The Ledbury – Ausnahmemenü
Mit Nudelhölzern und anderem schweren Gerät hat das Küchenpersonal des The Ledbury während der Unruhen in London im letzten Sommer seine dinierende Kundschaft verteidigt, während der randalierende Mob im Speisesaal wütete, Gäste beraubte und das Restaurant demolierte. Essen und Champagner gingen danach aufs Haus. Ein Essen, das einem sicherlich in Erinnerung bleiben wird.
Doch das The Ledbury, das 2005 von Phil Howard, Miteigentümer des The Square, sowie Küchenchef Brett Graham ins Leben gerufen wurde, hat bereits weit vor diesem Vorfall für Aufsehen gesorgt, nämlich mit einer rasanten Entwicklung der Küchenleistung an die Spitze Londons. Aktuell zieren das Restaurant zwei Michelin-Sterne und Platz 34 der San Pellegrino World’s 50 Best Restaurants.
Heute Abend, wenige Stunden nach einem formidablen Mittagessen im zuvor genannten Schwesterrestaurant, öffnen sich für mich die Pforten dieses Hotspots im wohlhabenden, aber etwas abseits gelegenen Stadtteil Notting Hill.
Das hochwertig dekorierte Interieur ist hell, modern, elegant und – soweit es in formellem Rahmen möglich ist – auch gemütlich. Anstelle von Champagner beginne ich heute Abend direkt mit Weißwein. Die Karte hält viele interessante Positionen bereit, z. B. einen Rochioli Chardonnay 2008 (£62).
Das Tasting Menu (£85) – heute Abend feiertagsbedingt die einzige Option – beginnt mit zwei Amuse-Bouches. Das erste ist ein Kräcker mit, ich bin mir nicht sicher, Foie-Gras-Mousse und Parmesanraspeln, das zweite hat ein Wachtelei als Hauptzutat – und, wie bisher in jedem der Londoner Restaurants auf dieser Reise, etwas Frittiertes. Das wird man den Briten wohl nicht austreiben können. Leider ist das recht trocken, und das Ei schreit nach Salz. Amuse-Bouches zum Durchwinken.
Es folgt der erste Gang des Menüs, Ceviche of Scallops with Kohlrabi, Seaweed Oil and Frozen Horseradish. Ein vielschichtiger, kühler, pikanter, irgendwie gurkiger Start, obwohl keine Gurke beteiligt ist. In Summe gefällt‘s.
Sehr vielversprechend angerichtet ist dann Squid “Risotto” with Cauliflower, Sherry and Pinenuts. Bei dem vollkommen reislosen „Risotto“ handelt es sich um kleine Tintenfischstückchen, die durch ihre spezielle Zubereitungsart ein ähnliches Mundgefühl wie das von Risotto erzeugen, nur etwas fester. Das gefällt mir von der Textur her erheblich besser als das Original, doch fehlt dem Gericht geschmacklich ein Gegenpol zum eher neutralen Tintenfisch. Die Optik des Gerichts suggeriert ein herzhafteres, kräftigeres Geschmacksbild, und fällt dann am Gaumen etwas in meinen Erwartungen zurück. Mit anderen Worten: es ist leider etwas fad.
Exzellent ist dagegen mein zweiter in London verkosteter „Gemüseteller“: Root Vegetables Cooked in Salt and Herbs with Lardo di Colonnata, Cèpe Marmalade, Pear and Roasting Juices. Ähnlich konzipiert wie das perfekte Zwillingsgericht im The Square, begeistern auch hier die intensiven naturbelassenen Aromen der Gemüse, doch es fehlt hier erneut etwas Tiefe.
Das Fehlen eines „gewissen Etwas“ zieht sich dann auch durch die nächsten Gänge. Die Hand Rolled Macaroni Stuffed with Pheasant Mousseline, Autumn Truffle and Shaved Chestnuts sind handwerklich sehr gekonnt umgesetzt, optisch vielversprechend, beinhalten gute Produkte und suggerieren eine „Süffigkeit“, ohne dann diese Vorfreude zu erfüllen. Es scheint fast so, als fehlte jemand in der Küche, der alles vorher noch mal probiert, bevor es raus geht. Viel fehlt den Gerichten nicht, um hervorragend zu sein. Es sind Nuancen, aber entscheidende Nuancen. So wie auch beim Crisp Pressed Suckling Pig with Spiced Cream, Carrots and Dried Chicory.
Dieser Teller stellt ein phänomenales Produkt zur Schau – eines der aromatischsten, zartesten Stücke vom Schwein (Milchferkel), die ich je verkostet habe –, und auch wenn gegen Produktpurismus nichts einzuwenden ist, wird auch das saftigste Schwein irgendwann langweilig, es sei denn, man steht selber am Grill und kann sich am triefenden Bratenfett vergehen. Wo ist also der dichte Jus, mit dem ich jetzt so gerne das Fleisch ummanteln würde? Die dünnen Pinselstriche auf dem Teller helfen mir da nicht weiter.
Der Hauptgang des Menüs sieht jetzt eigentlich Taube vor, doch ich hatte mir eine Alternative gewünscht und erhalte an Stelle des Vogels jetzt ein Gericht mit Beef. Es ist langweilig und lieblos.
Ein zweiter Wein muss her. Es wird ein 2009 Sequillo von und mit Winzerwunderkind Eben Sadie; mit £38 wohl einer der „cleversten“ Weine der Karte.
Auch das Dessert, Pavé of Chocolate with Milk Purée and Lovage Ice Cream, hinterlässt zusammen mit einem fast neutral schmeckenden Eis und einem sonderbaren Milchpüree keinen positiven Eindruck.
Gerade in Anbetracht der hohen Vorschusslorbeeren sind die Erlebnisse dieses Abends recht enttäuschend. Bedauerlich ist, dass man aus fast jedem Gericht mit vermutlich wenigen Handgriffen und etwas mehr Aufmerksamkeit genau das hätte herausholen können, was das Restaurant sonst angeblich so hervorragend macht. Aber wie heißt es doch gleich auf der Website des Restaurants: „Due to limited markets and produce we will offer Special Tasting Menus between […] Dec 27th - Jan 5th. Normal menu will resume on Jan 6th.“ („Aufgrund von eingeschränkten Einkaufsmöglichkeiten und verfügbaren Produkten bieten wir zwischen dem 27.12. und 5.1. spezielle Degustationsmenüs an. Die normale Karte wird am 6.1. wiederaufgenommen.“).
Das nächste Mal werde ich diese Information als Warnhinweis verstehen und das Restaurant lieber zu einer anderen Zeit besuchen.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | The Ledbury (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Brett Graham |
Ort: | London, Vereinigtes Königreich |
Datum dieses Besuchs: | 28.12.2011 |
Guide Michelin (GB/IRL 2012): | ** |
Meine Bewertung dieses Essens |