Le Pré Catelan – wir armen Foodies
Vor zehn Minuten steckte ich noch mitten in Paris im Stau. Jetzt bin ich immer noch in Paris, aber in einem Märchenwald. Hier sind manche Bäume knochig und verästelt, andere sind kegelförmig, und Glühwürmchen steigen aus ihnen empor in die Nacht. Rechts verschreckt ein unbeleuchtetes, verwunschenes Haus, links lockt ein strahlender Palast.
Der Märchenwald ist der Jardin du Pré-Catelan, ein botanischer Garten im Bois de Boulogne, der grünen Lunge von Paris, zweieinhalb Mal so groß wie der New Yorker Central Park. In einem prachtvollen Pavillon von Napoleon III befindet sich in diesem Park eines der zwei Pariser Drei-Sterne-Restaurants, die ich bis dato noch nicht kenne (im Ledoyen war ich auch noch nicht).
Die anderen acht verbinde ich mit nicht weniger als einigen der großartigsten kulinarischen Momente überhaupt. Wer schon mal einen Wolfsbarsch (oder einen Schokoladenkuchen!) im L’Ambroisie gegessen hat oder im Le Meurice oder Epicure eingekehrt ist, weiß, wovon ich spreche. Meine heutiges Wissen über bestimmte, vorher nicht zu erahnende Qualitäten bestimmter Rohstoffe – und meine daraus entstandene Präferenz zu einer klaren, wohlschmeckenden und produktfokussierten Küche – habe ich ganz überwiegend den großen Köchen in Paris zu verdanken. Meine Erwartungen an das Le Pré Catelan sind also nicht weniger als immens. Mit anderen Worten: das muss heute sitzen.
Die Trophäensammlung prangt bereits außen an der Häuserwand, und auch der feudale Speisesaal übt sich nicht in Understatement. Aber das habe ich hier auch nicht erwartet. Doch im Gegensatz zu den anderen Gastrotempeln dieser Stadt wirkt das Ambiente hier zwischen Marmorsäulen, Raffgardinen und einem grünlichen Teppich schwer und altmodisch. Die weihnachtsbaumähnliche Installation in der Mitte des Saals wirkt gegen Ende Februar auch etwas deplatziert.
Allerdings sind das alles nur Feststellungen, die ich beiläufig mache. Mein Augenmerk gilt jetzt in erster Linie der Speisekarte. Das Stöbern darin begleitet ein Glas Lenoble „Brut Nature“ Zéro Dosage (€ 24), ein leider eher charakterloser Tropfen. Zwei Menüs (€ 190 bzw. € 240) stehen zur Auswahl. In den klassischeren Häusern dieser Stadt wähle ich jedoch meistens à la carte, da die häufig großartigen Produkte nach meiner Erfahrung so besser zur Geltung kommen. Fast immer ist das jedoch auch die teurere Option. Wie in solchen Restaurants in Paris üblich, gilt auch hier die ungeschriebene Regel: ungefähr hundert Euro pro Gericht.
Es folgt ein erstes Amuse-Bouche: ein Miesmuschel-Beignet mit Safrancreme. Diese ganz spezielle, nicht so recht zu beschreibende Feinheit, die so vielen Gerichten in den Restaurants dieser Stadt innewohnt, ist auch in diesem sehr wohlschmeckenden Snack zu finden. Dennoch empfinde ich Frittiertes meist, und eben auch hier, als eher ungeschickte Art, ein Produkt zu präsentieren; kaschieren wäre hier der treffendere Begriff.
Sehr geschickt hingegen ist die „Hochzeit“ (mariage) von Zwiebel und Kastanie. Die cremige Komposition ist süffig, warm und kalt zugleich und überaus harmonisch. Eine Einfachheit, die mich beeindruckt, aber noch nicht aus dem angenehm gepolsterten Sessel haut.
Dass die kleinen Speisen bisher lediglich sehr gut waren (und nicht absolut herausragend) ist schon zu diesem frühen Zeitpunkt eine kleine Enttäuschung – und auf diesem attestierten Niveau in Paris für mich Premiere. Wenn ich nur an die paar Gramm perfekten Lachses im Le Meurice denke, oder die grandiosen Kleinigkeiten im Epicure – und noch so vieles mehr –, dann ist dieser Auftakt ein vergleichsweise schwacher. Zugleich ist es ein Beweis dafür, wie sehr das Wissen um höchste Produktqualitäten und größtmögliche Genüsse einem das Essen zuweilen auch schwer machen können.
Die von mir gewählte Vorspeise „La Betterave“ (€ 90) ist eine optisch eindrucksvolle Inszenierung des Themas Rote Bete, die auf drei Tellern präsentiert wird. Anders jedoch als beispielsweise die virtuosen „Multitellergerichte“ im Kölner Le Moissonnier, ist die Anordnung hier ziemlich unpraktisch: An den dritten Teller komme ich schon fast nicht mehr heran.
Ich gruppiere alles etwas näher um mich herum und beginne zu probieren …
Bei dem salamipizzaähnlichen Teller handelt es sich um hauchdünne, „mit Muscadet parfümierte“ Scheiben Roter Bete sowie ebenso dünne Scheiben von altem Comté. Angegossen dazu wird Olivenöl aus der Provence. Diese Kombination ist so schlicht wie hervorragend. Die zarten Scheiben von Bete und Käse sind zuerst etwas zurückhaltend, bevor dann das Öl alle Aromen aus den Zutaten „herauslöst“ und am Gaumen zu einer mediterran-frischen Harmonie zusammenfügt. Sehr gelungen.
Auf dem zweiten Teller – mit dem ich zwischendurch immer mal wieder abwechsle – befindet sich ein Rote-Bete-Salat, der vor allem mit einer hervorragenden Vinaigrette und dem damit verbundenen Säurespiel überzeugt. Leidglich die Präsentation wirkt etwas unbeholfen, doch das ist mir nicht besonders wichtig.
Völlig unverständlich ist dagegen der dritte Teller, der eine Art gelierte Boullion de Bœuf darstellt. Ohne lange Umschweife: das riecht wie Katzenfutter, sieht irgendwie auch so aus wie Katzenfutter und schmeckt … vermutlich besser als Katzenfutter, ist aber wegen all dieser Parallelen nicht besonders appetitanregend. Und das Fleisch ist trocken. Das lasse ich nach einigen Gabeln stehen – ebenfalls eine Premiere für mich in einem Pariser Drei-Sterne-Restaurant. Nachfragen vom Service gibt es keine.
Auf den zweiten Gang, „La Langoustine“, bin ich besonders gespannt. Kaisergranat kann man in Paris in atemberaubender Qualität finden. Die langoustines von Bernard Pacaud oder Yannick Alléno z. B. haben sich für immer in mein Gedächtnis eingebrannt. Besser wird es nicht kommen können, aber zumindest doch ähnlich … oder?
Doch bereits die Präsentation lässt mich verdutzt über die Tellerränder blicken. Das eine Tier ist in einem Raviolo versteckt, der wiederum unter einer schaumigen Masse versteckt ist. Auf dem anderen Teller verbirgt sich das Tier in etwas abermals Frittiertem; und auf dem dritten Teller scheint unter der Avocadoscheibe immerhin ein bisschen was vom angeblichen Protagonisten hervor. Die beim Anrichten routiniert über den Teller geschwungene Plastikflasche mit einer asiatisch schmeckenden Sauce auf Sojabasis hat auf diesem Teller ebenfalls ihre Spuren hinterlassen.
Es ist ausschließlich einer manchmal aufblitzenden Raffinesse einiger Komponenten geschuldet, dass man diesen Gang nicht für eine irrtümlich auf den Tellern der Gäste gelandete Bestellung eines Asia-Lieferservice halten könnte. Von einem solchen wären die Speisen hervorragend; hier sind sie eine Katastrophe! Als müsse man in dieser Stadt, mit diesen einzigartigen Bezugsquellen, irgendwelche asiatischen Irrwege bei einem Gericht einschlagen! Noch nie habe ich (in Paris) eine derart respektlose Zubereitung dieses potenziell herausragenden Produkts auf dem Teller gehabt, und nie zuvor hab ich hundertzehn Euro für ein Gericht so hinterhergetrauert.
Verwundert bin ich auch über den nachlässigen Service, der sich weder um die Servietten kümmert, wenn man den Platz verlässt, noch das Tischtuch von Krümeln befreit. Obwohl ich solche Rituale nicht brauche, gehören sie zu einem Restaurant dieser Klasse einfach dazu.
Etwas später geht es weiter mit dem Ris de Veau, ebenfalls als drei Teller daherkommend und ebenfalls hundertzehn Euro schwer. Auf dem großen Teller findet man ein makellos gegartes und mit schwarzen Trüffeln gespicktes Stück Kalbsbries in einer sehr guten, gehaltvollen Sauce (jus gras), dazu Selleriepüree. Der Teller zieht alle klassischen Register, beinhaltet ein gutes Produkt und macht mit Sicherheit satt. Das ist gut, aber Paul Bocuse wüsste bestimmt, wie’s besser geht.
Er würde auch nicht die beiden weiteren Teller servieren, von denen einer – der mit der gefüllten Teigrolle – erneut Katzenfutterassoziationen bei mir auslöst. Dabei habe ich nicht mal eine Katze. Der dritte Teller sieht irgendwie so aus wie der dritte Teller des ersten Gangs: ein paar Fleischwürfel in herzhafter Sauce, dazu etwas Alibigrün. Vollkommen überflüssig. Hinzu kommt ein großes Problem mit der Temperatur aller Speisen. Trotz großer Cloches sind die meisten Speisen fast erkaltet, wenn man sich ihnen widmet. Die weit auseinanderstehenden Teller, die man nur nacheinander und nicht gleichzeitig probieren kann, begünstigen auch ein rasches Abkühlen.
Als Dessert (ein Pré-Dessert gab es nicht) entscheide ich mich für La Pomme (€ 42). Wer als Erfinder dieses Desserts gilt, weiß ich nicht, doch habe ich es in fast identischer Ausführung schon mal im Aqua genossen, als dort in der Patisserie Nadja Hartl noch die Teigrolle schwang. Doch mir wird schnell klar: zwischen diesem Apfel und Nadjas Apfel liegen Welten. Der im Aqua damals war hauchdünn, sehr zerbrechlich und mit einer angenehm leichten Masse gefüllt. Dieser hier ist ziemlich groß, recht dickwandig, und man muss einmal kräftig mit dem Löffel draufschlagen, damit er dann, mit einem dumpfen Knall, sein Inneres preisgibt. Doch das wahre Ich des schillernden Apfels entpuppt sich als eine Masse, die wie erbrochener Feuerlöscherschaum aussieht. Wer will so etwas essen? Und was hat das mit guter Küche zu tun?
Mit diesem Schock im Nacken bestelle ich die Rechnung.
Doch um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich ist das Le Pré Catelan ein gutes Restaurant. Es gab genug genussreiche Momente, um vermutlich viele Esser glücklich zu machen. Doch was schrieb ich weiter oben schon zu dem Wissen um kulinarisch wirklich Großartiges? Es kann auch ein Fluch sein. Wir armen Foodies.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Le Pré Catelan (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Frédéric Anton |
Ort: | Paris, Frankreich |
Datum dieses Besuchs: | 22.02.2013 |
Guide Michelin (F 2013): | *** |
Meine Bewertung dieses Essens |