L’Atelier de Joël Robuchon (Saint-Germain) – Systemgastronomie einmal anders
Eine ausführliche Biografie von Joël Robuchon werde ich an dieser Stelle auslassen und hierzu, wie üblich, auf andere Quellen verweisen, doch einige Fakten seien dennoch vorweggeschickt. Wenn es jemanden gibt, auf den der ohnehin schon irreführende Begriff des „Sternekochs“ zutrifft, dann wäre es sicherlich Robuchon, denn zum aktuellen Zeitpunkt betreibt dieses gastronomische Wunderkind auf der ganzen Welt Restaurants mit einer Rekordanzahl von insgesamt 26 Sternen, darunter drei Drei-Sterne-Restaurants und diverse mit zweien.
Das ist ein „Sternekoch“, ganz im Gegensatz zu den gleichermaßen untertitelten Gestalten aus deutschen TV-Koch-Shows.
Doch zurück nach Frankreich. Joël Robuchon betreibt dort in Paris zwei seiner Ateliers. Dieses Konzept fußt im Wesentlichen auf den Eindrücken, die Robuchon auf häufigen Reisen nach Japan gesammelt hat, gepaart mit der Leichtigkeit spanischer Tapas-Bars. Das erste von weltweit derzeit acht L’Atelier de Joël Robuchon entstand 2003 in Paris-Saint-Germain, vor dem ich an diesem Vormittag bereits eine Dreiviertelstunde vor der reservierten Zeit umherschleiche, da ich nicht nur Appetit habe, sondern wirklich hungrig bin – der frühe Air-France-Flug ohne ernstgemeintes Frühstück sei Dank.
Kurz vor zwölf trete ich schließlich ein, immer noch zu früh, aber doch gut in der Zeit, um das geplante Abendessen um acht Uhr im Arpège nicht zu gefährden.
Im Inneren des Restaurants machen dunkles Holz, Bonsai-Pflanzen und eine insgesamt reduzierte Optik in Rot-, Braun- und Schwarztönen die ästhetischen Einflüsse Japans unverkennbar. Etwas dunkel, aber dennoch angenehm. Platziert wird man auf Hockern an einem Tresen, hinter dem sich junges, smartes Servicepersonal tummelt und, weiter hinten, die Köche ihren geheimnisvollen Tätigkeiten nachgehen. Geheimnisvoll deshalb, da seltsamerweise die wenigen routinierten Handgriffe, die da zu sehen sind, niemals zu den phantasievollen Speisen passen, die man serviert bekommt.
Die Speisekarte ist äußerst vielfältig. Mit einer Wahl à la carte ist man hier jedoch wohl am besten bedient, wenn man die Gerichte bereits kennt, der Hunger klein ist und die Zeit knapp. Da nichts davon für mich heute zutrifft, wähle ich das siebengängige „Menu Découverte“ (€ 160). Es beginnt mit einer hübsch präsentierten Blumenkohlcreme mit Krebsfleischals Amuse-Bouche. Der kleine, kalt servierte Snack ist erfrischend, sehr aromatisch und macht Lust auf Weiteres.
Ganz hervorragend ist dann gleich der erste Gang, Le homard en carpaccio aux fins aromates. Die nur ganz leicht gegarten Hummerscheiben präsentieren sich zusammen mit einem Potpourri von präzise abgeschmeckten Kräutern und Saucen. Das Geschmackserlebnis ist geradezu „ätherisch frisch“ – ohne dabei jedoch aufdringlich zu sein. Feine Minznoten, Olivenöl, Schnittlauch, etwas Herzblattsalat und Saucentupfer aus unterschiedlichen, jeweils hochkonzentrierten Aromaten (z. B. schwarze Oliven) machen dieses kleine, leichte Gericht zu einem großen Erlebnis. Der Rest des Glases Bruno Paillard Brut 1er (€ 20) passt dazu gut. An das leere Glas knüpfe ich an mit einem Chardonnay „à la Percenette“ 2008 aus dem Jura von der Domaine Pignier.
Weiter geht es mit einem Süppchen aus Saubohnen und Erbsen mit aromatisierter Crème légère und Bohnenkraut (Les févettes et les petits pois en fine crème légère et sarriette). Leicht schaumig, ein wenig pikant, makellos abgeschmeckt. Keine Offenbarung, aber schnörkellos und sehr gut.
Die gebratene Foie Gras, die mit einer eingemachten Kirsche sowie einer mit Hibiskus aromatisierten Sauce serviert wird, hält, was man von ihr erwarten würde. Der Gargrad und die Qualität der Entenleber sind perfekt, ebenso wie die Bräunung rundum, und die Portion ist genau richtig dimensioniert, um nicht übermäßig zu sättigen. Die sparsam dosierten weiteren Zutaten reichen aus, um interessante Akzente zu setzen. Das ist zwar alles andere als kreativ — passt also nicht so ganz in ein „Atelier“ —, ist aber in diesem Moment durchaus passend.
Das folgende L’Œuf en cocotte à la crème légère de girolles wird in einem Cocktailglas serviert und ausgelöffelt. Die Kombination von Ei, Sahne und Pfifferlingen schmeckt erheblich leichter als sie klingt, was auch dem Einsatz von viel Luft geschuldet ist, und lässt sich unbeschwert genießen. Herzhaft, pilzig und süffig.
Gang Nummer fünf ist der Turbot sauvage en tronçon, Grenoblaise légèrement tomatée. Der Steinbutt ist von sehr guter Qualität, doch wird sein Eigengeschmack leider unter der zu intensiven Sauce mit süß-säuerlichen Aromen versteckt. Vorgezogen hätte ich es andersherum. Ein kleiner Ausrutscher.
Für den folgenden Fleischgang standen ein Lamm-, ein Wachtel- und ein Kalbsgericht zur Auswahl, und meine Entscheidung fiel zu Beginn des Menüs auf die lackierte Kalbsbrust mit jungen Zwiebeln (Le Veau / la poitrine laquée, jeunes oignons au jus). Der einladend herzhafte Duft tröstet ein wenig über die eher plumpe Präsentation hinweg, doch als ich das Fleisch anschneide, macht sich Tristesse breit, denn es ist durchgebraten und zäh. Ganz offensichtlich ein Fauxpas und keine Absicht, lasse ich das Gericht zurückgehen. Ohne zu zögern und mit einsichtigem, bedauerndem Blick des Personals wird mir das Kalb sogleich erneut zubereitet, was so seine Zeit dauert. Eine knappe Viertelstunde später habe ich Gericht erneut vor mir. Dieses Mal ist die Zubereitung sehr gut. Das Fleisch ist zart, hat dennoch Biss, und der natürliche Fettanteil ist begrüßenswert hoch. Dazu passen die winzigen Pfifferlinge genauso gut wie das kompottartige Zwiebelbett und die insgesamt heißhungerstillende Umami-Geschmacksrichtung, die den Esser auch bei nachlassendem Heißhunger zu verzücken weiß.
Nach einer kleinen Verschnaufpause geht es dann über zu den Desserts. Den Anfang macht „die Erdbeere“, La Fraise, bei der es sich um höchstaromatische, in provenzalischem Olivenöl marinierte Walderdbeeren handelt, die auf einem leicht säuerlichen Chutney angerichtet sind. Obenauf ein Jasmin-Sorbet. Die intensiven Aromen sind beeindruckend, und die kühlen, floralen Noten vom Jasmin harmonieren perfekt mit den süßen Erdbeeren. Das kleine Gericht schafft, was nur wenigen Speisen vorbehalten ist, nämlich den Esser für einen kurzen Moment in eine Traumwelt entfliehen zu lassen. Ich habe auf einmal das Bild eines bunten Süßwarenladens vor Augen, aus Zeiten, „in denen alles besser war“; mit großen Glasgefäßen voller bunter Schaumgummis, Bonbons und Lollis so groß wie Tennisschläger… Ein großartiger Abschluss!
Nichts könnte jetzt noch besser passen als ein guter Café. Dieser wird begleitet von einem im Glas servierten Café-Sabayon mit Zitronenjoghurt auf Café-Eis. Letzteres ist etwas zu bitter geraten, doch insgesamt überzeugt auch dieses tatsächliche Finale.
Japanische Ästhetik hin, iberische Einflüsse her – aufgetischt wird hier französische Küche mit kosmopolitischer Note, die weder Trends setzt noch solchen hinterherjagt, sondern durch eine sehr gewissenhafte Zubereitung, eine stimmige Dramaturgie und hervorragende Aromen vollends überzeugt. Das Sitzkonzept am Tresen bringt Gäste, Küche und Service näher zusammen und sorgt damit für eine heitere, von jeglichem Ballast befreite Atmosphäre.
Es muss tückisch sein, das L’Atelier in seiner Nachbarschaft zu wissen, denn es gibt dann nur zwei Optionen: regelmäßige Besuche und ein rapider Kurssturz im Portemonnaie – oder die Fähigkeit zur gnadenlosen Selbstbeherrschung. Wie gut, dass ich hier nur zu Besuch bin!
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | L’Atelier de Joël Robuchon (Paris Saint-Germain) (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Eric Lecerf & Philippe Braun |
Ort: | Paris, Frankreich |
Datum dieses Besuchs: | 15.07.2011 |
Guide Michelin (F 2011): | ** |
Meine Bewertung dieses Essens |