Sushi Ryu ‒ made in Taiwan
Wenn in einer trostlosen Gegend Taipehs kurz vor 12 Uhr bereits einige Asiaten auf die Öffnung eines Restaurants warten, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es hier etwas Gutes zu essen gibt. Dass ich ohnehin gerade in Asien bin, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle; das mit den Asiaten ist ein universelles Phänomen.
In Taipeh gibt es, wie in vielen Metropolen außerhalb Deutschlands, einige ausgezeichnete Sushi-Restaurants. Das Zwei-Sterne-Restaurant Sushi Amamoto ist sogar über viele Monate im Voraus ausgebucht. Daher gehe ich an diesem Mittag einer weiteren Option nach, einem Essen im (einfach besternten) Sushi Ryu. Ich ärgere mich nur ein kleines bisschen, mich nicht rechtzeitig um die andere Reservierung gekümmert zu haben.
Der leichte Unmut, möglicherweise etwas Besseres zu verpassen, verfliegt schnell, als ich eintrete. Die mir längst so sehr ans Herz gewachsene Atmosphäre eines authentischen Sushi-Restaurants, mit dessen Materialien, Farben, Gerüchen und Gebräuchen, ist immer wieder aufs Neue eine Wohltat, die bei mir eine Art heimatliches Gefühl von Gemütlichkeit und des Angekommenseins auslöst.
Ein interessanter Fakt ist, dass der Küchenchef Taiwanese ist und nicht Japaner, wie man es in einem solchen Restaurant erwarten würde. Yonglong Yang arbeitet bereits seit über dreißig Jahren als Sushi-Meister in Taipeh. Erst vor zwei Jahren ist er in dieses neue Restaurant umgezogen.
Bezüglich des Essens gibt es mehrere Optionen, die mir in gebrochenem Englisch von einer sehr netten Angestellten mitgeteilt werden. Entweder, ich entschiede mich für eines der kürzeren Mittagsmenüs ‒ z. B. ausschließlich Nigiri-Sushi (ab TWD 3.000, ca. € 90) ‒ oder für das umfangreiche Omakase-Menü, dessen Ende ich selbst bestimmen soll (ca. € 310). In Anbetracht eines noch bevorstehenden Abendessens wäre Zurückhaltung sicherlich die sinnvolle Wahl, aber meine Neugier ist, wie so oft, größer.
Das Menü beginnt mit Chawanmushi. Der japanische Eierstich beinhaltet unter anderem Krebsfleisch, Ginseng und drei winzige Erbsen mit maximalem Geschmack. Die Speise ist heiß, wohltuend und beispielhaft zubereitet. (8/10)
Es folgt eine mit Reis gefüllte Tranche von gegrilltem Barracuda mit Wasabi und Noriblatt, eine mir bisher unbekannte Zubereitungsform. Da ich bezüglich frisch geriebenen Wasabis bestimmt schon seit Monaten auf Zwangsentzug bin, tut dieser nun besonders gut, ansonsten überwiegt bei dem üppigen Happen ein eher trockenes Mundgefühl und etwas weniger Umamigeschmack als erhofft. Dennoch sehr gut. (7/10)
Beim nächsten Gericht badet eine behutsam gegarte Garnele in einem Meer von Seeigelrogen und einer leichten Sojasauce. Dieser Teller erklärt bereits in Teilen das Budget des großen Menüs, denn der Seeigel ist nicht nur großzügig portioniert, sondern auch in feinster Qualität direkt aus Japan eingeflogen. Auch die Garnele ist auffällig famos, mit einem leicht süßlichen Geschmack und einem hier sehr stimmigen, gerade bissfesten Garpunkt. Kräftiges Jod, kühles Meer, schäumende Gischt und eine sonnige Süße machen dies zu einem verzaubernden Gericht mit luxuriösen Zutaten. (8,9/10)
Weiter geht’s mit Jakobsmuschel, die zu einem flachen Zylinder zurechtgeschnitten und dann halbiert wurde. Die notorisch qualitätskritische Zutat übererfüllt meine Anforderungen an Frische, während in Whisky eingelegter Makrelenrogen rauchige Grillaromen beisteuert. Puristisch und exzellent. (7,5/10)
Zwei fingerdicke Tranchen von in Reisheu geräucherter Makrele (sawara) sind der nächste Gang der noch immer andauernden Ouvertüre. Die Temperatur des Fischs ist zimmerwarm, was zunächst etwas irritiert, hier aber gut zu der mürben Textur passt. In Essig marinierte Zwiebelstückchen sorgen zusätzlich für lebhafte Kontraste (7/10). Nun deutlich heißer ‒ das Temperaturcrescendo ist ganz raffiniert ‒ folgen zwei mundgerechte Stückchen von gegrilltem Aal. Der Fisch präsentiert sich mit seinem natürlich hohen Fettgehalt und einer etwas klebrigen Haut ‒ auf diese Weise kein Favorit von mir (6,9/10).
Es bleibt noch einmal heiß. Ein sehr saftiges Stück Kabeljau vom Holzkohlegrill, pikant gewürzt und herzhaft lackiert, ist ‒ vor allem wegen der Schärfe ‒ ein eher ungewöhnlicher Happen für ein japanisches Restaurant. Qualitativ ist das jedoch hervorragend. Erneuter Produktpurismus auf hohem Niveau. (7,5/10)
Jetzt folgt das Nigiri-Sushi. Das Handwerk des Küchenchefs sieht sicher und routiniert aus. Die tranceartige Handakrobatik eines Takashi Saito habe ich seit meinem Besuch dort zwar nie wieder erlebt, aber auch dieser Mann weiß, was er tut.
Tintenfisch ist beidseitig eingeschnitten, was ungewöhnlich ist, am Gaumen auf diese Weise aber besonders „leicht“ wirkt. Der Abrieb einer grünen Zitrusfrucht passt perfekt zum süßlichen Schmelz des Weichtiers. Das ist ein hervorragendes Stück Nigiri-Sushi, was in dieser Güte bei uns zulande schon nicht mehr zu erleben ist. (8/10)
Beim nächsten Stück, mit Gelbschwanzmakrele, tritt der Reis etwas mehr in den Vordergrund. Dabei fällt auf, dass Küchenchef Yang eher wenig Säure einsetzt ‒ obwohl meine Recherchen ergeben, dass drei verschiedene Essige Verwendung finden. Der Reis ist grundsätzlich das Wichtigste an einem Stück Nigiri-Sushi. Wenn er vergleichsweise so neutral ist wie hier, fällt es oft schwieriger, ihn wahrzunehmen, wodurch das Stück Nigiri in ein Ungleichgewicht fällt, bei dem der Fisch zu dominant ist. Die Makrele hier ist allerdings von außergewöhnlicher Qualität, wenngleich ich auch kein Fan von „Doppelschichtungen“ bin. Natürlich immer noch sehr gut. (7/10)
Auf ähnlichem Niveau geht es weiter. Glänzender Schleimkopf (kinmedai), einer der edelsten Speisefische überhaupt, ist eine Nuance zu „tranig“, magerer Thunfisch (akami) sehr „fleischig“, sehr gut.
Mittelfetter Thunfisch (chūtoro) ist großartig ‒ purer Ozean, ohne eine Spur von „Wässrigkeit“, die fetter Thun manchmal aufweist, und handwerklich eines der besten Nigiri dieses Essens (8/10). Fetter Thunfisch (ōtoro) ist qualitativ überragend, obwohl das „Auseinanderfallen“ des Stücks in mehrere Glieder handwerklich nicht perfekt ist (8,9/10).
Makrele (sawara) kommt wieder in zwei Lagen, schmeckt markant nach Meer, leicht metallisch (aber sehr gut (7/10); Kuruma-Garnele mit bissfester Textur und charakteristisch süßlichem Geschmack ist noch etwas besser (7,5/10).
Seeigel aus Hokkaido hat ungewöhnlich große „Zungen“ und unterscheidet sich von sonstigen Portionen dieser edlen Delikatesse auch in einer etwas raueren Oberfläche. Beides tut dem Genuss keinen Abbruch. Ein luxuriöser, dekadent guter Happen. (7,9/10)
Stachelmakrele (aji) ist sehr gut, es fällt jedoch erneut der nur minimal gesäuerte Reis auf (7/10); gegrillter Kohlenfisch kommt ohne Reis, ist heiß, recht fettig und mit ausgeprägten Grillaromen (6,9/10).
Dieses Geschmacksbild wird im nächsten Nigiri fortgesetzt, das mit einer Markelenart (buri) zubereitet ist, die kurz auf der Haut gegrillt wurde und sehr reichhaltig ist. (7/10)
Das letzte Stück Nigiri-Sushi ist ein Happen mit Seeteufelleber und einer dünnen Scheibe in Misosauce marinierter Melone. Der Snack ist exzellent und erinnert an die Kombinationen von klassischer Foie Gras mit einer Fruchtkomponente. (7,9/10)
Nachdem mir wieder einfällt, dass ich ein Signal geben sollte, wenn langsam an das Ende zu denken ist, folgt schließlich ein Stück Tamago (japanisches Omelette) ‒ handwerklich sehr gut ‒, das schon ein kleine Mahlzeit für sich ist (7/10). Eine Misosuppe mit klassischen Einlagen wie Tofu und Frühlingszwiebeln tut dann selbst nach so vielen Gängen immer noch erstaunlich gut. Diese hier duftet nach dem charakteristischen Dashi, dem viel Umami bietenden Fond, und schmeckt besonders harmonisch (7,5/10).
Die wirklich allerletzte Speise ist dann ein Teller mit drei Früchten, eine davon eine Melone, die im Ganzen am ehesten noch an eine Passionsfrucht erinnert. Alle Früchte ‒ man verzehrt alle mit ihrer Schale ‒, sind eher auf der unreiferen, bitteren Seite. Das ist sicherlich der Sinn der Sache, weil der herbe Geschmack das Mahl geschmacklich schlüssig beendet, aber auch nur ein mäßiges Vergnügen (6,5/10).
Fast auf die Sekunde genau sind jetzt zwei Stunden um. Das Mahl war qualitativ größtenteils eindrucksvoll, jedoch nicht immer konsistent und offenkundig nicht auf dem Niveau vieler japanischer Kollegen. Dennoch hat mich das Essen nachhaltig beeindruckt, gerade in seiner Vielfalt und Produktqualität. Die Herausforderung des Nachmittags heißt nun, wieder Appetit aufs Abendessen zu bekommen. In ein paar Stunden gibt es Ente.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Sushi Ryu |
Chef de Cuisine: | Yonglong Yang |
Ort: | Taipeh, Taiwan |
Datum dieses Besuchs: | 09.10.2019 |
Guide Michelin (Taipei 2019): | * |
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