Mathias Dahlgren, Genussexperte
Eher beiläufig habe ich die Reservierung hier vorgenommen. Meine Kurzreise nach Schweden war ja in erster Linie den unkonventionelleren Destinationen Fäviken Magasinet und Frantzén/Lindeberg gewidmet und stand damit von vornherein auf Konfrontationskurs mit klassischen Gourmetrestaurants in Grandhotels, die mir – zumindest in Deutschland – derzeit eher ein Gähnen ins Gesicht zaubern.
Ohne besondere Erwartungen und Vorwissen kehre ich an diesem Freitagabend also hier ein. Als erstes überrascht mich dann die geradezu einnehmende, elegante Gemütlichkeit des Restaurants. Eine schlichte Dekoration, warme Beleuchtung und Farben, die man nicht benennen kann („Schlamm-Hellocker“ für die Wände oder „Braungrauschwarz“ für die Tischtücher wären Versuche), schaffen einen angenehmen Rahmen für die nächsten Stunden.
Die Menüs – es stehen zwei zur Auswahl – werden auf einem in weißes Leder eingespanntes iPad präsentiert. Auch die Weinkarte ist darin zu finden. Sofern man von solchen Accessoires nicht gerade seinen Fisch essen muss, begrüße ich den Einsatz solcher zeitgemäßen Technologien in Restaurants außerordentlich. Nichts kann lästiger sein als überdimensionierte Wein- und Speisekarten, die man beim Servieren der ersten Amuse-Bouches hilflos auf den Schoß legen muss. Außerdem haben alle Esser am Tisch so auch die Möglichkeit, in der Weinkarte zu stöbern. Das ist modern und unkompliziert.
Meine Wahl fällt auf das Menü „The Natural Cusine“ (SEK 1.750, ca. € 220) sowie die entsprechende Weinbegleitung (ca. € 170), die ebenfalls einzusehen ist und Spannendes verspricht.
Doch noch bin ich mit meinem zweiten Glas Champagner beschäftigt (exzellent: „La Closerie Les Béguines“ von Jérôme Prévost, ca. € 28). Dann werden die ersten Amuse-Bouches serviert.
In einem weißen tiefen Teller findet man eine Zwiebelvariation, die mich völlig euphorisiert. Die verschiedenen Lauchgemüse sind schonend gedünstet, lauwarm und sind unglaublich aromatisch – in irgendeiner deliziösen goldenen Mitte zwischen süß, sauer und bitter. Dazu gibt es etwas Rahmiges für die alles zusammenfügende Cremigkeit, et voilà, fertig ist ein meisterhaftes Gericht von berührender Schlichtheit. Das geht ja gut los!
Auf dem anderen Teller findet man mit „Taste of the Sea“ einen texturellen und aromatischen Gegenpol: knusprig, meerig-salzig, gut.
Ein weiteres Amuse setzt das soeben erlebte Niveau fort. Ein halbfestes Ei mit schwarzen Trüffeln, Speck und Schnittlauch spielt mit Bewährtem. Warum auch nicht? Es ist köstlich!
Danach werden Brot, Butter & Co. als eigener kleiner Gang präsentiert. Zu einer Auswahl hausgemachter Brote gibt es auf einer Natursteinplatte verschiedene „Aufstriche“. Süße und salzige Butter, verschiedene Käse (einer davon aus der Tube) machen einen etwas verspielten Eindruck, doch Verspieltheit schließt Wohlgeschmack nicht aus, wie diese Präsentation eindrucksvoll beweist. Die kleinen Häppchen, die man sich schmiert, sind alle zum Sattessen gut. Wirklich richtig umwerfend gut.
Es ist ganz wunderbar in diesem Restaurant! Die angenehme Atmosphäre, das freundliche, unaffektierte, junge Personal, und das Genießen von einer Köstlichkeit nach der anderen. Fine diningat its best. Und ich sehe keine Veranlassung anzunehmen, dass sich das noch ändern wird. Und das ist eine gute Voraussetzung, denn das Menü beginnt offiziell erst jetzt!
Dieses beginnt dann so, wie der Prolog begann – und endete –: nahezu perfekt. „Swedish coolness“ heißt die nächste Offenbarung an diesem Abend, die verschiedene rohe Fische thematisiert. Alle sind in makelloser Qualität. Separat dazu gibt es (exzellente!) Sojasauce sowie Rogen, was beides – mit Hilfe eines Pinsels – als Würzmittel selbst dosiert werden kann. Ziemlich cool. Und lecker. Dazu gibt es einen treffsicheren Sake (Katori 90, Terada Honke, Chiba, Japan), der so gut dazu passt wie Uma Thurman in die Rolle von „Kiddo“.
Weiter!
Doch Pointy head cabbage & oysters & caviar mit Austernschaum, schwarzem Pfeffer und Petersilie enttäuscht. Das Gericht sieht schmackhaft aus, ist jedoch zu bitter und fischig und damit gar nicht mein Fall.
Schwamm drüber und weiter!
Cabbage & smoked pork belly entpuppt sich dann als eine grandiose Zusammenstellung von Zutaten, Aromen und Texturen. Der geräucherte Schweinebauch schmilzt am Gaumen, dazu gibt es kleine Stückchen von Kohl und Liebstöckel sowie noch irgendetwas Frittiertes, Knuspriges (ich glaube, auch vom Schwein). So unscheinbar das klingen mag, ist das ein unglaublicher Gaumenschmaus! Die Krönung dazu ist dann noch eine intensiv aromatische Consommé mit Daikonjulienne, die – zusammen mit einer Gabel des Schweinbauchtellers – am Gaumen zu einer herzhaften Geschmacksexplosion führt. Nicht weniger als eines der besten Gerichte, die ich je gegessen habe. Herrlich dazu auch ein frischer, würziger Morgon 2011 von der Domaine Marcel Lapierre.
(Das Gericht weist übrigens eine interessante Ähnlichkeit zu einem Gericht im Akelarre auf – wenn auch mit ganz anderen Zutaten, und hier erheblich besser.)
Mit Egg & truffle entsteht eine kleine Dopplung zu einemder Amuses, was das Gericht jedoch keinesfalls überflüssig macht. Hier ist das Ei von einer süffigen (aber auch etwas zähen) Kruste aus Gruyère umgeben, dazu Spinat. Ein recht schwerer Gang, der mich etwas Finesse vermissen lässt aber dennoch hervorragend schmeckt.
Von wunderbarem Wohlgeschmack (von der Form, bei dem man den Teller blank schlecken möchte) sind dann die Crispy salt baked potatoes, die mit black roe from Kalix, Crême fraîche und gebräunter Butter serviert werden. Was gäbe das für ein Katerfrühstück! Salzig, knusprig, fettig, herrlich. Genial darauf abgestimmt ist auch ein dazu serviertes Bier: würzig, kühl und überhaupt wunderbar unkonventionell. Das „#2 Sweet Gale“ wird unter Mathias Dahlgrens Namen von der St Eriks Brewery in Schweden gebraut. Danke für diese Horizonterweiterung.
Mit Wild duck & fried peppers gelangt etwas mehr Aromenkomplexität zurück ins Menü, wenngleich auch dieses Gericht auf Süffigkeit getrimmt ist. Zum Glück! Das rosa Entenfleisch gart in dem aromatischen Jus noch etwas nach; das Schotengemüse fügt eine würzige Frische hinzu. Das ist fast ein wenig spanisch – aber dann doch besser als nahezu alles, was ich dort je gegessen habe.
Natürlich: Schleckermaul Dahlgren serviert für den übrigbleibenden Jus nicht etwa einen Löffel, sondern frisches Brot. Und zwar nur das Innere, zum Stippen mit den Fingern. Herrlich unbeschwert wird hier mit infantilen Gelüsten gespielt. Nichts für Pikfeine! Aber alles für Genießer.
Doch die Finger müssen nicht lange schmutzig bleiben. Zum Säubern gibt’s dann eines dieser komprimierten Handtücher wie früher bei Amador. Damals wie heute überflüssig.
Vor dem Hauptgang gibt es dann ein kleines Intermezzo mit Kräutern und Radieschen, das durch eine angenehme Bitterkeit den Gaumen säubert.
Als weiterer Geniestreich folgt Fried reindeer & leeks. Und obwohl mir das Fleisch im (mit Lauch gefüllten) Kern zu roh ist, zählt das Gericht für mich zu einem weiteren absoluten Highlight – hier und überhaupt. Die Zartheit und das Aroma des jungen Wilds suchen in meinem Erfahrungsschatz ihresgleichen, und auch die restlichen Zutaten harmonieren perfekt.
Ein erfrischendes, ätherisch-kräuteriges Sanddornsorbet gefällt abermals, und auch die Desserts (z. B. Ingrid Marie apple & vanilla ice cream) bringen nicht die unerhoffte Wendung in dieses großartige Menü.
Hier hat einer, der vergleichsweise wenig von sich hören lässt, einfach alles richtig gemacht. In Zeiten, in denen man sich vor ausgefallenen Locations und hyperkreativer Küche kaum noch retten kann, schafft Mathias Dahlgren in seinem Gourmetrestaurant einen zeitgemäßen Ruhepol mit urbanem Flair, entspanntem Service und außergewöhnlich genussvollem Essen: eine Reise wert!
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Mathias Dahlgren (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Mathias Dahlgren |
Ort: | Stockholm, Schweden |
Datum dieses Besuchs: | 08.02.2013 |
Guide Michelin (EU 2013): | ** |
Meine Bewertung dieses Essens |