Pots ‒ Deutsche Küche 2.0 (beta)
Das Pots „definiert die deutsche Küche neu“. So steht es in der Einleitung der Speisekarte, ganz im Präsens, als ungeschmückter Fakt. Das ist ein kühnes Versprechen. Da es bezüglich einer allgemeingültigen Definition einer deutschen Küche bereits erheblichen Diskussionsbedarf geben dürfte, kann eine Neudefinition vieles bedeuten.
Es könnte zunächst ein Beitrag dazu sein, überhaupt eine Definition zu schaffen. Dagegen spricht die Versionsnummer 2.0 ‒ also eine Folgeversion ‒, die die Speisekarte ebenfalls tituliert. Auch könnte es der Versuch sein, eine zumindest klischeehafte Idee einer deutschen Küche in ein neues Zeitalter zu holen. Ein deutsches Tickets vielleicht, mit Eisbein, Erbsensuppe und Schwarzwälder Kirschtorte auf spielerischem, aber hohem Niveau. Das wäre überaus wünschenswert, denn mit so etwas ließe sich das Verständnis in der Bevölkerung steigern, warum eine Spitzenküche überhaupt so genannt wird und dass das im Kern nichts mit Kronleuchtern und Kaviar zu tun hat.
Schließlich kann eine Neudefinition auch bedeuten, dass man mit bisherigen Definitionen unzufrieden ist und den derzeitigen Stand der deutschen Küche anders zusammenfassen möchte. Letzteres könnte man dann sogar als Seitenhieb gegen die ja bereits von Jürgen Dollase vor über zehn Jahren ausgearbeitete Idee einer „Neuen Deutschen Schule“ verstehen. Die Versionsnummer 2.0 würde diesen Gedanken sogar unterstützen. Lässt man diese Spitzfindigkeit beiseite, liegt die Vermutung aber nahe, dass hier niemand Seitenhiebe austeilen möchte, sondern dass man bei der Versionierung einfach nachlässig war. Nachlässigkeit passt wiederum nicht zum Kopf hinter dem Konzept, der niemand Geringeres als Dieter Müller ist, ehemaliger Küchenchef des damals dreifach besternten Restaurants in Bergisch Gladbach.
Da ich schnellstmöglich eine Antwort auf meine Fragen erhalten möchte, hatte ich bereits bei meinem vergangenen Berlin-Aufenthalt vor einigen Wochen einen Tisch hier reserviert.
Das Restaurant befindet sich im Erdgeschoss des Hotels Ritz-Carlton am Potsdamer Platz. Der zweideutige Name Pots spielt nicht nur mit dieser Adresse, sondern natürlich auch mit dem Begriff „Töpfe“, von denen diverse Exemplare aus Kupfer den Eingangsbereich schmücken. Kupfer, Holz und Marmor prägen auch sonst das Ambiente, das ‒ passend zum Hotel ‒ etwas amerikanisch kitschig wirkt, dabei aber durchaus sehr einladend ist.
Der Service dagegen ist furchteinflößend. Zwar habe ich das Glück, an die offensichtlich einzige freundliche Kellnerin geraten zu sein, eine charmante Französin. Ansonsten jedoch ernsthafte bis grimmige Mienen, die man lieber nicht mit einer Frage belästigen möchte. So bleibt auch meine Frage ungestellt, wie es angehen kann, dass man hier nicht ausnahmslos auf charmantes Personal mit Elan und Pioniergeist trifft ‒ immerhin wird hier die deutsche Küche neu erfunden!
Dann stöbere ich in der zeitungsgroßen Speisekarte und erhoffe mir schon einige Antworten auf die Idee einer Neudefinition. Auf Anhieb finde ich keine. Man identifiziert zunächst so gut wie keines der Gerichte als „typisch deutsch“, stattdessen folgen Kreationen wie gebeizte Makrele mit Bete und Zwiebelvinaigrette, Müritzlamm mit Artischocke und Graupen oder Knollensellerie mit Pilzjus und Kamille eher dem aktuellen Duktus beliebiger Restaurants in Deutschland mit einem Mindestanspruch an Regionalität und Kreativität. Deutsche Zutaten machen auch noch lange keine deutsche Küche. Gut, es gibt auch Holsteiner Färse mit Senf und Rotkohl ‒ und tatsächlich auch Königsberger Klopse und Bienenstich, aber besonders entschlossen klingt das nicht. „Blumenkohl Polnisch“ und „Eintopf mit Curry und Zitronengras“ setzen dann weitere Fragezeichen hinter das Heimatliche. Traut man sich etwa nicht an den Heimatbegriff heran? Oder gehört Zitronengras jetzt auch zu Deutschland?
Bezüglich des Weins ist man auch nicht ganz konsequent. Man bietet hier eine eigene Karte für deutsche sowie eine weitere für andere europäische Weine an. Beide Karten sind umfangreich, aber nicht übermäßig anspruchsvoll. Das ist schade, denn auch hier könnte man endlich allen Grauburgunder-Klischees ein Ende bereiten und mal die Breuers, Stoddens, Hubers, Kesslers und Molitore aus allen Rohren feuern lassen. Vereinzelt gibt es zwar gute bis sehr gute Positionen zu vernünftigen Preisen, aber meine Suche nach einem exzellenten Spätburgunder beende ich dann doch lieber im Burgund. Ein 2012er Nuits-Saint-Georges 1er Cru „Les Vignes Rondes“ von der Domaine Confuron-Cotetidot (€ 130) steht dann wenig später auf dem Tisch und bereitet erwarteten Trinkspaß. Ein Sommelier ist von sich aus auch nicht zugegen, um mir diese Flause auszutreiben.
Die ersten Speisen, die ich im Rahmen des hier geförderten „Sharing-Konzepts“ bestelle, werden dann auch bald serviert. Der „polnische“ Blumenkohl (€ 12) kommt bissfest gegart mit sämigem Eigelb, einer Rauchfisch-Velouté und einer aufpreispflichtigen Nocke Kaviar (zzgl. € 12). Ich habe mich für den Kaviar entschieden, weil er mit seiner nussigen Salzigkeit unentbehrlich erscheint. Dass die Zutat eine Option ist, bleibt rätselhaft. Das ist in dieser Zusammensetzung ein sehr gutes Gericht, süffig, salzig, erdig ‒ und wegen des Blumenkohls vielleicht auch ein wenig „deutsch“. (7/10)
Die geräucherte Makrele (€ 12) zeigt dann, dass man es auch bezüglich der Produkte ernst meint. Nicht allzu ernst, versteht sich fast, aber der angenehm zwischen Rauch und Meer ausbalancierte Geschmack und die feste Textur sind hervorzuheben. Kleinteiliges Beiwerk ist etwas undefinierbar und bringt wenig Gewinn, auch ein separat serviertes Makrelentatar ist kaum gewürzt, nicht kühl genug und mit einer wenig aromatischen Scheibe roter Bete zubereitet. Genügsamkeit ist zwar auch typisch Deutsch, aber kulinarisch betrachtet weder eine gewinnbringende Tugend noch irgendetwas Neues. (6,9/10)
Zwei Königsberger Klopse (€ 20) kommen mit Topinambur-Chips, Rieslingsauce und Kapern. Die buttrige, säurebetonte Sauce passt gut zum Kalbfleisch, wenngleich die Fleischbällchen einen Hauch trocken geraten sind. Das könnte man deutlich „griffiger“ umsetzen. (6,5/10)
Ein Gericht mit Rotbarsch (€ 20) ist optisch nahezu identisch aufgebaut, mit einer hellgelben, aufgeschäumten Sauce und darin zwei Stücken Fisch mit etwas „Dekoration“ obenauf. Das Gericht ist jetzt nicht nur etwas unstimmig, sondern mangelhaft. Allem voran ist die gummiartige Fischqualität zu beklagen, dann die zu kalte Temperatur und schließlich der zwar geschmacklich gute, aber zu säurebetonte und auch zu wässrige Safran-Muschel-Sud. (6/10)
Zu den Gerichten besteht die Idee, verschiedene Beilagen zu bestellen (je € 5). Ein Kartoffelpüree ist angenehm buttrig, aber das überdimensionierte Zwiebelkompott dazu etwas massig; geschmorte Möhren habe ich auch schon bessere probiert. Das ist alles auf dem Niveau von durchschnittlichen Steak-Häusern. (6/10)
Auf die Empfehlung der Kellnerin folgt als nächstes „verbrannter“ Spitzkohl (€ 19). Die durchs Garen verbrannten Außenblätter wurden entfernt, übrig bleibt dann auf dem Teller ein Viertel des Kohls in homogener Garung mit bissfester Textur und darauf verteilten Haselnüssen, eine Beilage, an der ich mich in deutschen Restaurants schon etwas satt gesehen habe. Das ist handwerklich alles gut gemacht, endlich auch mal heiß, und schmeckt in Kombination mit zwei dazu servierten Saucen ‒ eine Petersiliensauce mit Balsamico und eine separat servierte, schaumige Misosauce ‒ ebenfalls gut. Nur von dem Kohl schaffe ich ungefähr ein Sechstel. (6,9/10)
Aus Neugierde bestelle ich noch das Süppchen mit Zitronengras und Curry (€ 12). Die Kellnerin lüftet dann auch das Geheimnis des allzu exotisch klingenden Gerichts. Es handelt sich nämlich um eine klassische Zubereitung von Dieter Müller, die früher im Rahmen seiner Amuse-bouches, z. B. mit einer Jakobsmuschel, serviert wurde. Das erfreulich heiße Süppchen hat einen sehr ausbalancierten Geschmack nach Zitronengras, einer guten Curry-Mischung und etwas Kokos. Auf dem Grund der Suppe befinden sich noch einige Gemüsewürfel, ich vermute Kartoffeln und Möhren. Das kann man sich problemlos als kleinen Shot in einem Spitzenrestaurant vorstellen, aber auch hier macht die Suppe eine gute Figur und ist handwerklich und geschmacklich nur wenig zu verbessern. (7,5/10)
Dass die beste Speise des Abends ein Süppchen mit fernöstlichen Aromen ist, fasst dann auch das Wichtigste zusammen. Man kann hier in relativ unkomplizierter Atmosphäre gut bis sehr gut essen, was erfreulich ist, aber von einer Neudefinition der deutschen Küche kann keine Rede sein. Eigentlich ist diese Behauptung ein Affront gegen die würdigeren Vertreter einer Idee einer neuen deutsche Küche wie z. B. ernst, Nobelhart & Schmutzig, Sosein und weitere. Auf einem solchen Niveau spielt das Pots weder konzeptionell noch qualitativ mit. Die Version 2.0 befindet sich damit allenfalls noch im Entwicklungsstadium. Ich warte mit einer Rückkehr aber lieber auf Version 3.0.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Pots (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Frederik Grieb |
Ort: | Berlin, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 23.11.2019 |
Guide Michelin: | noch nicht bewertet |
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