Off Club / Madame X – Hamburgs gastronomischer Befreiungsschlag
Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass dieser Bericht entstehen würde. Zu groß ist bekanntermaßen mein Frust über die Gastronomieszene in der Hansestadt. So groß, dass ich den Gedanken schon aufgegeben hatte, dass in Hamburg noch mal irgendetwas Spannendes passiert. Und selbst die aktuellen Spekulationen über einen Umzug eines deutschen Drei-Sterne-Restaurants in den bisher nur auf dem Reißbrett existierenden Luxushoteltempel The Fontenay an der Alster finde ich nicht besonders spannend. Umziehen kann jeder.
Wenn hier etwas Neues eröffnet, dann ist es immer vom gleichen Schlag: gnadenlos überteuert, die ewig gleichen Zutaten derselben Lieferanten, der Fokus auf Fleisch (natürlich dry aged), ein mäßiger Steinbutt ist auch noch gerne mit dabei, die Weinkarte ist möglichst langweilig, der Service distanziert und spießig. Das Ganze gibt es dann entweder – dann noch teurer – mit nettem Ausblick (neu: Clouds, schon wieder geschlossen: River Grill) oder ohne (Henriks, Tarantella, Butcher’s Steakhouse, meatery). Man zahlt 250 Euro zu zweit und weiß am nächsten Tag nicht mehr wofür.
Das Erlebnis heute Abend trifft mich daher wie ein Schlag. Der Off Club – Tim Mälzers neue Unternehmung – bietet ein für Hamburg völlig neues Gastronomiekonzept an einem gewagten Standort der Stadt, an dem sich kurz zuvor das Chezfou schon die Zähne ausgebissen hat. Doch letzteres war – trotz aller Bemühungen – eben genau das: zu bemüht. Und es vereinte alle Gastronomieprobleme der Hansestadt in einem Laden: zu leise, zu hell, zu „pseudo“, zu teuer, zu normal, kurzum: freudlos und kulinarisch sowieso belanglos.
Ich weiß wenig über den Off Club, als ich an diesem Freitagabend aus purer Neugier meinen Fuß hier hinein setze. Ich weiß nur, dass es einen vorderen Teil gibt, in dem man ohne Reservierung bodenständiges soul food bekommt, und einen „roten Salon“, Madame X genannt, der ein monatlich wechselndes Motto-Menü serviert. Aktuell heißt das Menü „Handwerk“ und enthält sieben Gänge zu fünfundsechzig Euro.
Was ich nicht wusste: Der Küchenchef dieses „Restaurants im Restaurant“ ist Thomas Imbusch, seines Zeichens Schüler von niemand Geringeren als Christian Bau und Alain Ducasse. Und dass ich, selbst über Umwege, Tim Mälzer und Alain Ducasse mal zusammen in einem Bericht erwähne, hätte ich mir vorher auch nicht träumen lassen (sorry, Tim, no offense!). Spätestens jetzt wird’s also spannend. Ein Koch mit Drei-Sterne-Erfahrung trifft auf den Gastronomie-Rebell Mälzer. In Berlin hätte ich mir eine solche Kombination ja noch vorstellen können, aber in Hamburg? Überhaupt darauf zu bauen, dass Hamburgs überwiegende Weinschorlen-Klientel für so etwas bereit ist, erfordert eine Menge Optimismus, Mut und Spielgeld.
Und so komme ich mir auf den roten Plüschsofas der Madame X erst einmal so vor als hätte ich ein paar Hundert Kilometer irgendwo andershin zurückgelegt. Das Ambiente wirkt wie eine Mischung aus 70er-Jahre-Trash, „Schanzenflohmarkt“ und Chinarestaurant. Völlig schräg, aber total gemütlich.
Keine Spur gibt es hier von oben erwähnter, vino- und gastrophober Kundschaft. Stattdessen entdecke ich hier mal eben die beste Weinkarte Hamburgs und interessante, sehr offen wirkende Gäste.
Noch vor dem Wasser bestelle ich erst mal einen 2005er Château Musar (€65) an den Tisch, später noch einen 1998er Château Montelena Estate (€ 98). Zwei sehr großzügig gefüllt Gläser zum Blindverkosten gelangen im Laufe des Abends auch noch an den Tisch, und mit meiner Einschätzung „frühe 80er-Jahre, linkes Ufer, irgendwas Großes, nicht aus Pauillac“ liege ich immerhin ganz richtig: es war ein 82er Château Calon Ségur.
Ich möchte hier noch mal innehalten. Vor einer Stunde hätte ich mir nicht mal erträumen lassen, heute Abend noch derart feine Weine zu trinken, die auch noch ohne jegliche Allüren serviert werden, sondern einfach auf den Tisch zum selber nachschenken. (Das muss man natürlich nicht. Wer will, lässt dekantieren und sich betüddeln.)
Das Menü „Handwerk“, das mir dann in den nächsten Stunden hier serviert wird – zusammen mit weiteren, eingeschobenen, Gängen außerhalb des Menüs – ist dann nicht minder das aufregendste, das ich in Hamburg je gegessen habe: Außergewöhnliche Zutaten abseits aller Standards; kreative, aber niemals verspielte, sondern wohlüberlegte Kreationen mit einem Fokus auf Wohlgeschmack und Produktqualität. Ab und zu serviert Imbusch die Gerichte selbst und erklärt etwas dazu. Im Einzelnen gibt es:
Meerrettich / rote Bete / Rogen – elegant, sehr gut!
Knusprige Hühnerhaut / Avocado – ein schöner, selbstgemachter, salziger Snack.
Salat: Pilze / Essig / Olivenöl – Toll! Säuerlich, auf den Punkt, das Dressing ist selbst dosierbar mit den dazu gereichten Pipettenfläschschen, von denen eine ein „Gastrik“ enthält, eine Mischung aus Essig und Zucker. Das alles ist besser als der Salat neulich im (zu Unrecht) dreifach besternten Piazza Duomo, wird aber auch hier in Hamburg mit so einer komischen Nasen-OP-Pinzette serviert – das ist offenbar gerade irgendwie en vogue.
Katenschinken mit selbstgebackenem Sauerteigbrot – herrlich ehrlicher, wunderbarer Schinken!
Eismeerforelle: Gurke / Sauerrahm / Dill – Hervorragende Fischqualität (fest, fettreich, schmackhaft) und ein exzellenter Sud!
Secreto Monteraz: Buchenrauch / Olivenöl – Eine hervorragende Qualität vom Iberico-Schwein! Zart, aromatisch; dazu ein feiner, rauchig-herber Jus mit Olivenöl. Unverfälschter Fleischgenuss.
Ins Menü eingeschoben folgt eine unglaublich intensive, konzentrierte Hühnersuppe mit Lauch, die alle Geschmacksrezeptoren auf einmal zu aktivieren scheint. Die knackigen Frühlingszwiebeln bringen zusätzlich noch Schärfe und Frische mit ins Spiel. Wirklich großartig. So etwas serviert in dieser Stadt sonst niemand!
Bestes Ei: braune Butter / Schnittlauch / Knäckebrot – Süffig, schlotzig, ein Katerfrühstück zwölf Stunden zu früh, aber genauso schmackhaft. Kraftbrühe (Ox): Markknochen / Suppengrün / Liebstöckel – Intensiv aromatisch, umami, mehr davon!
Rinderrücken (8 Wochen trocken gereift): Bratensaft / Butter / Salz – Martialisch thront das halbe tote Tier schon den ganzen Abend auf einem Beistelltisch in der Saalmitte, bevor jetzt also die Säge bemüht wird. Das Ergebnis auf dem Teller ist außergewöhnlich, aber die Reifung ist so extrem, dass der Geschmack ins Süßliche driftet und dabei schon fast an Karamell erinnert. Das ist zwar faszinierend, aber etwas zu viel des Guten. Dennoch ist das ein top Produkt, das man so in keinem anderen Restaurant dieser Stadt finden wird. Und auch hier freue ich mich über die bodenständige, ehrliche Präsentation ohne jeglichen Schnickschnack: Keine Gemüseauswahl, keine Saucenauswahl – einfach nur das Fleisch, Salz und ein buttriger Jus. Das allein verdient Applaus.
Schokoladenkugel: Ananas / Kokos – Gutes Handwerk, gute Schokolade; erfrischend und ein würdiger Abschluss des Menüs.
In Hamburg passiert zum ersten Mal etwas richtig Spannendes in der Gastronomie. Das heute Abend genossene Menü war nicht nur jeden Cent wert, sondern ohne Frage eine exzellente, schmackhafte, einfallsreiche und von allen Konventionen befreite Küche, die es in Hamburg so sonst nirgends gibt! Völlig ohne Zweifel auf Ein-Sterne-Niveau! Doch der Stern wird wohl schon aus rein praktischen Gründen hier ausbleiben, schließlich ist das Madame X kein alleine bewertbares Restaurant, sondern nur ein Teil des Off Club. Und auch das ständig wechselnde Themenmenü ist für eine solche Auszeichnung eher hinderlich, wie es auch beim immer noch zu Unrecht sternelosen Chicagoer Next der Fall ist.
Doch Stern hin oder her, Tim Mälzer und Thomas Imbusch haben sich viel getraut mit dem Off Club – und zeigen’s damit allen. „Wenn schon, denn schon“ spricht der Laden aus allen Ecken, und – zumindest für mich – ist das Konzept auch kulinarisch voll aufgegangen, sofern es mit den Menüs auf diesem Niveau und mit dieser Souveränität weitergeht. Ich freue mich darauf, dies nun alle vier Wochen auszuprobieren!
Nachtrag: Inzwischen habe habe ich auch die weiteren Menüs Tschaina Taun, Südamerika, Mundspiel, Bella Italia, Bauchtanz und Heimat verkostet (viele davon mehrfach), die voll und ganz an die Qualität von Handwerk anschließen. Und auch im vorderen Bereich des Off Club – eine absichtlich undefinierte Grauzone zwischen Wohnzimmer, Bar, Terrasse und Snack-Restaurant – wird man mich künftig wohl häufiger sehen. Aber das ist eine andere Geschichte ...
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Off Club (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Thomas Imbusch |
Ort: | Hamburg, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 07.03.2014 |
Guide Michelin (D 2014): | noch nicht bewertet |
Meine Bewertung dieses Essens |