Le Louis XV – die Kunst der Natur
Vor drei Jahren besuchte ich Alain Ducasse’ Restaurant im Plaza Athénée in Paris und zog ein eher enttäuschendes Fazit. Ich hatte immense Erwartungen, doch die Gerichte damals berührten mich nicht. Ob das an mir lag oder tatsächlich an der Küche, weiß ich bis heute nicht so genau, doch ich versprach mir, der Sache in seinen anderen großen Restaurants auf den Grund zu gehen.
Heute Mittag sitze ich endlich in einem seiner anderen großen Restaurants, und zwar in demjenigen, das Ducasse' mediterranem Küchenstil geografisch am nächsten ist. Davon bekommt man allerdings zunächst wenig mit. Statt aufs Meer zu blicken, ist man hier von der herrlichen, Schatten spendenden Terrasse aus nämlich Zuschauer eines skurrilen, aber sehr kurzweiligen, Schauspiels.
Das Bühnenbild ist der zentrale Platz vor dem Casino in Monte Carlo. Dort fahren im Minutentakt Autos der teuersten Marken vor. Die Modelle Ferrari 458 Italia und Mercedes SLS AMG sind derzeit besonders en vogue. Die Frauen, die aussteigen, sind groß, schlank und schön und treffen sich mit anderen großen, schlanken und schönen Frauen, die ein ähnliches Auto fahren, zum shoppen gehen. Sind Männer am Steuer, verschwinden diese meist im Casino. Wer hier wirklich auffallen will, fährt Smart.
Der Gastronomietempel von Alain Ducasse könnte nicht besser an diese Kulisse angepasst sein. Silberbesteck, Kellner in Anzügen und Käsewagen? Hat doch jeder. Hier im Le Louis XV gibt es Goldbesteck, Personal mit maßgeschneiderten Anzügen in hauseigenem Design (mit zwei eingenähten lila Streifen im Jackett) und einen eigenen Servierwagen für die hausgemachte Butter.
Doch wer angesichts all dieses ausufernden Luxus glaubt, bei Ducasse nichts verpasst zu haben, weil er auch mit einem guten Salat oder einem ordentlich gemachten Butterbrot glücklich wird, den muss ich bitter enttäuschen. Ducasse’ Küche – und das erscheint in dieser prunkvollen Umgebung als Paradoxon – steht nämlich für die Verkörperung einer von jeglichem Firlefanz befreiten, mediterranen Produktküche schlechthin. Und in deren Mittelpunkt stehen Gemüse aller Couleur, Fisch und Olivenöl, und zwar jeweils in der größtmöglichen Pracht, die Mutter Natur zu bieten hat.
So wird manch einer große Augen machen, dass fürs Amuse-Bouche nicht mal ein Thermomix bemüht werden musste, sondern stattdessen eine kleine Tartine, ein Schnittchen also, aufgetischt wird, das lediglich mit etwas Gemüse (Salatblättern, Tomate, Zwiebeln, Olive, Bohnen, Paprika, Artischocke und Fenchel) belegt ist und vom Kellner mit provenzalischem Olivenöl beträufelt wird.
Ich mache auch große Augen und schließe sie sogleich, um die Wahrnehmungskraft aller Sinne in meinem Geschmacks- und Geruchssinn zu bündeln. Das kleine Häppchen entführt mich genussvoll und hypnotisch in ein frühlingshaftes Picknick in der Provence, zwischen Lavendelfeldern und Olivenhainen. Essensfreude und Genuss sind mit dem allerersten Bissen dieses Essens auf ihrem Höhepunkt.
Auch habe ich selten zuvor eine derart gelungene und plausible Einstimmung in das bevorstehende Essen vorgefunden, da dieses Häppchen bereits alles zusammenfasst, worum es Ducasse bei seiner Küche geht:
„Die Aufgabe eines Kochs beginnt dort, wo die Arbeit des Kunsthandwerkers – der Natur – aufhört. Sie besteht darin, das Gute aus von sich aus bereits schönen Dingen herauszuarbeiten.“
So in etwa lautet die Übersetzung der einleitenden Worte in der Speisekarte.
Bevor ich in längere Träumereien verfallen kann, wird die erste meiner zwei gewählten Vorspeisen serviert. Meine Wahl fiel mir schwer, dann aber auf „junge Gemüse aus den Gärten der Provence“ (Primeurs des jardins de Provene) mit schwarzem Trüffel, Olivenöl aus Taggia, Aceto Balsamico und Fleur de Sel (halbe Portion € 66).
Auch an diesem Gericht ist alles verführerisch und ungemein schmackhaft. Jede Ingredienz wird in ihrer natürlichen Pracht bestmöglich zum Vorschein gebracht. Ausschließlich mit Produkten derartiger Güte ist es möglich, eine solche Zusammenstellung zu einem derart grandiosen Gericht zu verwandeln, das bereits alle drei Sterne rechtfertig.
Besonders hinreißend ist hier ein perfekt ausbalanciertes Säurespiel, das sich aus der Hochzeit vom Balsamessig und der Artischocke ergibt. Doch letztendlich wird keine Beschreibung diesem leichten, aber intensiv frühlingshaften Genuss gerecht.
Natürlich kann ich nicht widerstehen, von einem anderen Teller am Tisch zu kosten. Beim Anblick des Inhalts vom Cookpot de petit épautre de Haute-Provence, girolles et jeunes légumes (€ 78) überkommt mich schon vorm Probieren Futterneid, so appetitlich gibt sich der vor Farben und Frische pulsierende Inhalt des kleinen Schmortopfs. Auf gegartem, risottoähnlichen Dinkel sind knackig-frische, gerade ausgepalte Erbsen, Spargelspitzen, Morcheln, Möhrchen und Salatblätter gebettet. Auch dies ist ein herrlicher, süffiger Genuss; meine Augen leuchten wie das saftige Grün der Erbsen.
Die Reise durch die Natur geht weiter mit einem Gericht, das ich aus der „italienischen Sektion“ der Speisekarte wählte. Meine Vorfreude auf einfache italienische Produktküche, ausgeführt mit den Produkten und dem Perfektionismus der französischen Haute-Cuisine, ist riesig.
So begeistert auch dieser schlicht anmutende, aber herrlich süffige Pastateller (Pâtes artisanales de Toscane à la façon du moulinier liées de Fiore Sardo, € 80), bei dem es jedoch gerne etwas mehr von den köstlichen Pfifferlingen und Tomaten hätte sein können. Aber ist das nicht wunderbar? Während man sich in viel zu vielen Restaurants anstelle des verkrampften Firlefanzes vor einem insgeheim einfach einen leckeren Teller Pasta wünscht, gibt es den hier im Drei-Sterne-Tempel einfach auf der Speisekarte.
Es ist erst eine knappe Stunde vergangen, und ich befinde mich in dem interessanten Zustand, gleichzeitig satt und hungrig zu sein: physisch bereits satt, aber hungrig nach weiteren Eindrücken. (Der verkaufstüchtige Kellner war vielleicht etwas zu optimistisch hinsichtlich meiner Wahl von drei Gerichten. Doch er hätte mich ohnehin nicht davon abbringen können.)
Angemessene Zeit später wird der „Fisch des Tages“ präsentiert, in diesem Fall eine prächtige Dorade mit Artischocken und konfierter Zitrone (Poisson de la pêche locale entier au plat aux artichauts de pays et citron confit, sucs de poisson, € 100 p. P.). Scheinbar mühelos wird der Fisch auf einem Beistelltisch filetiert, auch die Bäckchen werden jeweils mit einem gezielten Handgriff ausgelöst.
Erst ein paar Tage zuvor genoss ich bei Gérald Passédat einige der besten Fische überhaupt, dieser reiht sich gleich mit ein. Auch das dazu servierte Gemüse ist erneut hervorragend, und jegliche Wiederholung von Zutaten (wie die Artischocken) heiße ich willkommen. Auch dies ist dann ein makelloses Gericht mit makellosen Produkten.
Doch mittlerweile kämpfe ich schon. Es ist, glaube ich, das erste Mal, dass ich eine Speise wieder abbestelle, in diesem Fall das Dessert mit Walderdbeeren. Ich habe keine Zweifel, dass auch dies himmlisch gewesen wäre.
Endlich habe ich Ducasse‘ Küche so erlebt, wie ich sie mir schon damals in Paris gewünscht hatte. Doch hier am Mittelmeer und an der Grenze zu Italien wirkt diese klare Küche ohnehin viel authentischer und verwurzelter. Man erlebt hier eine von allem Überflüssigen und von allen Dogmen und Trends befreite Küche, die sich respektvoll vor der Natur verneigt und mit allen Vorurteilen aufräumt, die man der (französischen) Spitzenküche entgegenbringen könnte.
So ist das Le Louis XV ein Paradies für alle, die gutes Essen schätzen, ohne Essen „verstehen“ zu wollen und ohne sich unterordnen zu müssen. Ob Fisch-, Fleisch- oder Gemüseliebhaber, hier kommt jeder auf seine Kosten. Im Idealfall verlässt man das Restaurant mit der Einsicht, dass man sich zu gar keiner Essgewohnheit bekennen muss, solange die Produkte von derartiger Qualität sind und die Zubereitungen so wohlschmeckend wie hier.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Le Louis XV (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Franck Cerutti / Dominique Lory |
Ort: | Monaco |
Datum dieses Besuchs: | 07.06.2013 |
Guide Michelin (F 2013): | *** |
Meine Bewertung dieses Essens |