L’Atelier de Joël Robuchon (Étoile) – Klischeeaufräumer
Es ist erst mein zweiter Besuch in einem Atelier, doch die Vorfreude ist groß. Robuchons weltweit umfangreich besternte Tresenlokale haben nicht nur System, sondern vereinen alles, was man von einem unbeschwerten Restaurant mit exzellenter Küche erwarten kann. Mit der offenen und legeren Situation am Tresen, smartem, unprätentiösem Personal und weltgewandtem Publikum räumen die Ateliers mit allen Klischees auf, die so manch einer bezüglich „Sternerestaurants“ im Kopf haben könnte.
Ich kann das sowieso nicht mehr hören. „Chi-chi“, „steif“, „teuer“ usw. Leute! Reist in die wahren Metropolen dieser Welt (wichtiges Erkennungsmerkmal einer solchen: sie liegt nicht in Deutschland), esst dort – zum Beispiel in einem Atelier – und verstummt für immer! Kehrt zum Beispiel ein ins Atelier de Joël Robuchon nahe dem Triumphbogen in Paris. Einfach zum Mittag, so wie ich heute.
Für den Preis eines Kinobesuchs zu zweit inklusive Industriefraß (€ 39) gibt es hier schon ein Mittagsmenü mit vier Köstlichkeiten auf einem kulinarischen Niveau, das den meisten Menschen unbekannt sein dürfte.
Bevor man in den Genuss des Essens kommt, muss man in diesem Atelier skurillerweise zunächst einen Buchladen durchqueren, bevor man dann die Treppen nach unten findet, die einen in das fensterlose Restaurant in typischer Schwarz-Rot-Optik führen. Auch David Lynch hätte sicherlich Gefallen an dieser Atmosphäre. Unten angekommen, nimmt ein sichtlich gestresster, aber freundlicher Rezeptionist mit zwei Telefonen Reservierungen aus der ganzen Welt entgegen. Doch Singapur und London müssen kurz warten, während wir zu unserem Platz am Tresen geführt werden.
Wenig später entscheide ich mich dann für das Mittagsmenü in fünf Gängen mit café (€ 79), das, wie alle anderen Menüs auch, keine Speisen vorgibt, sondern nur die Anzahl der Gerichte. Diese wählt man dann aus der Mittagskarte selbst aus, deren Vielfalt mit über einem Dutzend Gerichten mehr als ausreichend ist.
Jeder Platz am Tresen ist belegt. Junge Einheimische, ältere Pariser Damen, kulinarisch versierte Touristen – jeder vergnügt sich sichtlich an der Atmosphäre dieses gleichermaßen pulsierenden und entspannenden Orts. Nur ein paar Meter oberhalb schieben sich die Menschenmassen über die Champs-Elysées.
Als Auftakt überzeugt ein kleines, hervorragendes Amuse mit Foie Gras zum Löffeln, bevor es dann mit der Vorspeise weitergeht. Ein Salat (Les Primeurs) mit jungen, dünn aufgeschnitten Gemüsen, auf die das Wort „knackig“ nicht besser zutreffen könnte, gefällt mir außerordentlich gut; auch das „senfig-säuerliche“ Dressing ist appetitanregend und sehr gelungen. Ein Salat in selten vorzufindender Güte! Wie so häufig, sind es gerade diese scheinbar simplen Dinge, die die Spitzenküche zu dem machen, was sie ist.
Auch eine dann folgende Auberginensuppe (L’Aubergine), die mit Streifen von iberischem Bellota-Schinken, Croutons und einem Hühnerei serviert wird, ist zum (imaginären) Tellerauslecken gut.
Ein Filet vom Petersfisch (Le Saint-Pierre) überzeugt dann ausnahmsweise gar nicht. Viele Gräten, zu zäh, und überdies ohnehin eine eher langweilige Komposition. Ich merke es kurz an, und der charmante Herr aus dem Service wickelt das so professionell und höflich ab, wie es nur möglich ist. Wenig später kann ich beobachten, wie das Küchenteam hinterm Tresen bedächtig über meinem Teller sinniert. Hier geht wohl eher selten ein Teller zurück in die Küche, und die Kritik wird entsprechend erst genommen. Fast überflüssig zu erwähnen, dass das Gericht später nicht berechnet wird. Doch solche Fehler verzeiht man hier mühelos. Warum auch nicht?
Auf einen Ersatz verzichte ich, tritt doch bereits Sättigung ein und folgt noch der nächste Gang: Le Porc Ibérique (zzgl. € 10). Das Karree vom Schwein ist hervorragend gegart, die weiteren Zutaten (u. a. Tomate, Minze, Kerbel) sowie eine exzellente Sauce verleihen dem Gericht zusätzlich eine appetitliche Umami-Note. Das dazu separat gereichte cremige Kartoffelpüree ist eines der besten, die ich je gegessen habe.
Mit roten Früchten (Les fruits rouges) in Form von grandiosen Erdbeeren, Himbeeren, dazu einem phänomenalen Vanilleeis sowie einem café lasse ich dieses exzellente déjeuner ausklingen und freue mich schon wieder auf den nächsten Besuch in einem neuen Atelier – ob in London, Las Vegas, New York, Hongkong, Singapur, Taipei oder Tokio.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | L’Atelier de Joël Robuchon Étoile (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Yosuke Suga, David Alves |
Ort: | Paris, Frankreich |
Datum dieses Besuchs: | 11.05.2012 |
Guide Michelin (F 2012): | ** |
Meine Bewertung dieses Essens |