bernhardt », das schon gestern Abend nicht nur durch die süffige Füllung mit Zwiebel, Estragon und japanischem Essig begeisterte, sondern auch mit einem unscheinbaren Miniatur-Toast mit einer perfekten Kombination aus leicht knuspriger Textur, Parmesan, Kräutern und einer treffsicheren Vinaigrette, fällt etwas schwächer aus. Das Toast ist trockener geraten, es fehlen Knusprigkeit und Frische. Es sind nur Nuancen, aber sie entscheiden in diesem Fall zwischen Großartigem und Hervorragendem. Wahrlich kein Grund zur Klage. (8/10)
Eine weitere Einstimmung rankt um das Thema Rote Bete. Es ist nicht einfach, diese Zutat so einzusetzen, dass man außer der Knolle nichts anderes mehr schmeckt, doch hier gelingt das scheinbar mühelos. Man findet das Gemüse in verschiedenen Zubereitungen ‒ roh, als Schaum, als Eis, als knusprige „Tüte“ ‒, dazu gibt es eine Ziegenkäse-Mousseline (zum Rote-Bete-Eis), Olivenöl, Balsamessig und Meerrettich in unterschiedlicher Form. Vielschichtig, spannungsvoll, hervorragend. (8/10)
Ein Carpaccio von der Gelbflossenmakrele „à la Grenobloise“ ist meine erste Menüoption. Das kreisförmig angerichtete rohe Fleisch ist jeweils halbseitig bedeckt, einmal mit einer Marinade auf Nussbutterbasis mit gelber und roter Paprika, einmal mit Brotkrumen, Ei und Kapern. In der Mitte findet man noch einen Piment-d’Espelette-Schaum. Der Fisch ist ideal temperiert und weist eine bissfeste Textur auf. Trotz der üppig portionierten Mitspieler, die ‒ besonders mit den Kapern ‒ für den typischen Geschmack einer Sauce Grenobloise sorgen, behauptet sich der Fisch darunter und lässt seine hervorragende Qualität durchscheinen. Gegen die Brotkrumen hat er es am Ende dennoch etwas schwer. Hervorragende Produkte, ein säurebetonter Wohlgeschmack, aber vielleicht mit etwas Justierungsbedarf hinsichtlich der Proportionen. (7,9/10)
Menüoption Nummer zwei thematisiert Schnecken (aus Ettendorf im Elsass). Das Gericht besteht aus drei Tellern, deren Zusammenhang sich nicht auf den ersten Blick erschließt, gleich am Gaumen jedoch keine Fragen offenlässt.
Die Schnecken selbst, die geschmacklich ein wenig an Kräuterseitlinge erinnern, sind in einer heißen, duftenden Liebstöckel-Boullion angerichtet. Die Würzung sorgt für eine ordentliche Prise Umami, Bärlauchbutter passt aromatisch gut dazu und sorgt in dem Süppchen für appetitliche Fettaugen. Einige Stücke geschmorten Selleries bringen weitere Abwechslung. Das ist süffig, waldig, gehaltvoll und hervorragend. Die Üppigkeit der Bouillon, sowie Salz, findet man dann auch auf einem Stückchen Focaccia mit geräuchertem Schinken wieder. Dabei verblüfft die saftige Nussigkeit des Fingersnacks, so, als würde man spanischen Bellota-Schinken probieren. In Abwechslung mit dem Süppchen genossen, ist schon das ein unbeschwerter Hochgenuss. Eine „offene Maultasche“ mit einer Sabayon und Erbsen komplettiert die Trilogie und präsentiert nicht nur exzellente junge Erbsen, sondern mit der Zutat Hopfensprossen ein überraschendes Produkt, das an köstliche Pilze erinnert, wie die Schnecken. (8/10)
Erbsen gelangen auch beim nächsten Gang zum Einsatz, was bei einem qualitativ so hervorragenden Produkt eine willkommene Wiederholung ist. Es gibt in Butter confierten, auf jungen Erbsen angerichteten Zander, dazu angedickte Minzbutter sowie, auf der Fahne des Tellers, eine Kartoffelemulsion. Ein luftig-krosses Stück knuspriger Zanderhaut bereitet dazu Knabberspaß. Der saftige Fisch bestätigt erneut die hohen Produktqualitäten, die hier zum Einsatz gelangen, auch ist jede Komponente des Gerichts handwerklich makellos umgesetzt. Eine Spur Salz würde der Fisch aber noch gut vertragen, auch ist der Einsatz von Minze zwar originell, aber sehr dominant. (7,9/10)
Ein kühler Zwischengang wird exotischer. Ein Maiseis mit Avocado, Kefiremulsion und einem Zitronengranité überrascht an dieser Stelle mit mittelamerikanischen Eindrücken. Für sich betrachtet ist das zweifellos sehr gut, dennoch fehlt mir ein wenig der Kontext. Auch ohne den lässt sich der Zwischengang aber genüsslich beenden. (7/10)
Für den Hauptgang gibt es mit eigenem Fett gratinierten Lammrücken, begleitet von einem reduzierten Jus mit kleingehackten Picholine-Oliven. Für einen orientalischen Einschlag sorgen ein entsprechend gewürzter Grieß nach Tajine-Art sowie, separat serviert, eine Lamm-Tajine mit Mandelschaum und Trockenobst ‒ eine süffige, fast schon weihnachtlich gewürzte Gaumenfreude. Das Fleisch auf dem Hauptteller ist makellos gegart und präsentiert sich trotz seiner eher mageren Konsistenz am Gaumen zart und, wegen des gratinierten Fetts, mit schönem Schmelz. (7,5/10)
Und dann, nach einem bisher wunderbaren Essen in traumhafter Atmosphäre, muss ich doch wehmütig an „den alten Klein“ denken. Die Gerichte haben hier nicht die Handschrift, die ich in Erinnerung habe: kreative, kleine Gänge, wenige Komponenten, jede davon zum Träumen. Noch heute würden die Menüs aus dem früheren L’Arnsbourg modern erscheinen und alles hier Gebotene in den Schatten stellen.
Und dann ist er auf einmal da, leider nicht Klein persönlich, aber ein Klassiker aus den früheren Menüs. Ein „Cappuccino“ mit schwarzem Trüffel ‒ viel davon, kleingehackt ‒ und Kartoffelschaum ‒ nicht synthetisch-luftig, sondern himmlisch leicht und cremig ‒ ergibt am Gaumen ein Gericht zum Tief-Durchatmen. Ich sehe ihn vor mir, den Platz, an dem ich damals saß, die beleuchteten Fichten, die das Haus umzingelten, das Schwarz der Nacht dahinter. Zeitlos großartig. (9/10)
Der süße Abschluss ist dann noch einmal komplett hervorragend. Eine Variation um das Thema Kirsche kommt mit Kirscheis, Kirschsaft, fast unnatürlich perfekten Kirschen und einem kleinen Kirsch-Clafoutis mit Röstnoten. Der natürliche, nicht zu süße Geschmack der Kirschen ist hier wundervoll und schlicht in Szene gesetzt. (8,9/10)
Ebenfalls für süße Träume sorgt ein Dessert mit Honig von eigenen Bienen, als Eis und ganz pur, dazu Müsli und Zitrusfrüchte. Knusprige Textur und eine durch die Kühle des Eis im Zaum gehaltene Süße sind exzellent. (8,5/10)
Die Petit-Fours setzen noch einen drauf. Der wunderbare „Himbeerkrapfen“ von gestern ist wieder da, eine Zitronenmeringue-Tarte in Miniaturformat ist nicht zu verbessern, selbst ein Marshmallow mit Himbeere ist beachtlich, ganz zu schweigen von der Schokoladenpraline. (9/10)
Der Abend an sich war erneut wunderbar, doch im Gegensatz zu meiner gezielt produktbetonten Bestellung gestern Abend fehlte mir in diesem Menü etwas. Dass man hier auf hohem Niveau in edler Umgebung speist und charmant und kompetent betreut wird, geschenkt. Ich habe aber das Gefühl, dass unter den vielen Menüs und der ungewöhnlich großen Auswahl an Speisen ‒ in Kombination mit fast nahtlos ineinander übergehenden Mittag- und Abendessen ‒ ein wenig auch der Fokus leidet. Hier kocht nicht mehr Jean-Georges Klein ein paar kreative Speisen auf Weltklasseniveau; hier betreut Klein eine große, ohne jeden Zweifel passionierte Mannschaft, die täglich sehr viele unterschiedliche Gerichte in den großen Gastraum schickt.
Dass mich hier ein L’Arnsbourg 2.0 erwartet, hat zwar niemand behauptet. Aber man wird ja noch mal träumen dürfen. Heute Nacht träume ich bestimmt vom Trüffel-Cappuccino ‒ und von der Weinkarte im Schwarzen Adler. Da geht es morgen hin.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Villa René Lalique (→ Website) |
Chefs de Cuisine: | Jean-Georges Klein, Paul Stradner |
Ort: | Wingen-sur-Moder, Frankreich |
Datum dieses Besuchs: | 13.07.2020 |
Guide Michelin (F 2020): | ** |
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