The Square’s Roots – Quadratwurzeln
Ausreichende sechzehn Stunden nach dem letzten Bissen im The Hand & Flowers, aber anspruchsvolle sechs Stunden vor meiner Reservierung im The Ledbury, kehre ich zum Mittagessen ein ins Restaurant The Square. Inmitten des exklusiven Stadtteils Mayfair geht es hier etwas formeller zu. Das hier ist klassisches fine dining, was einige der anwesenden asiatischen Gäste dennoch nicht davon abhält, im T-Shirt am Tisch zu sitzen. Ich sitze hier auch nicht mit Krawatte am Tisch, aber das geht mir doch ein wenig zu weit. Die Herrschaften hätten vor dem Essen ruhig noch mal bei Brioni einkehren können – der Laden ist direkt gegenüber, neben Kenzo und Stella McCartney. Aber wer weiß, vielleicht sind es gerade diese Gäste, die Château Pétrus bestellen und die vermutlich horrende Miete finanzieren.
Doch so viel Aufmerksamkeit ist dieser kurzen Irritation, die vielleicht nur Sekunden währt, gar nicht geschuldet. Ich fühle mich wohl hier und stöbere mit Freude in der überaus vielversprechenden Speisekarte. Ein Glas Thiénot Rosé (£16) begleitet diese angenehme Aufgabe. Das Preiskonzept ist simpel: zwei Gänge für fünfundsechzig Pfund (€ 80), drei Gänge für achtzig (€ 100).
Ein kleiner Gruß wird gereicht. In einem kleinen Schälchen findet man unter einer schaumigen Kürbiscreme ein Truthahngelee, dazu gesellen sich Zwiebeln und Brösel. Ein äußerst gelungener Start! Es ist eines dieser Gerichte, die man aufgrund ihrer appetitlichen Herzhaftigkeit gleich ein weiteres Mal essen möchte. Und dann noch mal.
Inzwischen ist auch meine Wahl für die folgenden Gänge und den Wein gefallen. Ich wähle zwei Vorspeisen und ein Hauptgericht, als Wein eine halbe Flasche Château Lynch-Bages Blanc 2005 (£89) – ich liebe weißen Bordeaux.Meinen ersten Gang wählte ich völlig beabsichtigt vegetarisch. Wenn solche Gerichte die Karte eines Spitzenrestaurants schmücken, kann man häufig mit Offenbarendem rechnen. So dann tatsächlich auch hier. Mit Warm Baked Root Vegetables with Pheasant Juices (na gut, ein wenig Tier gibt’s doch), Lardo di Colonnata (ist ja schon gut…), Sprout Leaves and Chestnuts esse ich eines der besten Gerichte nicht nur auf dieser Reise, sondern überhaupt.
Die in Perfektion gegarten Gemüse von scheinbar überirdischer Qualität lassen mich in andere Sphären entschwinden. Der kraftvolle Sud, das Fett vom hauchdünnen, fast zerfließenden Bauchspeck als „Geschmacksverstärker“ und die krosse Textur der Brösel ergeben zusammen mit den unverfälschten Aromen der Wurzelgemüse ein Gericht, das ich mir in vergleichbarer Weise im Arpège gewünscht, aber nicht bekommen habe. Würde es so weitergehen, wäre das jede Reise wert.
Doch etwas gedämpft geht es zunächst weiter mit Sauté of Scottish Langoustine Tails with Parmesan Gnocchi and an Emulsion of Potato and Truffle. Das Aroma der feinen Krustentiere wird hierbei leider von den ziemlich banalen Kartoffelklößchen und frittierten Schalottenringen erschlagen. Man muss die Krustentierchen regelrecht auf dem Teller suchen. Gelegentlich flammt zwar am Gaumen etwas aromatisch Interessantes auf, aber das ist zu wenig, um zu überzeugen. Ärgerlich und nicht nachvollziehbar ist, dass ausgerechnet bei diesem Gericht £15 Aufpreis erhoben werden. Das klingt alles schlimmer als es tatsächlich schmeckt, aber gerade nach diesem grandiosen Auftakt hatte ich mir mehr erhofft.
Es geht jedoch exzellent weiter. Der Roasted Cod with Lightly Curried Cauliflower Purée and a Vinaigrette of Golden Raisins, Capers and Apple ist eine erheiternde Kreation mit einem hervorragenden Kabeljau, der so weiß ist wie die Zähne von Zahnarzthelferinnen, und einfallsreichen Mitspielern wie Kapern, Granatapfel und Rosinen. Auch die Frittierte, leicht krosse Garnitur, passt ausnahmsweise gut – was auch immer da frittiert wurde; ich glaube, es ist Rauke. Das Geschmacksbild ist in Teilen an der Grenze zu „zu süß“, überschreitet diese Grenze jedoch nicht. In Summe äußerst zufriedenstellend. Mit einem Lächeln im Gesicht lege ich mein Besteck nieder.
In weiser Voraussicht auf das bevorstehende Abendessen verzichte ich wehmütig auf eines der wohlklingenden Desserts, doch der hausgemachte weiße Nougat ist der beste dieser Machart, den ich je gegessen habe und tröstest bei einem Espresso über den vermuteten Verlust hinweg.
Bis zum nächsten Mahl!
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | The Square (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Rob Weston |
Ort: | London, Vereinigtes Königreich |
Datum dieses Besuchs: | 28.12.2011 |
Guide Michelin (GB/IRL 2012): | ** |
Meine Bewertung dieses Essens |