Facil ‒ so einfach auch wieder nicht
Die Oase im Berliner Hotel Mandala am Potsdamer Platz habe ich lange nicht besucht, aber in bester Erinnerung. Das jahrein, jahraus mit zwei Sternen ausgezeichnete Restaurant befindet sich in einer Art urbanem Garten im fünften Stock des Hotels. Eine verglaste Fensterfront kann nahezu komplett geöffnet werden und gibt dann den Blick auf eine begrünte Terrasse frei, auch das Dach wird elektrisch eingefahren, man speist dann unter freiem Himmel. So wie heute.
Auch diese Situation war ausschlaggebend für meine Wahl, wieder in ein Großstadtrestaurant einzukehren, obwohl ich mich inmitten des ausgebuchten Restaurants doch noch etwas unbehaglich fühle. Konsequente Mund-Nasenschutz-nicht-über-die-Nase-Zieher ‒ selbst im Service ‒ und Gar-keine-Maske-Träger, die von ihrem Platz aufstehen, tragen nicht zur Entspannung bei. Vermutlich ist das in Berlin aber alles rechtens so, der Föderalismus lässt einen da gerade nicht mehr ganz durchblicken.
Glatt vergesse ich sogar, ein Foto von den Amuse-Bouches zu machen. Ich bin noch nicht wieder ganz im Rhythmus. Die drei Kleinigkeiten ‒ ein Pastinakenchip mit Erdnuss und Zitronenzeste (7/10), eine weitere Kreation mit Quitte und Kohlrabi (7/10) sowie ein hervorragendes, in Filoteig präsentiertes Rindertartar (8,5/10) ‒ sind alle präzise gearbeitet und bewegen sich geschmacklich alle in Richtung Indien, was durch Gewürzmischungen wie Tandoori und Curry erreicht wird.
Auch ein weiterer Gruß beinhaltet mit einem sphärisierten Grünteegel etwas Fernöstliches. Zu dem parfümähnlichen Aroma des Tees gesellen sich eingelegter Chicorée und kleine, geröstete Perlzwiebeln, die eine verführerische Süße beisteuern. Gepuffte Reiskörner, spannend gewürzt, bringen zusätzlich etwas knusprige Textur. Hochfein und sehr filigran, wie ein komplexer Tee. (8,5/10)
Der erste Gang des Menüs (ich wähle sieben zu € 188) ist ein Chawanmushi von weißem Spargel. Diese einen Hauch süßliche, angenehm warme Zubereitung kontrastieren gebeizte Makrele und Lachseier; in Himbeeressig marinierter Spargel liefert dazu appetitanregende Säure. Das feine Zusammenspiel von Texturen und Aromen ist sehr stimmig, und auch der erneute Einsatz von Curry integriert sich gut, wirkt inzwischen aber etwas repetitiv, weil weder das Restaurant noch das Menü einen Hinweis auf diese exotischen Referenzen liefern. Müssen sie natürlich auch nicht, das Gericht bleibt hervorragend. (8/10)
Es geht weiter mit einer Komposition um Imperial-Kaviar. Die luxuriöse Zutat setzt man hier bewusst in den Mittelpunkt. Die Störeier sind auf einer Minzmayonnaise platziert, dazu gibt es hauchdünne Scheiben Blumenkohl und einen leichten, aromatischen Sud, den ich nicht genau identifizieren kann. Muskatblüte spielt auch noch eine Rolle und zügelt das üppige Jod und Salz des Kaviars durch etwas Adstringenz. Der Zweiklang Minze/Kaviar ist besonders elegant. Äußerst fein, wie alles bisher. (8,5/10)
Im Glas schwinge ich derzeit einen exzellenten 2005er Barolo „Le Vigne“ von Luciano Sandrone (€ 180). Das passt vielleicht nach manchen Maßstäben nicht zum Menü, aber ich trinke den Wein auch nicht zu den Gängen, sondern dazwischen. Zu meiner Laune passt er.
Im nächsten Teller gibt es Stücke vom Kabeljau und Gillardeau-Auster, beide Zutaten pochiert und in einer schaumig aufgeschlagenen Champagnersauce serviert. Ein gebackenes Kartoffelblatt in Algenform dekoriert den Teller nicht nur optisch sehr ansprechend, sondern liefert knusprige Textur und etwas ‒ nur scheinbar triviale ‒ Rustikalität. Die Kreation schmeckt wundervoll nach weitem Ozean und seichter Brandung. Die Garung der Zutaten ist dazu genauso perfekt wie die leicht säurebetonte Sauce. So elegant habe ich das Thema Meer schon lange nicht mehr auf einem Teller gehabt. Bisher das Highlight des Abends. (9/10)
Das sich, bis jetzt, angenehm steigernde Menü fährt fort mit einem Gericht zum Thema Kohlrabi. Die in Spitzenküchen seltener vorgefundene Zutat muss sich hier vor nichts verstecken. In einem handwerklich fragilen Schichtwerk mit, unter anderem, Blutorange, Kümmel und Macadamianuss und einem aufgeschäumten, erneut etwas exotisch schmeckendem Sud, präsentiert sich das Gemüse in einer leicht süßen, leicht umami anmutenden Geschmackswelt. Eine Curry-Aromatik wirkt jetzt allerdings wirklich etwas repetitiv, auf hohem Niveau. (7,9/10)
Rehrücken mit Sauce Rouennaise habe ich gerade erst im Gutshaus Stolpe auf Referenzniveau genossen. Im direkten Vergleich fällt zunächst auf, dass das Fleisch hier im Facil eine andere, „mürbere“ Textur aufweist, die in der Regel auf Sous-Vide-Garung hinweist. Der Kellner bestätigt meine Vermutung zunächst, die Küche revidiert später, das ist etwas seltsam. Schließlich ist Sous-Vide-Garung ja kein Lapsus, sondern eine präzise Gartechnik, zu der man entweder steht oder eben nicht. Ich empfinde die Methode jedoch gerade bei Reh nicht als optimal, weil sie am Gaumen einen stumpfen, stückigen Eindruck hinterlässt. Die dazu servierte Rouennaiser Sauce ist allerdings exzellent gelungen. Durch das Abbinden mit Gänseleber schmeckt sie etwas „lebrig“ und „rau“ ‒ das passt dann wieder zur Textur des Fleischs ‒ und ist dicht eingekocht. Frische Kontraste, die das Ganze etwas auflockern, rühren von den weiteren Zutaten her, unter anderem von Sellerie und Granatapfel. Alles sehr gut, aber durch die Garung auch nicht mehr. (7/10)
Es geht weiter mit geschmorter Ochsenbacke. Das zerfallend zarte, dabei saftige und gehaltvolle Fleisch ist mit einem dichten Schmorjus überglänzt, der sich von einer klassischen Variante vor allem dadurch unterscheidet, dass er sehr pikant ist, um nicht zu sagen ziemlich scharf. Ob die Schärfe von Chili oder einer Pfeffersorte herrührt, kann ich nicht verorten, sie passt aber gut zum Chimichurri, einer argentinischen Kräutersauce, die man dort gern zu gegrilltem Fleisch serviert. Zu alledem gibt es verschiedene Zubereitungen mit Karotte (auch wieder mit etwas Curry) sowie Mohn und Sauerampfer. Tatsächlich fällt die markante Schärfe hier etwas aus dem Rahmen und erschließt sich mir in der sonst eher klassischen Komposition nicht besonders. Das Schmorfleisch an sich und die Gemüse sind exzellent. (7/10)
Als Dessert präsentiert man eine aufwändig hergestellte Fabelwelt mit einem Pilz aus Schokolade, weitere Zutaten beinhalten Erdbeere, Yuzu (vermutlich aus der Flasche), Rhabarber, ein Joghurt-Kräuter-Eis und vieles mehr, alles in unterschiedlichsten Texturen und Formen. Ich habe mich noch nie für derart konstruierte Desserts begeistern können, wenngleich man einen insgesamt stimmigen Gesamtgeschmack nicht von der Hand weisen kann. Dennoch sehr forciert. (7/10)
Ein Mango-Passionsfrucht-Sorbet ist makellos zubereitet und bietet unverfälschte Aromen (7/10); die Pralinen zum Schluss überzeugen mich aufgrund ihres sehr artifiziellen Geschmacks leider gar nicht (6,5/10).
Facil(e) (Französisch für „einfach“) geht es hier nicht zu, eher komplex und feinsinnig. Das etwas abklingende Niveau zum Ende hin war zwar ein winziger Dämpfer, dessen ungeachtet bleibt das Restaurant die urbane Oase, die es schon immer war und auch kulinarisch eines der spannendsten in Berlin.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Facil (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Joachim Gerner |
Ort: | Berlin, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 03.07.2020 |
Guide Michelin (D 2020): | ** |
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