La Bouitte – gut, besser, Meilleur?
Frankreichs jüngstes Drei-Sterne-Restaurant befindet sich in der eindrucksvollen Landschaft der Haute-Savoie, unweit des Mont Blanc. Die Kulisse ist geprägt von schneebedeckten Gipfeln der westlichen Voralpen, dichten Wäldern und Wolken, die mal unter und mal über einem vorbeischweben, oder inmitten derer man sich befindet.
Scheinbar nicht enden wollende Serpentinen und Haarnadelkurven winden sich über zig Kilometer an den Bergen entlang steiler Hänge. Die Kartenansicht im Navigationssystem meines Mietwagens stelle ich auf eine geringe Verkleinerung, damit ich rechtzeitig sehe, welche Richtung die kurvigen Straßen einschlagen. 90 km/h darf man hier fahren, selten sind mehr als 50 verantwortungsvoll.
Der Ort Saint-Martin-de-Belleville ist dann quasi in einer Sackgasse. Viel weiter hoch als diese ca. 1.600 Meter geht es hier nicht, zumindest nicht auf dieser Route. Das Hotel und Restaurant La Bouitte ist ein kleines Châlet mit viel Charme, viel Holz und vielen Winkeln und seit Februar auch mit dreifach besterntem Restaurant. Vater und Sohn Meilleur (zu Deutsch: „Bester“) führen das Restaurant im Team.
Ich war schon einmal in dieser Gegend. Anfang vergangenen Jahres lernte ich die fabelhafte Gebirgsküche des damals auch neu zum Drei-Sterne-Restaurant gekürten Flocons de Sel kennen. Aber gibt es tatsächlich eine Spitzenküche, die für diese Gegend typisch ist? Ich werde heute Abend versuchen, dies herauszufinden.
Das Ambiente des Restaurants ist recht rustikal. Dass es hier etwas feiner zugehen könnte, lassen nur die makellos gemangelten grauen Tischdecken vermuten (wenn man von dem umherschwirrenden Personal in förmlicher Kleidung und mit teilweise auch recht förmlicher Laune einmal absieht). Gemütlich ist es hier nur bedingt, aber ich fühle mich wohl hier und bin jetzt erst einmal sehr gespannt auf das Menü in acht Gängen („Découverte de 8 surprises“, € 225).
Dies begann schon im kleinen Vorraum zwischen Rezeption, Bar und Speisesaal bei einem Aperitif und einigen Amuse-Bouches, bestehend aus einer Gillardeau-Auster mit Yuzu-Perlen, einer gebackenen Kugel mit Blutwurst und Granny Smith sowie eine Tartelette mit confiertem Geflügel – nette Aperitif-Snacks ohne Tiefgang.
Am Tisch dann bildet ein luftiges Raclette (raclette aérienne) den Auftakt des Menüs: eine cremig-schaumige, herzhafte, salzige Angelegenheit, die ein perfektes Katerfrühstück hergeben würde. Daher fühlt sich dieses trotz aller Luft schwere Amuse-Bouche etwas fehl am Platz an. Aber zweifellos: wenn schon Raclette, dann so.
Der erste offizielle Gang, Truite Fario, besteht aus einem Filet „blau“ gekochter Bachforelle, serviert auf kleinen, sehr aromatischen Karotten mit Sauerampfer. Dazu auf dem Teller gibt es eine sabayon acidulée, welche die Messlatte für das Saucenniveau hier schon mal ganz nach oben setzt. Die leicht säuerliche, kräuterige und buttrige Sabayon in Kombination mit der perfekt gegarten Forelle ist ein Genuss! Wenngleich man die Einfachheit des Gerichts auf dem attestierten Niveau kritisieren könnte, sind die Fischqualität und die Sauce Weltklasse.
Ecrevisses Pattes Rouges heißt der nächste Gang und bezeichnet die Sorte köstlicher Flusskrebse, die sich hier in einem intensiven Krustentierjus befinden. Darauf findet man ein großes Nest äußerst fein zubereiteter Nudeln. Diese Zutat ist in der französischen Haute Cuisine recht ungewöhnlich, ermöglicht aber ein schönes Aufsaugen der Sauce in der Pasta. Dennoch kommt das Gericht dadurch etwas plump und mächtig daher. Flecken an Hemd/Bluse/Kleid gibt es übrigens gratis dazu – ob man will oder nicht.
Herausragend ist dann der nächste Gang, ein Filet vom Felchen aus dem Lac du Léman, in dieser Gegend eine einschlägige Quelle für hervorragende Süßwasserfische. Vor lauter Begeisterung vor der schlichten, aber sehr appetitanregenden Optik, habe ich glatt vergessen, ein Foto davon zu machen. (Hier der Link zu einem Foto aus einem anderen Blog.)
Das quaderförmig zurechtgeschnittene Filet dieses sehr wohlschmeckenden Fischs – ein neuer Favorit von mir – ist an zwei Seiten mit einer hauchdünnen, knusprigen Brotkruste umhüllt. Dazu gibt es ein knackig frisches Salatherz mit Vinaigrette sowie eine sahnige, leicht säuerliche Sauce zum Fisch. Ein wundervoller Gang mit einem exzellenten Hauptdarsteller, schmackhaften Säurespiel und spannenden, aber ganz natürlichen, Texturen.
Weiter geht es mit Ris de Veau, Kalbsbries, bei dem dann leider fast alles schiefläuft. Das Bries ist einen Hauch zu lange gegart und unpassenderweise recht süß überglänzt; die Sauce auf dem Teller ist dagegen maßlos versalzen. Das trockene Röllchen mit Rettich oben am Tellerrand ist so bedeutungslos wie eine Petersiliendekoration beim Schnitzel, die (eine) Pomme soufflé ist labbrig, und die kleinen Pommes rissolées, die aus einem Speckmantel herauspurzeln, sind matschig und ohnehin eine unnötige weitere Kartoffelzutat. Wie ein solch nachlässiges Gericht die Küche eines Drei-Sterne-Restaurants verlassen kann, ist mir ein Rätsel. Ich lasse einiges davon stehen und merke meine Kritikpunkte an, die man nur mäßig interessiert zur Kenntnis nimmt.
Nach diesem Fauxpas zieht das Niveau wieder ein bisschen an, wenn auch nur langsam. Bei der Selle d’agneau, also einem Stück Lammsattel, gebraten und serviert auf jungen Erbesen und à part noch geschmort, überzeugen vor allem die über-frischen Erbsen. Das Lamm selbst ist mäßig gut, kein Vergleich bspw. zu dem grandiosen Lamm gerade gestern bei Troisgros.
Offenbar hatte man meine Anmerkungen zum Kalbsbries doch zur Kenntnis genommen und serviert mir jetzt noch ein weiteres Gericht außerhalb des Menüs, genannt Pormonier. Dabei handelt es sich um eine regionale Spezialität mit verschiedenen (natürlich hausgemachten) Würsten, gespickt mit diversen Kräutern, dazu gibt es geschmortes Schwein, verschiedene Gemüse (Lauch, Rübchen), das Ganze in einer gehaltvollen Ochsenschwanzconsommée. Herrlich! Bodenständig, äußerst fein und authentisch. So schmeckt unverkrampfte Regionalität.
Vom Käsewagen lasse ich mir eine kleine Auswahl zusammenstellen. Auch hier prägt Regionalität das kleine, aber feine Angebot – es gibt nur Sorten aus der Umgebung. Vor den Desserts wird noch ein „Birnenbier“ gereicht, das zum Käse selbst eigentlich noch passender gewesen wäre.
Das erste Dessert heißt schlicht Le Lait (die Milch), die sich hier „dans tous ses états“ („in all ihren Zuständen“) auf dem Teller wiederfindet, nämlich als meringue, confiture, sorbet und biscuit … und in Form von Karamell in einem separaten Kännchen. Dieses braune, glänzende, lauwarme, süßliche, dickflüssige Elixier ist so gut, dass es nicht nur die ohnehin schon hervorragende Milchspeise göttlich ergänzt, sondern so unwiderstehlich, dass ich es mir auch beim Abräumen des Desserttellers nicht entreißen lasse und den Rest des Abends daran nuckle. Ein einfacher, kindischer Genuss, der glücklich macht – oder, mit anderen Worten, ein phänomenales Dessert.
Nach diesem nicht zu überbietenden Höhenflug folgt La Pomme, ein Dessert, das Foodies sofort an Sergio Hermans „iFoie“ erinnern wird, damit jedoch nichts zu tun hat. Hier gilt der Apfel noch dem Apfel, und er bildet mit einer kühlen Frische, angenehmen knusprigen Komponenten und etwas Ingwer einen sehr guten Abschluss des Menüs.
… Fast, denn zum Café gibt es noch kleine, runde, sahnige Gebäckstücke, die sich „Biscuiron®“ nennen – mit „rechtlich geschützt“-Zeichen –, eine Kreation des Hauses, die vom Geschmack etwas an Bienenstich erinnert. Ganz nett, aber kein Ersatz für die optisch etwas daran erinnernden Macarons.
Das Menü in Frankreichs neuem Drei-Sterner war trotz der geografischen Höhe kein konstanter Höhenflug. Den in Summe recht simpel aufgebauten Gerichten fehlte es häufig an dem Fünkchen „Mehr“ an Produktqualität oder Handwerk, das diese Einfachheit ausgleichen könnte. Aber das Karamellkännchen – das war dem Himmel nah.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | La Bouitte (→ Website) |
Chef de Cuisine: | René & Maxime Meilleur |
Ort: | Saint-Martin-de-Belleville, Frankreich |
Datum dieses Besuchs: | 02.05.2015 |
Guide Michelin (F/MC 2015): | *** |
Meine Bewertung dieses Essens |