The Araki – Japan ganz nah
The Araki ist eine der wenigen Antworten auf die Frage, wo man außerhalb Japans authentisches Sushi auf vergleichbarem Niveau genießen kann. Ich bekomme diese Frage häufig gestellt, oft in der Hoffnung, dass meine Antwort ein Restaurant in Deutschland, gar in der eigenen Stadt, beinhaltet. Aber weit gefehlt. Gute Adressen sind außerhalb Japans äußerst rar gesät. Man findet sie fast ausschließlich in Metropolen wie Hongkong, Los Angeles, New York oder San Francisco, in Städten also, wo das Geld vieler Gäste besonders locker sitzt. Denn gutes Sushi ist ein teures Vergnügen, noch besseres Sushi ein noch teureres. Der Fisch muss den Japanern nämlich regelrecht unter der Nase weggekauft werden, und zwar ganz gleich, woher der Fisch stammt. Die japanischen Fischhändler zahlen bis zu sechsstellige Dollarbeträge für so manchen Thunfisch aus Portugal.
Seit einiger Zeit muss man als Europäer aber nicht mehr zwingend eine Langstrecke in Kauf nehmen, um in den Genuss von exzellentem Sushi zu gelangen. In Paris und London beispielsweise gibt es inzwischen hervorragende Adressen, die für ein erstes Augenöffnen, was diese faszinierende Speise betrifft, absolut geeignet sind.
In Deutschland gibt es keine solche Adresse. Zu Recht. Die deutschen Esser, von einigen Ausnahmen abgesehen, sind nicht so weit, um diese schlichte, grandiose Speise kulinarisch und finanziell wertzuschätzen. Sie verdienen daher kein gutes Sushi. Wir verdienen kein gutes Sushi. Das ist die traurige Wahrheit. Solange der Henssler noch jeden Tag seine Bude voll bekommt, ist diese Aussage wahr. Wer das anzweifelt, der stelle sich nur einmal die Situation vor, ein Japaner mit jahrzehntelanger Erfahrung in Tokio entscheidet sich für einen Neuanfang in Berlin-Mitte – mit 450-Euro-Menü, Vorauszahlung per Kreditkarte und eingeflogenem Reis und Wasabi aus Japan. Ich kann mir gar nicht ausmalen, wie viele Leute da mit dem Kopf schütteln würden und wie viele Medien dieses Restaurant in feinere Stücke zerhacken würden als der Sushi-Meister schneiden könnte. So viel Geld für Reis mit Fisch! Nicht einmal normale Tische! Kein Brot, bei den Preisen! Und die Umwelt! Und überhaupt! Allein der Gedanke an diese Situation verdirbt mir die Laune.
Etwas Glück hatten die Briten in ihrer Hauptstadt trotzdem, dass Sushi-Meister Mitsuhiro Araki sich für seine neue Herausforderung ausgerechnet einen Platz an der Themse ausgesucht hat. Der Sushi-Meister, dessen Restaurant in Tokio lange Zeit mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet war, hatte für seinen neuen Standort zunächst New York, Paris und Singapur in der engeren Auswahl. Joël Robuchon, als Gast bei ihm in Tokio, war es schließlich, der ihn von London überzeugte. Warum überhaupt der Wechsel? Araki suchte schlicht eine neue Herausforderung.
Ein bisschen also auch dank des französischen Gastronomie-Moguls trete ich heute Abend ins The Araki ein. Meine 36-stündige Reise nach London habe ich hauptsächlich wegen der folgenden zwei, drei Stunden geplant. Und obwohl ich erst kürzlich in Japan war, ist mein Verlangen nach gutem Sushi in letzter Zeit wieder unerträglich geworden. Die Aussicht, bei einem ehemaligen japanischen Drei-Sterne-Sushi-Meister essen zu können, ohne dafür eine fünfstellige Zahl an Kilometern und Euro zurücklegen zu müssen, ist äußerst verführerisch. Ich wollte schon lange ins The Araki, aber, nun ja, meine Liste ist lang.
Der Wohlfühlmoment tritt blitzartig ein als ich das Restaurant betrete. Das weiche Holz der Hinoki-Zypresse, das schlichte Geschirr, das Personal in weißen Kitteln, die Essstäbchen, der Geruch nach Holz, Reis und Reinheit: all das wirkt beruhigend und wohltuend. Ungewöhnlich ist es, auch westliche Gesichter hinter dem Tresen zu sehen.
Der Meister hantiert gerade mit einem enorm großen Stück Thunfischbauch. Sein Gesichtsausdruck changiert dabei zwischen Konzentration, Hochachtung und Stolz. Die sechs Gäste am Tresen, ich eingeschlossen, beobachten das Geschehen ehrfürchtig und mit Vorfreude.
Die Zubereitung des ersten Gangs hat die Ästhetik einer Hirnoperation. Jeder Handgriff sitzt als ginge es um Leben und Tod. Die Instrumente sind scharf, jeder falsche Schnitt wäre fatal.
Das Resultat ist ein Schälchen mit zwei Häppchen von englischem Wolfsbarsch aus der Gegend um Cornwall, roh, um ein Stück weißen Spargel gewickelt, darauf eine an Miso erinnernde Sauce, sowie etwas Kaviar. Der Fisch ist zart, wunderbar, keinen Hauch fischig, perfekt temperiert, fast flüchtig im Geschmack und damit von japanischer, prägender Qualität. Der Spargel liefert etwas knackige Säure, der Kaviar Salzigkeit. Nur die Geschmacksrezeptoren für Bitter und Süß werden ausgeklammert als gäbe es sie nicht. Araki hat schon jetzt gewonnen. Ich bin nur noch eine Marionette meiner Sinne, die der Meister so präzise steuert wie die Klinge seines Messers. Gänsehaut. Nur für diesen Moment hat es sich bereits gelohnt, nach London zu fliegen. (9/10)
Der nächste Gang ist ein Tartar von Thunfischbauch, mit Eigelb und Sesam zu einer süffigen Masse kombiniert, mit Yuzu parfümiert und mit einer großzügigen Portion schwarzer Trüffeln überdeckt, die allerletzten der Saison, aus Italien. Das Gericht ist eine einzige Harmonie. Die duftende Säure der Yuzu, die Kühle des fettigen Fischs und die waldigen Aromen des Trüffels sind eine eindrucksvolle Fusion von japanischer und westlicher Welt, die mich ungläubig die Augen schließen lässt. (10/10)
Der nächste Appetizer besteht aus kleinen Stücken einer frittierten Masse aus Hummer, Streifenbrasse und Tintenfisch, die auf einem flachen, quaderförmigen Abschnitt eines Maiskolbens serviert werden. Die frittierte Fischfarce ist luftig und locker, die Panierung kross, hauchdünn und ohne jeglichen Fettgeschmack. Der Mais fügt eine weitere, kontrastierende Texturebene hinzu. Etwas frisch geriebener Wasabi obenauf gibt dem Gericht einen entscheidenden Kick. (8,5/10)
Bevor es mit dem klassischen Nigiri-Sushi weitergeht, gibt es eine erfrischende Kreation mit Kirschblüten, Salz und Rhabarber, die eine ähnliche Funktion wie ein Granité erfüllt. Diese kleine Speise ist kühl, erfrischend und angedeutet blumig. Ein ganz hervorragender „Gaumenerfrischer“. (8,5/10)
Das erste Stück Nigiri, das ich probiere, ist mittelfetter Thunfisch (chūtoro). Wie immer beim ersten Stück Sushi aus der Hand eines einem noch unbekannten Sushi-Meisters kann man bereits optisch eine Handschrift erkennen: dieses Stück Nigiri ist ziemlich klein, der Reis auffallend luftig und locker; der Fisch umwickelt den Reis nahezu vollständig, ist dabei aber nicht allzu präzise geschnitten. Glanz, Farbe und Marmorierung des Fischs lassen keinen Zweifel aufkommen, dass man es hier mit einer Qualität zu tun hat, der man außerhalb Japans kaum begegnen kann. Am Gaumen bestätigt sich die grandiose Qualität und ein Sushi-Erlebnis der Extraklasse. Es fühlt sich unwirklich an, in diesem Moment nicht in Japan zu sein. (9/10)
Es gibt als nächstes fetten Thunfisch (ōtoro). Jetzt nehme ich die lockere Körnung vom Reis sogar noch etwas deutlicher wahr, die für meinen Geschmack etwas zu „luftig“ ist. Dennoch hat der Reis einen perfekten Gargrad und eine feine Säure. Auch dieses Stück Nigiri ist jeden Flugkilometer nach London wert. (8,9/10)
Die Stimmung ist gelöst. Araki-san ist ein freundlicher Kerl mit resolutem Charakter. Mit seiner Brille, dem kahlen Schopf und seiner Akribie hat er verblüffende Ähnlichkeit mit Küchenchef César Ramirez aus New York.
Geflämmte Gelbschwanzmakrele wird direkt in die Hand serviert und ist mit Sojasauce bepinselt. Das Stück ist absolut herausragend: zart, fast zerfallend, saftig und rein. Aromen eines Grillfeuers schwingen irgendwo mit. (9/10)
Der Tintenfisch ist bei Araki kreuzförmig eingeschnitten, was ungewöhnlich ist, aber u. a. für einen guten Halt der weiteren Zutaten sorgt. Diese sind gelber Kaviar vom deutschen Stör, Sojasauce und Sudachi-Zitrusfrucht. Höchst beeindruckend, wohlschmeckend und glücklich machend. (8,9/10)
Es folgt ein Nigiri mit Hummer, leicht gegart und „in Fetzen“ auf den Reis aufgelegt. Interessant: obwohl an der Qualität des Hummers rein gar nichts auszusetzen ist, spürt man, dass diese eher in westlichen Küchen präsente Zutat nicht so recht zu Sushi passt. Die Texturunterschiede zwischen Krustentier und Reis fallen mir bei dieser Kreation etwas zu gering aus. (8/10)
Ein Schiffchen (gunkan) aus Seetang, gefüllt mit Reis und Lachsrogen ist eines der besten Exemplare dieser Speise, die ich je probiert habe. Hier ist die kleine Portion genau richtig. Zu große Mengen dieser Art Sushi können schnell einen Würgereiz auslösen. Ganz anders in diesem Fall. Da man noch Platz im Mund hat, lässt sich die Besonderheit dieses Stücks Sushi bis ins Detail wahrnehmen: die aufplatzenden, großen, angenehm kühlen Fischeier mit mildem, jodig-salzigem Geschmack, dazu das Algenblatt, das die Assoziation an Meer und Frische komplettiert … grandios. (10/10)
Es folgt ein weiteres Stück fetten Thunfischs, hier mit einer Scheibe von schwarzem Trüffel. Letztere Idee folgt Arakis regelmäßigen „westlichen Eingriffen“ in das sonst durch und durch japanische Menü und schafft hier eine aromatisch besonders schlüssige Verbindung zum Algenblatt des vorherigen Stücks. Araki hat allen Grund, seinen exzellente Thunfisch wiederholt zur Schau zu stellen. (8,9/10)
Schottischer Lachs ist ebenfalls untypisch für Japan (und, entgegen der westlichen Assoziationen, auch äußerst untypisch für Sushi), macht hier aber, kurz geflämmt und mit etwas Sesam bestreut, eine gute Figur. Interessant ist, dass der Reis für dieses Stück etwas kompakter gepresst ist, offenbar um einen Kontrast zum Fisch herzustellen. Das war bei dem ähnlich konzipierten Stück mit Hummer vorhin nicht ganz so schlüssig umgesetzt. (8,5/10)
Ein erneutes Stück Thunfischbauch, diesmal geflämmt, folgt als nächstes. Die Textur ist wie Butter, aber die Wärme greift ein wenig bei dem Erlebnis vor, das sich sonst langsam am Gaumen entfaltet. Dennoch exzellent. (8/10)
Eine Maki-Rolle mit abermals exzellentem Thunfisch (ōtoro) folgt dem inzwischen etwas westlichen Duktus, schmeckt dabei aber völlig anders als optisch vergleichbare Exemplare unserer Breiten, um die ich seit vielen Jahren einen großen Bogen mache. Anstatt gummiartiger Textur mit Mayonnaise und Avocado bekehrt einen diese Rolle mit einer Zartheit und einem Schmelz, der außergewöhnlich ist. (8,9/10)
Ein vom Geschmacksbild von Tiramisu inspiriertes Dessert mit Mochi, der klebrigen japanischen Süßspeise, ist besser als alle Mochi-Desserts, die ich aus Japan kenne, und damit ein Highlight dieses Abends. Süß, aber nicht zu klebrig, durch verschiedene Kontraste kurzweilig am Gaumen und damit ein lupenreines, ausgezeichnetes Dessert. (9/10)
Die Rechnung zu zweit mit ein paar Bier und etwas Sake ist, in Euro umgerechnet, vierstellig. Da mag manch einer die Augen verdrehen. Ich schließe sie einfach und komme nicht um eine kleine Freudenträne herum als ich hinaus in die laue Frühlingsnacht trete. Als ich mich irgendwann noch einmal umdrehe, steht Mitsuhiro Araki immer noch vor seinem Restaurant und verbeugt sich.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | The Araki (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Mitsuhiro Araki |
Ort: | London, Großbritannien |
Datum dieses Besuchs: | 26.04.2017 |
Guide Michelin (GB/IRL 2017): | ** |
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