Courtier ‒ zwischen all der Pracht
Wäre dies ein Bericht über das Luxusresort Weissenhaus an der Ostsee, käme ich aus dem Stauen gar nicht mehr heraus. Ein ganzes Gutsdorf wurde hier ‒ fast ausschließlich mit privatem Geld in inzwischen dreistelliger Millionenhöhe und unter strengen Denkmalschutzauflagen ‒ restauriert und zu einem Hotelresort der absoluten Spitzenklasse umgewandelt.
In Deutschland kenne ich keine vergleichbare Herberge, die so detailbewusst, liebevoll und individuell gestaltet ist und dem Gast dabei ‒ stets diskret und charmant ‒ nahezu jeden Wunsch erfüllt. Und sei es der Wunsch, einfach gar keine Wünsche erfüllt zu bekommen und nur auf die Ostsee zu blicken.
Dass man in solch einem Anwesen auch eine Spitzengastronomie vorhält, liegt auf der Hand. Das Konzept fällt dabei wenig überraschend aus. In gediegener Atmosphäre speist der Gast unter Kronleuchtern und umgeben von Gemälden des Malers Jacques Courtier, die dem Restaurant seinen Namen verleihen. Dunkelgraue Tischdecken und eine quietschgelbe Beleuchtung der Weintemperierschränke versuchen, modische Akzente zu setzen. Als Küchenchef heuerte man Christian Scharrer an, ehemaliger Küchenchef des dank ihm damals noch zweifach besternten Buddenbrooks in Travemünde. Die zwei Sterne leuchten inzwischen auch hier.
Bevor es zu Tisch geht, befasse ich mich schon am Nachmittag intensiv mit der Weinkarte. Ich mache das vor einem Restaurantbesuch häufiger, um später am Tisch Zeit zu sparen. Das zahlt sich auch heute aus, denn die Auswahl ist ‒ das kann man auch nicht beschwichtigen ‒ einfallslos, mittelmäßig und maßlos überteuert. Neben Skurrilitäten auf Supermarktniveau („Der Schwarze Loewe“ Lemberger vom Weingut „Graf Adelmann“ für € 99 ‒ Ladenpreis ca. € 29), findet man akzeptable Weine erst ab ca. zweihundert Euro, z. B. ein Savigny-les-Beaunes 1er Cru „Les Teurons“ von der Domaine Remoissenet für € 199, dem Vierfachen seines Ladenpreises. Ich vermute, dass eine Weinbegleitung à la Grauburgunder & Co. das Gros der Zielgruppe hier zufriedenstellt.
Glücklicherweise gibt es hier eine sehr tüchtige und mitfühlende Sommelière, die an ihrem Erbe des Weinkellers keine Schuld trägt. Wir verbringen eine kurzweilige Dreiviertelstunde im eindrucksvoll eingerichteten Schlosskeller und finden schließlich eine Lösung.
Die Speisekarte des Courtier (Menüs zwischen € 150 und € 180) ist mit ubiquitären Luxuszutaten wie Entenleber, Trüffeln, Hummer und Wagyu-Rind bestückt. Zwar gibt es auch einen „Holsteiner Wildhasen“, doch insgesamt spricht die Karte eine französische Sprache. Das ist natürlich legitim ‒ und ich habe heute Abend durchaus Appetit darauf ‒, aber in Anbetracht des auf diesem Anwesen so präzise ausgearbeiteten regionalen Bezugs ist das möglicherweise auch eine ungenutzte Chance. Eine die Region beschreibende Küche, so wie man das beispielsweise in den an die Nordsee grenzenden Regionen Belgiens und der Niederlanden erleben kann, oder in Deutschland z. B. im Söl’ring Hof auf Sylt, würde hier zweifellos besser zum Konzept passen.
Das Menü beginnt mit fünf minutiös präparierten Aperitif-Snacks. Ganz oben ein Cracker aus grünem Reis mit Mango und verschiedenen Cremes (6,5/10); rechts daneben, auf einer Zwiebelwaffel, Marone, Kalamansi und Haselnuss-Mayonnaise (6,5/10); dann ein Teigkissen mit Algencreme (6,5/10); sphärisierte Frankfurter grüne Sauce (7/10) sowie ein Arancino mit Steinpilz und Aprikose (6,9/10). Alle Kreationen folgen dem Prinzip „Gebäck mit Creme“, was in dieser Anzahl etwas ermüdend ist und gute Produkte ohnehin vermissen lässt. Dazu auf dem Tisch stehende Grissini-Stangen sind steinhart.
Ein weiteres Amuse-Bouche ist eine Kreation mit eingelegten Gurken, die Teil eines sympathisch norddeutschen Geschmacksbilds sind. Dazu tragen unter anderem eine Sauerkrautvelouté und eine Austerncreme bei sowie herzhafte Komponenten wie Zwiebel, warmer Schweinebauch, Kartoffelpüree und weitere. Typisch „deutsch verspielt“, aber ein gelungener Auftakt. (7/10)
Der erste Gang des Menüs beinhaltet geräucherte Gelbschwanzmakrele (Hamachi) in einem Arrangement aus abermals sehr vielen Zutaten. Cremes, Schäume, Sphären, Saucen und Pürees dominieren den Teller, der dezent nach Geräuchertem schmeckt, mich aber mit all den aus Spritztüllen und Quetschflaschen aufgepressten Komponenten überfordert. (6,9/10)
Erfreulich näher am Produkt befindet sich das nächste Gericht mit Seezunge. Das ‒ sehr feste ‒ Stück Filet ist von einer Art Entenlebermembran bedeckt, dazwischen findet man noch Kerbelrübchen. Ein leicht aufgeschäumtes Fumet aus den Knochen des Fischs ist hervorragend, weitere Cremes und Mikrokomponenten bringen jedoch wieder etwas Ablenkung in das sehr gute, aber auch mächtige Gericht. (7/10)
Es folgt ausgelöster Hummer in dürftiger Qualität ‒ gräulich-wässrig, mit etwas fischigem Geschmack ‒ in einer Komposition, bei der mir Schwämme und Schäume ohnehin wieder einen Strich durch den Genuss machen. Einzig die Sauce ist erneut hervorragend, sodass man sich fragt, warum bei so viel klassischem Können überall irgendwelche Schäume auf dem Teller aufplatzen müssen. (6/10)
Als nächstes folgt Kagoshima-Rind, dünn aufgerollt und in einem Shiitake-Dashi angerichtet, der befremdlich stark angedickt ist. Ein Eigelb, grüne dicke Bohnen, Pak Choi und Auberginenkaviar ergänzen das Gericht auf nicht allzu schlüssige Weise. Die Idee, das Fleisch aufzurollen und in einer Art Brühe zu servieren, erinnert entfernt an Shabu shabu, dem japanischen Essen, bei dem man unter anderem Fleisch selbst am Tisch kocht. Doch das Potenzial des zarten, qualitativ hervorragenden Fleischs, wird hier, gerade geschmacklich, nicht optimal ausgeschöpft. Das ist alles eher fad, und es saugt sich auch schon wieder einer dieser Schwämme mit Flüssigkeit voll. (6,9/10)
Saftige Perlhuhnbrust, vermutlich sous-vide gegart und mit Trüffeln farciert, ist handwerklich sehr gut umgesetzt, und wird mit einem hervorragend dichten, aromatischen Trüffel-Jus serviert. Ein Hahnenkamm versteckt sich auch noch in dem Gericht, allerdings ist das eher ein Zufallsfund, als wolle man diese originelle Idee vor den Gästen verstecken. Perlhuhn, Kamm und Sauce sind hervorragend, alle weiteren Zutaten, inklusive des recht trockenen Trüffels, eher unnütz. (7/10)
Der im Menü vorgesehene Käsegang präsentiert sich als warmer, geschmolzener Vacherin Mont d’Or mit Trüffeln und etwas Grün. Zünftig. (6,5/10)
Desserts probiere ich nur am Rand, sie sind gut bis sehr gut, aber irgendwie ist gerade die Luft raus, auch bei meinen Notizen.
Es ist etwas bedauerlich, dass das heutige Menü in recht deutlichem Maß vom Qualitätsanspruch des restlichen Hauses abwich. Auf den Tellern wurde viel gebastelt, viel angerichtet und viele Cremes aufgetragen. Das wirkte meist eher unsicher als kreativ, eher ablenkend als unterstützend. Produkthighlights gab es zudem kein einziges, meine größte Kritik an dem dadurch für mich entbehrlichen Menü.
Aber im Weissenhaus gibt es keinen Stillstand. Das gastronomische Angebot wird ständig weiterentwickelt, und auch beim Thema Wein wurde bestimmt noch nicht das letzte Wort gesprochen.
Dafür ist das Frühstück hervorragend. So, wie auch die Aussicht auf eine Wiederkehr. Wenn im Sommer die Terrasse zum Schlemmen einlädt und die Ostsee in der Sonne funkelt. Man wird ja noch mal träumen dürfen.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Courtier (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Christian Scharrer |
Ort: | Wangels, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 04.01.2019 |
Guide Michelin (D 2018): | ** |
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