Geisels Werneckhof ‒ Shiso in Schwabing
Wer zwischen den gutbürgerlichen Fassaden der Werneckstraße im Münchner Stadtteil Schwabing spazieren geht, könnte hinter dem Namen Geisels Werneckhof ein gepflegtes bayerisches Wirtshaus erwarten. Wohl dem, der die Speisekarte außen studiert, denn Ingredienzen wie Umeboshi, Yuzu, Shiso und Seeigel sprechen zweifellos keine landestypische Mundart.
All das klingt sehr vielversprechend. Lediglich die Gastronomie an sich passt augenscheinlich nicht zu den kosmopolitischen Attributen, die Speisekarte und Vita des Küchenchefs schmücken. Das Interieur des denkmalgeschützten Hauses konfrontiert den Gast mit einer regelrecht sakral anmutenden Mischung aus kargen, weiß verputzten Wänden, blendend hell beleuchteten Tischtüchern, rotbespannten Sitzbänken und Jugendstilmöbeln. Hier kann man vermutlich ohne Zweifel einen schönen Abend verbringen ‒ genau das habe ich jetzt auch vor ‒, aber dass Küche und Gastronomie hier nicht aus einem Guss sind, lässt sich nicht verbergen. Damit man mich nicht falsch versteht: das muss es auch gar nicht.
Zu einem Glas weißen Bordeaux (2010 Virginie de Valandraud, € 17,50) gibt es dann vor dem flexibel kombinierbaren Menü (5-7 Gänge für € 150-180) erste Amuse-Bouches.
Ein Rindertartar von exzellenter Qualität und mit perfekter, kühler Temperatur, wird auf knusprigem Krabbenchip zusammen mit Lotuswurzel und einer kräuterigen Sauce serviert (8,5/10); ein soufflierter Flammkuchenteig mit roh marinierter Nordseegarnele und Lardo hat eine angenehm leichte, knusprige Textur, die dem rohen Krustentier genug Paroli bietet, um nicht „schleimig“ zu wirken. Etwas weihnachtliche Aromen passen originell und gelungen zur Jahreszeit (7,5/10).
Ein kleines Schälchen mit roher Gelbschwanzmakrele (Hamachi) mit einem kühlenden Gel von Holunderblüte und weiteren Komponenten stellt exzellente Fischqualität zur Schau sowie ein kurzweiliges Spiel mit Frische, Säure und leichter Schärfe, das begeistert und nachwirkt.— 9/10
Ein im Anschluss gereichtes Chawanmushi mit Saiblingskaviar, Haselnüssen und Schnittlauch demonstriert perfektes Handwerk und ein ansprechendes japanisches Geschmacksbild, das nur durch die Haselnüsse charmant in einen (nicht allzu) westlichen Kontext gerückt wird. Ein dazu gereichter Becher mit Dashi duftet nach Fernost und schließt die Reihe an herausragenden Amuse-Bouches beeindruckend ab.— 9/10
Ich bin bereits nach diesen Einstimmungen bester Laune und sehr erfreut über die dargebotenen Qualitäten und frischen, leichten Geschmacksbilder. Zu sehr gutem, frisch gebackenem Weißbrot mit einer dünnen Kruste wird pikant-würziges Schnittlauchöl, eine Tofucreme mit Kresse sowie französische Butter serviert, alles tadellos.
Der erste Gang des Menüs setzt rohen Thunfisch in Szene, und zwar sowohl ein größeres Stück vom mageren Rücken als auch kleinere Stücke vom fettigeren Bauch. Obwohl diese Zutaten bereits komplett für sich alleine stehen könnten ‒ die Qualität ist hervorragend ‒, kombiniert Nakamura sie hier unter anderem mit einer säurebetonten Kombuvinaigrette und Saiblingskaviar, reifer Avocado und Perilla (Shiso). Keine der Komponenten stiehlt dabei dem exzellenten Hauptdarsteller die Schau, stattdessen wirkt jede Zutat auf ihre Art unterstützend, und zwar sowohl gegenüber dem Thunfisch als auch in Bezug auf die anderen Mitspieler. Ein Komplexes, sehr harmonisches Zusammenspiel auf qualitativ weiterhin sehr hohem Niveau. (8,9/10)
Es folgt Wolfsbarsch als dünne Filet-Tranche, scharf auf der Haut gebraten und ebenfalls von exzellenter Qualität. Dem Fisch steht eine Reihe von vegetarischen Komponenten gegenüber, die optisch irrtümlich einen trockenen Eindruck vermitteln, sich am Gaumen aber dann harmonisch ‒ leicht erdig und frisch ‒ mit allem zusammenfügen. Zwei Saucen ‒ eine cremige Beurre Blanc sowie eine leichtere, angenehm säuerliche Sauce mit Tintenfischtinte ‒ dienen als Bindeglieder. Der Teller an sich ist bereits hervorragend, ein begleitendes Schälchen mit Pulpo „à la pil pil“ mit allem Möglichen an süffigen, pikanten, herzhaften Zutaten, ist die Wucht. (9/10)
Das bisher exzellente Menü fährt fort mit Schweinekinn, zart und saftig, darauf ist ein „Salat“ von Taschenkrebsfleisch und weiteren Zutaten wie Rettich, Kräuter und knusprigen Komponenten angerichtet. Umgeben ist das Konstrukt in einer phänomenalen Seeigel-Beurre-Blanc und Kräuteröl. Mikan, eine japanische Mandarinenart, fügt eine fernöstliche Exotik hinzu, die sich sehr harmonisch in das Geschmacksbild einzufügen weiß. Eine leichte Schärfe ist ebenfalls präsent und komplettiert ein erneut herausragendes Gericht.— 9/10
Der Hauptgang mit Wildhase ist dann im Wesentlichen nach klassisch französischen Maßgaben zubereitet. Ein großzügig portioniertes Stück Filet, das in Beifuß mariniert wurde, liegt in einer grandiosen Sauce mit schwarzem Trüffel. Die „Gemüsebeilagen“ bestehen, unter anderem, aus Kerbelwurzel, frischem Kerbel und Schwarzwurzel. Sie sind angenehm authentisch, fügen eine „frische Erdigkeit“ hinzu und sind damit geschmacklich absolut stimmig zu Hase und Trüffel. Wildhase ist naturgemäß nicht immer besonders zart, aber gerade in dieser Hinsicht wurde hier ein Optimum erreicht. Das Kännchen mit der Sauce leere ich vollständig.— 9/10
Es gibt danach reife, sehr aromatische Mango, die unter anderem mit schwarzem Sesam (auch als Chips), jungem Thai-Basilikum (auch als Saat) und Yuzu serviert wird. Die fruchtig-exotische Komposition ist auf ganz hohem Niveau, die Aromen sind wie ein Parfüm. Die verspielte Anrichtweise wäre da gar nicht vonnöten.— 9/10
Drei Desserts markieren das „süße Ende“.
Eine Traubentarte mit Grüntee-Chibouste und Mandeln ist leicht frisch, aber etwas verhalten vom Aroma, verfügt dafür aber über einen exzellent zubereiteten Mürbeteig (7/10); ein Blutorangen-Guaven-Sorbet mit Estragon und Arbequina-Olivenöl hat eine wunderbare, exotische Note (9/10).
Ein neben dem Tisch finalisiertes Dessert bestehend aus einem Kürbis-„Dim Sum“ mit warmem Teig und süßer Kürbisfüllung ist zunächst „nur“ hervorragend, aber in Kombination mit Sanddorn, Kaki und Veilchen eines der besten Desserts des Jahres. Mit exotischen Aromen kriegt man mich ja, aber so feinsinnig wie hier wird das selten beherrscht.— 9/10
Eine Überraschung in Schwabing! Überraschung deshalb, weil man von Geisels Werneckhof vergleichsweise wenig hört, wenn man über die Münchener Restaurantlandschaft spricht. Dabei gehört das Restaurant zweifellos in Gespräche weit über München hinaus. Wenngleich: das Restaurant nicht unbedingt, sondern das hervorragende Essen von Nakamura. Das Haus an sich, mit seinem sperrigen Namen und retrogradem Charme, lässt sich wohl eher schwierig vermarkten. Aber hiermit ist es ja gesagt. Auf nach Schwabing.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Geisels Werneckhof (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Tohru Nakamura |
Ort: | München, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 25.11.2017 |
Guide Michelin (D 2017): | ** |
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