Hedone – hingehen!
Eine halbe Stunde habe ich jetzt auf den weißen Bildschirm gestarrt, weil mir nicht einfiel, wie ich mit diesem Bericht vorankommen soll. So behelfe ich mich nun des schlichten Hilfsmittels dieser hilflosen Zeilen. Ich bitte um Nachsicht. Aber um eines gleich vorweg zu nehmen: Hedone? Hingehen! Keine Frage. Egal, was ich noch schreiben werde.
Meine Unsicherheit liegt darin begründet, dass ich mit diesem Restaurant, welches vielen gleichgesinnt essverrückten Freunden als das beste – und unterbewertetste – Restaurant Londons gilt, keine klare Aussage verbinde. Trotz eines guten Dutzends sehr guter, teils hervorragender, Gänge, die in den kommenden Stunden folgen werden.
Hedone, benannt nach dem altgriechischen Wort für Freude/Vergnügen/Genuss, liegt ziemlich abgelegen im östlichen Stadtteil Chiswick. Ein sehr netter Taxifahrer fährt mich die 35 Minuten von SoHo hierhin (und ein mich betrügender Taxifahrer nachher wieder zurück).
Das unprätentiöse Ambiente repräsentiert genau die Art von moderner, ungezwungener Gastronomie, die mich derzeit so anzieht wie Insekten das Licht. Simple Holztische, Backsteinwände, nettes Personal und eine offene Küche mit dem charismatischen Chef Mikael Johnsson, der gerade an tennisballgroßen Périgord-Trüffeln und Zitronatzitronen herumdoktert. Sehr sympathisch.
Wir kommen ins Gespräch. Eine Speisekarte liegt schon auf dem Tisch, aber Johnsson sucht den Dialog. Er hätte heute einige Wildvögel da und könnte das Menü entsprechend ausrichten. Nachdem ich ihm großes Interesse signalisiere – lediglich mit der Einschränkung versehen, kein allzu rohes Geflügel vorzusehen – verschwindet er kurz in der Speisekammer. Er kehrt wenig später mit der Botschaft zurück, dass die Beschaffenheit der heute gelieferten Vögel sich leider nicht dazu eigne, sie besonders durchzubraten und empfiehlt unter dieser Voraussetzung, davon abzusehen. Allein für diesen Austausch hat es sich schon gelohnt, hier einzukehren.
Das Motto heißt dann dennoch Carte Blanche (£ 95) – meine derzeit liebste Art, in guten Restaurants bewirtet zu werden. Johnsson genießt bereits mein volles Vertrauen.
Es geht los mit ein paar Canapés.
Im Einzelnen: Paprika/Entenleber/spiced jelly; Vitello-Tonnato-Cornetto; Buchweizen/Topinambur/Kaviar – alles geschmacklich und handwerklich sehr gut, aber recht beliebig. Das könnte man an vielen Orten so serviert bekommen.
Dorset-Krebs/Avocado/Pistazie/milder Curryschaum ist geschmacklich sehr gut, aber recht wuchtig, das Dorset-Makrelen-Tempura dann wunderbar elegant nach Ozean schmeckend.
Ein Umami-Flan mit Gurke ist ganz in Ordnung; und bei dem Omelette mit Périgord-Trüffeln hätte ich auf alles verzichten können bis auf die herrlichen Trüffeln, die ich derart „saftig“ zuvor nur im Flocons de Sel erlebt habe.
Der Wolfsbarsch kommt auch aus Dorset (da solle man vielleicht mal hin …) und gelangt hier mit einer Zucchini-Brunoise und einer Emulsion von schwarzen Oliven auf den Teller. Ganz klar, ein Gericht für mich: schlicht, produktbetont und herrlich mediterran – aber gerade deshalb auch etwas fehl am Platz wirkend. (Aber irgendwas ist ja immer.)
Es folgt ein Filet von der Seezunge (aus Dover, ein offenbar weiterer mit „Do“ beginnender Ort in England mit guten Rohstoffen) mit einer Rotweinreduktion und Perlzwiebeln. Recht rustikal. Gerade die Sauce könnte viel mehr Finesse vertragen.
Ganz hervorragend ist der gegrillte, sehr zarte Sepia mit einem Tinten-Dressing und hauchdünn gehobeltem Blumenkohl, der intensiv aromatisch ist und erstaunliche Parallelen zu Trüffeln aufweist. Faszinierend! Ich liebe es, wenn scheinbar gewöhnliche Zutaten in neuem Glanz strahlen. Eines der besten Gerichte des Abends.
Weiter geht’s mit einer verführerisch süffig anmutenden Komposition von flüssig gefüllten Parmesanravioli, Guanciale (Schweinebacken-Speck), Meerrettich und einer Zwiebel-Consommé. Sehr gut, aber leider zu süß – ein vermutlich von den eingekochten Zwiebeln herrührendes Ungleichgewicht.
Die gebratene Foie Gras von der Ente mit Rhabarber, Holunderblüte und Meyer-Zitrone reiht sich dann wieder in die hervorragenden Gerichte ein. Der Schmelz der Leber ist betörend, während die leichte Säure der anderen Zutaten der üppigen Portion ihre Schwere nimmt. Klassisch, modern und wohlschmeckend zugleich. Es ist hier ein Auf und Ab auf konstant hohem Niveau.
Das Niveau bleibt oben. Weit oben sogar, denn das Reh mit confierten Karotten, Basilikum und Zimt (unter anderem) ist nicht nur hübsch anzusehen, sondern auch qualitativ exzellent – eines der zartesten, die ich je gekostet habe, in einer insgesamt sehr spannenden und ausgewogenen Komposition. Und wenngleich ich das hiesige Konzept verstehe, keine klassischen Saucen zu servieren, ist es gerade diese Art des Handwerks, die mir hier für höheres Lob fehlt. Dafür bin ich schlicht ein zu großer Freund der Klassik.
Ein kleines Pré-Dessert um das Thema Zitrus ist sehr gut und das eigentliche Dessert mit warmer Schokolade, „gepuderter“ Himbeere, Passionsfruchtgelee und Madagascar-Vanille-Eis eine beliebig weite Reise nach London wert. (Leider fehlt ein Foto vom „Innenleben“.)
War ja doch ganz gut! Ich weiß gar nicht, was ich hatte.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Hedone (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Mikael Johnsson |
Ort: | London, Großbritannien |
Datum dieses Besuchs: | 23.01.2015 |
Guide Michelin (GB/IRL 2015): | * |
Meine Bewertung dieses Essens |