Steirereck ‒ Tischkartenlyrik ohne Happy End
Manche Leute mögen es ja, wenn draußen über dreißig Grad herrschen und die relative Luftfeuchtigkeit auf karibische Werte steigt. Vor allem Deutsche mögen das und rennen in die Sonne wie Fliegen in eine UV-Lampe. Ich mag ein solches Klima nur in der Karibik ‒ zu Zikaden, Meer und Rum. In der Großstadt mag ich das nicht, und zu meiner großen Freude sehen das viele Wiener offenbar ähnlich: wohltuende Klimaanlagen beglücken vielerorts mit trockener, kühler Luft. So auch, zu meiner Erleichterung, am heutigen Abend im Speisesaal des Steiererck.
Auch das Glas Gonet-Medeville Rosé Extra Brut (€ 17), zu dem ein paar Grissini-Stangen mit Rauchsalz serviert werden, ist vorbildlich temperiert. Ich beginne, zu entspannen und mich etwas umzusehen.
Der Speisesaal ist recht geräumig, die Dekoration verspielt. Die Decke zieren blumenförmige Ornamente, aus denen indirektes Licht strahlt. Cremetöne, Holz und rote Stühle mit hoher Lehne bestimmen das Ambiente. Richtig gemütlich finde ich es hier nicht, aber das mag auch daran liegen, dass es noch nicht dunkel ist. Harren wir der Dinge.
Aus der Karte wähle ich das Menü in sieben Gängen (€ 128), das für jeden Gang zwei Optionen bietet. Bezüglich der Weinauswahl zögere ich noch, entscheide mich aber dann zugunsten der Weinbegleitung.
Das erste Amuse-Bouche ist ein „Gemüsegarten“. Gurke, Sellerie, Paprika, Radieschen – mariniert, gefüllt, gerollt und anderweitig präpariert – präsentieren sich farbenfroh in Form kleiner Fingersnacks. Manches davon wirkt alltäglich, und manches ist recht gut und knackig frisch.
Vulcanoschinken mit luftgetrockneter Wassermelone – originell serviert auf einer Art Miniaturwäscheleine – ist ein kleines Vergnügen. Das süße Aroma der Wassermelone verbindet sich köstlich mit dem Fett des im Mund schmelzenden Schinkens. So macht Wäscheabhängen Spaß!
Das Steirereck war, nach meinem Wissen, Vorreiter bei der Idee, zu jedem Gang ein kleines Tischkärtchen aufzustellen, auf dem sämtliche Zutaten und Zubereitungsarten erläutert sind – ein Eldorado für wissbegierige Esser. Fast identisch, sogar in Layout und Präsentation, ist diese Idee auch im Hamburger Haerlin zu finden.
Das erste Kärtchen trägt nun den Titel „Steinpilze mit gelbem Paprika und Butterhäuptl-Salat“. Die Steinpilze sind in drei Zubereitungsarten zu finden: roh und hauchdünn aufgeschnitten; in Nussbutter angebraten; sowie mariniert mit Basilikum, Zitrone und Petersilie. Das feine Säurespiel und die erdigen Aromen gefallen mir gut. Auch die Texturen sind sehr abwechslungsreich, nur der erneute Einsatz von Staudensellerie, wie im „Gemüsegarten“, wirkt unnötig repetitiv.
Hoffnungsvoll – ein klares Zeichen von unerfüllten Erwartungen – sehe ich dem folgenden Gang entgegen, Gold- und Chioggia-Rüben mit Schwarznessel, Haselnüssen und Würztapenade. Das Tischkärtchen führt, sage und schreibe, weitere sechzehn Zutaten auf: Steinsalz, Tamarinde, Zwiebel, Kapern, Powidl (Zwetschgenmus), Knoblauch, Malz, Melasse, Ingwer, Zitronengras, Honig, Chili, Blätterteig, Saft von fermentierten roten Rüben (rote Bete), Leindotter-Öl und Schildampfer. Doch fast nichts davon ist auszumachen. Sämtliche Zutaten werden von dem alles dominierenden Rote-Bete-Sud erschlagen und auf diese Weise zu reiner Trägermasse degradiert. Das ist ungefähr so, als würde ein Künstler sein fertiges Werk komplett mit schwarzer Farbe übermalen (wobei der Künstlervergleich hier ohnehin weit hergeholt ist).
Auch die Weinbegleitung hinkt. Sie ist ungefähr so mittelmäßig wie das Essen und so leidenschaftslos wie der Service. Ich ziehe also die Reißleine und wähle, mit ergänzendem Ratschlag des Sommeliers, nun selbst aus der Weinkarte. Ein 2009 Chambolle-Musigny 1er Cru von Jean-Jacques Confuron (€ 180) soll als Stütze für den Abend dienen.
Zum Huchen mit Brokkoli, schwarzem Reis und Kamille besteht der Sommelier jedoch noch auf seine „Begleitung“, und bevor ich Einspruch erheben kann, ist auch schon ein 2008 Riesling Smaragd „Steinertal“ von F. X. Pichler im Zalto-Glas und eine 4er-Weinbegleitung zu € 45 abgerechnet.
Der Huchen selbst ist unspektakulär. Dem Gericht fehlt es an Tiefe, es wirkt dumpf und fad. Kein Vergleich zu meinem ersten bewussten Kontakt mit Huchen – im Aqua, unvergesslich mit Erbsen, Wachtelei, Schnittlauch und Dill.
Weiter geht es mit der geschmorten Kalbszunge mit Rhabarber, Salzringlotten und Taglilien, einem Gericht, das mit einem feinen Säurespiel zu überzeugen versucht. Das gelingt anfangs, bevor man sich schließlich über die allzu wässrige Machart der Sauce wundern muss. Ganz im Gegensatz dazu steht wieder die Lyrik des Tischkärtchens: „Taglilien-Enfleurage“, „Erdäpfel-Gebäck“, „marinierte Orangentagetes“, „argentinischer Minzstrauch“. Letzterer ist tatsächlich ziemlich interessant. Mehr als ein Hochziehen meiner Augenbrauen und ein wohlwollendes „ja, das ist ganz gut“ kann mir das Gericht jedoch nicht entlocken.
Es folgt gebratenes und geschmortes Perlhuhn mit Senf, Bohnen und Sommertrüffel – einer der traurigen Tiefpunkte des Menüs. Die „knusprige Perlhuhnhaut“ ist nur in homöopathischen Mengen vertreten, und auch die Sauce folgt offenbar einem ähnlichen Verdünnungsprinzip. Ein „Natursaft“ (wovon?) „mit Pommery-Senf und Estragonöl“ soll das sein. Hier fehlten dem Saucier vermutlich ein paar Stunden Zeit zum Reduzieren. Der dazu gereichte Saucenlöffel ist pure Ironie. Das Gericht schmeckt säuerlich und wässrig.
Den großen Käsewagen lasse ich mir – wie häufig nach mehreren enttäuschenden Gerichten – dann nicht entgehen. Man sollte sich nur nicht von dem schlechtgelaunten Kerl irritieren lassen, der die Käsesorten leidenschaftsloser runterrattert als ein Radiomoderator die Windvorhersage für die Deutsche Bucht.
Ein große Menge zerquetschter Himbeeren mit Pandan, weißer Schokolade und Kokos bilden den belanglosen Abschluss dieses Menüs ohne Happy End.
Natürlich basiert sämtliche Kritik auf meinen persönlichen Maßstäben, Erwartungen und Erfahrungen. Schlecht war das alles nicht, nur nehme ich mittlerweile davon Abstand, gastronomische Erlebnisse dieser Art schönzureden, nur weil sie teuer sind oder das Lokal hohe Auszeichnungen hat. An diesem Abend war kein Gericht wirklich gut, kein Produkt war hervorzuheben, das Kochhandwerk bot keinen Anlass zu Lobpreisungen, die Atmosphäre war förmlich, der Service emotionslos. Die kulinarischen Erlebnisse, nach denen ich suche, haben ein anderes Resümee.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Steirereck (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Heinz Reitbauer |
Ort: | Wien, Österreich |
Datum dieses Besuchs: | 17.08.2012 |
Guide Michelin (EU 2012): | ** |
Meine Bewertung dieses Essens |