Bianc ‒ Algarve trifft (auf) Hamburg
Wenn man im Internet nach mediterranen Restaurants in Hamburg sucht, erscheinen dort auf den obersten Rängen Touristenfallen, Nachbarschaftsspelunken und Systemgastronomiefilialen. Zu einem Restaurant, das dem eindeutigen Foto nach zu urteilen billige Garnelen aus Südostasien mit einer klebrigen Sahnesauce überzieht und dazu aufgeblähtes Industrie-Ciabatta serviert, titelt ein Bewerter „Klassiker küsst Fine Dining“, ein weiterer lobt ein paar Würfel gräulich trockenen Thunfischs „in sensationeller Sashimi-Qualität“.
In einer Stadt, in der solche Restaurants voll sind bis zum Anschlag, wurde jetzt ein italienischer Spitzenkoch installiert, der vorher in der zweifach besternten Vila Joya in Portugal Küchenchef gewesen ist und ebenfalls mediterran kochen will. Matteo Ferrantino heißt der Mann der Stunde. Vermutlich hat man ihm von dem mediterranen Grauen in dieser Stadt nicht erzählt, sonst wäre er bestimmt mit klinischem Schockzustand wieder nach Portugal zurückgereist, wo man ihm ein paar authentisch gegrillte Fischgerichte mit Zitrone unter die Nase gehalten hätte, damit er wieder zur Besinnung kommt.
Stattdessen hat man ihm ein eigenes Reich in der HafenCity überlassen, das sich im Hochparterre eines modernen Bürohauses versteckt. Ein Hamburger Privatinvestor steckt dahinter; offenbar hat ihm das Essen in Portugal so gut geschmeckt, dass er den Küchenchef von dort gleich zu sich nach Hause locken konnte. Auch das Küchenpersonal und Teile des schicken Interieurs sind aus dem Ausland mit angereist.
Das Restaurant wirkt daher schon mit seiner Entstehungsgeschichte wie ein Fremdkörper in dieser von modernen gastronomischen Einflüssen weitestgehend abgeschotteten Stadt. Wie ein willkommener Fremdkörper, muss ich ergänzen, denn als ich heute Abend hier eintrete, sieht das ein bisschen so aus wie in einem spanischen Avantgarde-Restaurant. Der Olivenbaum in der Mitte erinnert an Restaurants wie das El Celler de Can Roca oder Azurmendi, die runden Tische aus hellem Holz, ohne Tischdecke und mit akkurater Spotbeleuchtung kennt man sonst auch nicht in diesen Breiten. Nicht, dass die spanische Avantgardeküche zu meinen liebsten zählt, aber bereits das Gastronomiekonzept hier ist so neuartig für Hamburg, dass jeder auch nur halbwegs an spannender Gastronomie interessierte Gast dem Bianc die Tür einrennen sollte.
Doch an diesem Donnerstagabend zähle ich, mich eingeschlossen, genau sieben Gäste, die sich auf vier von insgesamt sechzehn Tische verteilen. Man würde absichtlich etwas „piano“ starten, erklärt die freundliche Dame aus dem Service, und sei ja ohnehin „erst am Anfang“, eine Woche nach der Eröffnung. Aber die sieben Gäste heute Abend sind natürlich dennoch eine schallende Ohrfeige des Hamburger Restaurantpublikums. Ich plaudere mit der Sommelière etwas über die hiesige Gästelandschaft, über London und New York und fülle das vor Leere hallende Restaurant mit etwas Heiterkeit.
Am Nachbartisch flüstert man und wird erst wieder lauter, als etwas nicht zu stimmen scheint: „Wir mögen beide keine Chorizo. Das hatten wir Ihnen am Anfang auch gesagt!“ höre ich von rechts und traue meinen Ohren kaum. Das Gericht, auch noch eine Offerte aus der Küche, wie ich zwangsweise mitbekomme, wird zurück in die Küche geschickt. Herzlich willkommen in Hamburg, Herr Ferrantino! Es ist aber sonst ganz schön hier.
Das Essen (Menü „Emotion“, sechs Gänge € 129) beginnt mit einem außergewöhnlich präsentierten Arrangement. Es besteht aus einem Granny-Smith-Gazpacho im Reagenzglas (süßlich-säuerlich, nach unten hin kälter, aromatisch sehr gut), einem in Büffelbutter gestippten Radieschen (könnte noch Salz vertragen und aromatischer sein), einem Baiser mit Entenleber und Mango (ähnlich präzise gearbeitet wie bei Nachbar Kevin Fehling, aber geschmacklich weniger ausgeklügelt), Hähnchen mit Piri-Piri (leicht curryartig), und Rindertartar in einem Teighörnchen. Letzteres ist ganz hervorragend, weil eine prägnante, aromatische Zitronensäure, vermutlich Limette, hier gewitzt mit südlichem Charme spielt. — Letzteres 8/10, alles zuvor um die 6,9/10.
Der Chef persönlich bringt das Brot an den Tisch. Es ist ein luftiges, an Focaccia erinnerndes Brot, ölig und nach Rosmarin duftend. Ferrantino präsentiert das Brot in einer knisternden Papiertüte, alles so wie er es von seiner Mutter auf dem Schulweg mitbekommen hat, erzählt der Koch mit markantem Charaktergesicht sichtlich berührt. Butter von guter Qualität ist mit Olive und Tomate aromatisiert, das passt in Kombination mit dem mediterranen Brot exzellent. Etwas Meersalz fehlt mir hier lediglich, um diese einfache Freude ganz perfekt zu machen.
Lírio, eine Makrelenart aus Portugal, wird auf dem nächsten Teller als Sashimi zusammen mit hauchdünnen, rohen Blumenkohlscheiben und eingelegter Zitrone (Salzzitrone) serviert. Eine ansprechende, frische Säure und die hohe Qualität des Fischs stehen im Mittelpunkt dieses Tellers. Allein der Einsatz diverser Cremes stören das Ensemble etwas, weil ihre sehr glatte, an Zahnpasta erinnernde Textur etwas Artifizielles mit sich bringt. In Summe hat man es hier aber mit einem sehr ansprechenden, durchdachten Teller zu tun. (7/10)
Es folgt tourniertes Artischockenherz. Dies ist geschmacklich exzellent und in einer säuerlich angemachten Olivenölemulsion angerichtet. Diese verbindet die Aromen des Olivenöls mit denen von Zitrone vermutlich über einen Texturgeber wie Lecithin oder Xanthan. Das nimmt auch diesem wunderbar puristischen Gericht etwas Natürlichkeit. In der Emulsion findet man noch Thunfischquader von guter Qualität ‒ dicht, kühl und leuchtend frisch ‒ sowie Kapern, die ein sehr mediterranes Geschmacksbild komplettieren. Doch fehlen auch Akzente (Salz, Säure), um die positiven Eigenschaften aller Zutaten noch deutlicher herauszuarbeiten. (7/10)
Seeteufel folgt. Er ist von guter Qualität, weist ansprechende Röstnoten auf, die sowohl optisch als auch geschmacklich eine Brücke zu dem Chorizosud bauen. Dieser ist süffig und von geschmacklicher Tiefe, aber erneut etwas stark abgebunden. Zu dem Gericht gehört, à part serviert, ein Teller mit einem Toastbrot, welches mit dem aromatischen Inneren von Tomate sowie dünnen scheiben exzellenter Chorizo drapiert ist ‒ die, die am Nachbartisch verschmäht wurde. Die leicht pikante Herzhaftigkeit und der Umamigeschmack der Tomate passen exzellent zum Sud des Fischgerichts. Zwei ebenfalls dazu servierte, kalte Babytintenfische haben allerdings wieder eine etwas befremdliche Textur, in etwa wie erkaltete Pasta, und schmecken sehr „vorbereitet“ ‒ ein Symptom, das sich hier leise, aber auffällig, von Teller zu Teller zieht. (6,9/10)
Das Prinzip, Fisch mit süffiger dunkler Sauce zu kontrastieren, findet auch beim nächsten Gang Anwendung. Saftiger, zarter Kabeljau wird hier in einer herzhaften, süffigen Sauce mit prononciertem Salzgehalt serviert, und etwas zu knusprige Topinambur-Chips sorgen für einen Texturkontrast (den ich hier nicht unbedingt benötige). Schwarzer italienischer Trüffel ist nicht mehr ganz so frisch, fügt aber eine gelungene erdige Note hinzu. Das ist geschmacklich sehr gelungen, und mit etwas mehr Achtsamkeit für Details wäre das noch deutlich besser. (7/10)
Kalbfleisch, als Bäckchen und Filet, letzteres sous-vide gegart, folgt mit Ochsenherztomate und einer dunklen Sauce mit Pesto-Schaum. Durch die Tomate und die Basilikumnoten des Pestos will ein leichtes, mediterranes Geschmacksbild entstehen, das sich gegen den dunklen Jus und das schwere Kalbsbäckchen jedoch nicht durchsetzen kann. Das Filet präsentiert sich zudem auch etwas trocken, und damit wird das Gericht entbehrlich. (6,5/10)
Ein Dessert mit Ziegenjoghurt und Pflaume ist exzellent. Das Eis ist cremig und nicht zu süß, ein sehr schmackhaftes Pflaumenkompott addiert Fruchtsüße. Feingehobelte gefrorene Gänseleber obenauf ist optisch pfiffig, fügt dem Gericht jedoch weder geschmacklich noch texturell irgendetwas hinzu. Dennoch exzellent. (7,5/10)
Schokolade, Mascarpone, Birne und Erdnuss folgen als Komponenten unterschiedlicher Zubereitungsarten im nächsten Dessert. Das bekannte Schokolade-Birne-Geschmacksbild wird hier um interessante Akzente wie Salz und Karamell ergänzt. Auch hier findet man viele Cremes und Pasten wieder, was sich am Ende immer so anfühlt als nähme man Industrienahrung zu sich. Dennoch geschmacklich eher recht als schlecht. (6,9/10)
Das Bianc ist ein spannender Zuwachs in Hamburg. Die Weinkarte ist ebenfalls eine überraschend ansprechende Fundgrube mit fairen Aufschlägen und diversen guten Tropfen, überwiegend aus Deutschland und Frankreich.
Betrachtet man das ambitionierte Preisniveau, wünschte ich mir allerdings mehr exzellente Produkte, mehr Authentizität und dafür weniger Thermomix und Texturgeber. Gerade eine mediterrane Küche ‒ auch, wenn man sie modern interpretiert ‒, verlangt nach einer Nähe zum Produkt, nach Röstaromen und Grill, nach Zitrusfrüchten und Sonne, nach Speisen, die an Zikaden und Eukalyptusbäume erinnern. Das Erwecken solcher Emotionen ist selbsternanntes Ziel des Restaurants, aber das will noch nicht ganz gelingen. Ein vielversprechender Start ist das aber allemal.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Bianc (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Matteo Ferrantino |
Ort: | Hamburg, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 23.11.2017 |
Guide Michelin (D 2018): | noch nicht bewertet |
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