La Pergola ‒ die Essenz großer Küche
Führten alle Wege nach Rom, wäre ich zweifellos schon dort gewesen. Doch es ist meine erste Reise in die ewige Stadt. Eigentlich ist es auch keine Reise nach Rom, sondern eine Reise zu Heinz Beck. Der Deutsche, der vor 25 Jahren hier ganz ohne Sprachkenntnisse anfing, ist Roms bester Koch. Seit 2005 schmücken die einzigen drei Michelin-Sterne der Stadt das Restaurant La Pergola im Hotel Waldorf Astoria Rome Cavalieri.
Die Reservierungssituation in dem Restaurant ist prekär. Da das Restaurant keinen befristeten Reservierungsvorlauf hat, ist es immer über Monate im Voraus ausgebucht, besonders an Wochenenden. Dazu ist die Kommunikation per E-Mail eher träge. Erst seit Neuestem gibt es auch ein Online-Buchungssystem (das immer nur ausgebuchte Daten anzeigt).
Das Restaurant selbst ist groß, pompös und atmet aus jeder Pore italienischen Luxuskitsch einer längst vergangenen Zeit. Paradoxerweise ist das Ambiente dennoch sehr gemütlich. Wenn die blaue Stunde beginnt, die Lichter Roms unter einem leuchten und schon mal ein erster Schluck im Glas ist, ein 2016er Cà Maiol „Fabio Contato“ aus der Lombardei (€ 16), fühle ich mich pudelwohl.
Der Blick in die Speisekarte ist mindestens genauso schön wie der Ausblick. Produkte sind der Star, jedes Gericht klingt nach einer süffig-wohlschmeckenden Geschmacksexplosion. Es gibt zwar auch ein Menü (zehn Gänge, € 260), doch wie so oft bei produktbetonten Speisekarten möchte ich mir die Freude nicht nehmen lassen, selbst auszuwählen. Dabei habe ich größte Mühe, mich zu entscheiden. Ich löse das Problem, wie auch so oft, mithilfe des Personals.
Am Ende steht eine vorläufige Auswahl, denn ich behalte mir schon jetzt ausdrücklich vor, etwas nachzubestellen. Es ist interessant, wie sehr allein die Speisekarte bereits Rückschlüsse darauf zulässt, dass das Essen hier nur großartig sein kann. Oder?
Hübsch präsentierte Amuse-Bouches werden aufgetischt. Ein knuspriges Brot mit Ricotta (und, um Himmels willen, Blutampfer) schmeckt trotz eines guten Brotteigs nach nicht viel (6/10), ein gefriergetrocknetes Kartoffelschiffchen mit einer kühlen, gelartigen Füllung mit Blütenaromen, u. a. Jasmin, offenbart dann ein ganzes Bouquet an floralen Aromen, was zum Träumen einlädt (7,5/10).
Ein hauchdünner Chip aus Roter Bete mit Mohn schmeckt angenehm süßlich und orientalisch (7/10), und eine warme Honig-Infusion ‒ Genaueres habe ich nicht verstanden ‒ schmeckt blumig, leicht schnapsig, ebenfalls sehr gut (7/10).
Ein weiterer Appetizer hebt das Niveau schlagartig an. Marinierte, kurz angebratene Makrele kommt in Form mehrerer kleiner Stücke, kombiniert mit Dinkelsalat, Zitronenmayonnaise und frittierten Algen. Der Clou an dem Gericht ist eine süffige, süßlich-säuerliche Sauce, die mit Aromen von Anis und Sojasauce bezirzt und alle Komponenten wunderbar miteinander verbindet. Dabei bleibt das Gericht jedoch vielschichtig und elegant ‒ und wird am Gaumen gerade nicht zu einem gefälligen, homogenen Sammelsurium von Eindrücken. Das ist schon jetzt große Klasse. (8,9/10)
Inzwischen ist auch schon eine Flasche Rotwein offen. Ein 2004er Barolo „Le Vigne“ von Luciano Sandrone ist mit € 350 zwar mit einem heftigen Preisaufschlag kalkuliert, aber der soll es eben heute sein. Schon das erste Glas sorgt für größtmöglichen Weingenuss. Eukalyptus, getrocknete Blumenbouqets und kalte Marmorflure in italienischen Villen sind nur wenige der vielen Assoziationen, die mir dazu einfallen.
Der Barolo umnebelt, aber der Duft des nächsten Gangs (€ 55) reißt mich aus meinen Träumen ‒ hinein in andere. Die Aromen von bräunlich karamellisiertem Tintenfisch, beträufelt mit Limone, vom Flackern von Glühwürmchen und den Funken eines Grills katapultieren mich fast physisch an eine laue, dunkle Sommernacht am Mittelmeer. Das ist so eindringlich, dass mir Tränen in die Augen schießen ‒ vor Freude, so etwas vor mir zu haben und vor Erschöpfung, auf Gerichte wie diese so lange warten zu müssen. Dabei habe ich es noch nicht einmal probiert.
Vor mir auf dem Teller liegt etwas, das ein bisschen so aussieht wie ein dreieckiges Sandwich. Nur, dass die „Toastscheiben“ aus Tintenfisch bestehen. Es muss ein großes Tier gewesen sein, die Scheiben sind jeweils fast einen Zentimeter dick und haben am Gaumen eine entsprechend feste Textur. Sie wurden kreuzweise eingeschnitten und haben durchs Rösten eine verführerisch bräunliche Farbe angenommen. Nicht zu viel, nur so, dass der Geschmack des Tintenfischs nicht verfälscht wird. Dazwischen ‒ die Füllung, sozusagen ‒ ist eine Farce aus kleinen, rosa-transparenten Garnelen, die mit einem geschmacklichen Wechselspiel aus Süße und salziger Meeresfrische die Idee des Gerichts noch einmal verstärken. Das Ganze liegt in einer kleinen Menge transparenten Fonds aus gerösteten Krustentierkarkassen. Scheinbar trivialer Romanesco fügt etwas Frische und eine weitere, weichere Texturebene hinzu. Authentisch, produktnah, intensiv, himmlisch. Eines der unvergesslichsten Gerichte für mich. (10/10)
Nach einer kleinen Verschnaufpause geht es weiter mit Jakobsmuschel (€ 69). Obwohl ich nur in Ausnahmefällen ein Freund von Jakobsmuschel bin, fordere ich es hier heraus ‒ und werde nicht enttäuscht, sondern begeistert. Die Muschel ist zwar klein, aber zart, süßlich und wohlschmeckend. Ergänzt wird das makellos gebratene Exemplar mit einer dicken Scheibe enorm aromatischen schwarzen Trüffels aus Italien, unterschiedlich gegarten Stücken Artischockenherz und einer Art angedickten Trüffelvinaigrette. Eine fruchtige Komponente, die ich nicht näher identifizieren kann, lockert das alles etwas auf. Großartige Zutaten, Wohlgeschmack pur, aber, auf höchstem Niveau, eine Nuance weniger eindrucksvoll. (8,9/10)
Frittierte Zucchiniblüten, gefüllt mit Mozzarella und Sardellen (€ 69), sind eine römische Spezialität. Heinz Beck interpretiert sie im folgenden Gang neu und füllt die fragile Blüte mit einem Wachtelei und Kaviar. Die bildhübsche Kreation ist in einer Krustentier-Safran-Consommé angerichtet. Das Gericht ist purer Wohlgeschmack. Salzig, knusprig, stimmig und elegant. Ich muss vor erneuter Erleichterung tief durchatmen. Das zeitlose Gericht, das hier schon viele Jahre serviert wird, ist dazu dennoch modern: über das präzise Frittieren ohne jeglichen Teigüberschuss würden vermutlich sogar Japaner staunen. Ein kleines Meisterwerk. (9/10)
Als der folgende Gang den Tisch erreicht, weiß ich lediglich, dass es ein weiterer Klassiker des Hauses ist. Weitere Recherchen betreibe ich in der Regel vor Restaurantbesuchen zugunsten der Überraschung und Unvoreingenommenheit nicht.
Die Fagotelli „La Pergola“ (€ 56) sind eine Kreation Heinz Becks, kleine Nudeltaschen, vielleicht einen Kubikzentimeter im Volumen, hergestellt aus hauchdünnem Pastateig. Als das Gericht vor mir steht, sehe ich mich kurz um, ob zu den sechs kleinen Nudelpaketen noch eine Sauce angegossen wird. Welch profaner Gedanke. Denn die Pasta beherbergt in ihrem Inneren eine cremige Füllung aus geschmolzenem Pecorino-Käse, Eigelb und Sahne. Als das erste Stück Pasta in meinem Mund zerplatzt, sorgt ein unvermittelter, punktueller Umami- und Salz-Geschmack für Glücksgefühle. So wie sich diese im Kopf ausbreiten ‒ und jedem Esser dadurch zwingend ein herzliches Lächeln entlocken ‒ breitet sich der Wohlgeschmack langsam, aber sicher, am Gaumen aus. Der Pasta sind noch Gunanciale, ein fettiger Speck, und Zucchini beigemengt, in Form von winzig kleinen Würfeln. Geschwenkt wurde das alles noch in hocharomatischem Kalbsfond, und besprenkelt mit Tellicherry-Pfeffer. Nur noch fünf … vier … drei … zwei … eins. Das letzte Stück verspeise ich in einer etwas aufgewühlten emotionalen Verfassung aus Glück und Melancholie, die ich in einem beherzten Schluck des fantastischen Barolo zu ertränken versuche. Ein weiteres unvergessliches Gericht. (10/10)
Spaghetti „cacio e pepe“ (€ 49) greift thematisch einen weiteren Klassiker aus der bürgerlichen Küche Roms auf. Die Nudeln, die besten, die ich von dieser Sorte je gegessen habe, sind ganz präzise gekocht, ‒ sehr al dente, was ich nur den Italienern so abnehme ‒ und in die namensgebende Sauce mit Pecorino und Pfeffer gewickelt. Das an sich schon wunderbare Genusserlebnis von sämiger Sauce mit purem Umami-Geschmack und einem überraschend aromatischen Pfeffer, erhält durch kleine, in Zitrone marinierte ‒ aber sonst rohe ‒ Garnelen, eine unerwartete Leichtigkeit und kühle Kontraste. Ein weiteres der besten Pastagerichte, die ich je genossen habe. (9/10)
Genuss. Das ist hier das Thema. Unbeschwerter Genuss, mal ganz ohne Konnotation und Pinoiergeist. Angestachelt von dem Wissen, hier ein großartiges Gericht nach dem nächsten bestellen zu können, ängstlich, einen weiteren Superlativ zu verpassen, und in kurzweiligem Austausch mit dem wunderbaren Personal, wünsche ich mir ein weiteres Gericht. Die Küche soll es selbst auswählen, sage ich, und auf die vorsichtige Nachfrage, ob ich Lamm mögen würde, antworte ich nur: „Bitte, bringen Sie einfach!“.
Lamm (€ 59) folgt dann auch. Es gibt ein geschmortes Stück aus der Keule, überglänzt mit süffigem Schmorjus mit intensivem Rosmarin-Aroma. Das Fleisch ist geschmacklich wundervoll, aber nicht von größtmöglicher Saftigkeit. Hier wäre ein etwas fettigeres Stück wünschenswert gewesen. Dazu gibt es Brokkoli, Mangold, Zucchiniblüten und ein paar Tupfen Ziegenkäse. Geschmacklich erneut „zum reinlegen“, aber auf diesem hohen Niveau nicht auf dem höchsten. (8,9/10)
Die Dessertkarte, von der ich ohnehin nur in Spitzenrestaurants Gebrauch mache, liest sich weiter hervorragend. Zunächst gibt es einige Petit-fours.
Ein Kokosmacaron hatte alle (diffizilen) Merkmale eines perfekten Macarons, eine Tartelette daneben mit cremiger Füllung schmeckt wie eine ganze Portion besten Tiramisus, und ein Keks mit einer an englische Toffees erinnernden Creme schmeckt nach Schottischen Highlands, genossen zu einem Whisky, mit Ausblick auf neblige Seen und achtsame Falken. Alles auf höchstem Patisserie-Niveau. (9/10)
Ein Pré-Dessert besteht aus einer gefrorenen Erdbeerzubereitung, Passionsfruchtcreme und Vanilleeis. In Summe ergibt sich, trotz der Erdbeere, ein nahezu identisches Geschmacksbild wie beim Langnese-Eis Cuja Mara Split, das ich aus meiner Jugend noch sehr in Erinnerung habe. (Dass die geschmackliche Parallele vieler hervorragender Desserts zu industriellen Süßspeisen nichts Schlechtes sein muss, ist ein interessantes separates Thema.) Geschmacklich ist das fantastisch: kühl, cremig, exotisch-fruchtig. Ein derartiges Geschmacksbild lässt sich kaum besser transportieren. (9/10)
Nach einiger Vorbereitungszeit folgt ein Schokoladensoufflé (€ 32) mit Himbeeren und „ice cream 68/70/80“. Das ursprünglich nach einer herausfordernd großen Portion aussehende Dessert fällt schnell in sich zusammen, sobald man mit dessen Dekonstruktion beginnt. Doch mit ihr zerfällt nicht der Genuss. Die Speise besteht aus allen Stoffen, aus denen süße Träume gemacht sind. Ich schwelge im Schlaraffenland, ein freundlicher Probeschluck 2003er Château d’Yquem tut sein Übriges. (10/10)
Es war ein Fest wie seit Langem nicht. Die Küche Heinz Becks ist eine eindrucksvolle, höchst genussreiche Demonstration von einer im Grunde bodenständigen Küche, die hier nicht nur in den achten Stock des Hotels, sondern in den Olymp der höchsten Kochkunst erhoben wird. Heinz Beck zeigt mit seinen Gerichten, dass die Grundbedingungen für eine großartige Küche immer Authentizität (im Sinne von Glaubwürdigkeit), Reduktion (im Sinne von Weglassen von allem Überflüssigem) und eine kompromisslose Produktqualität beinhalten. Alles andere ist Makulatur.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | La Pergola (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Heinz Beck |
Ort: | Rom, Italien |
Datum dieses Besuchs: | 30.05.2019 |
Guide Michelin (IT 2018): | *** |
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