Hof van Cleve – flämische Landpartie
Vor genau 24 Stunden noch im Oud Sluis und vor sechs Stunden noch im Bartholomeus, bin ich im Hof van Cleve nun bei meiner letzten Station dieser kulinarischen Kurzreise angekommen. Und ich verspüre tatsächlich wieder Appetit – eine sicherlich gute Voraussetzung für die folgenden Stunden.
Es ist ein Bisschen wie im Nirgendwo, hier oben auf einer kleinen Kuppe in der Gemeinde Kruishoutem in Flandern. Endlose, karge Felder, verlassenes schweres Agrargerät und kein Mensch weit und breit lassen diesen Ort surreal erscheinen; vor allem mit einem Drei-Sterne-Restaurant hinter diesem Tor. Dort kocht Peter Goossens, Belgiens bester Koch.
Wir erscheinen etwas zu früh und sind die Ersten im Speisesaal. Dieser präsentiert sich ländlich-schlicht und geschmackvoll; dennoch stellt sich bei mir keine wirkliche Gemütlichkeit ein. Ich glaube, es liegt an der zu hellen Beleuchtung. Doch dann kann man wenigstens die Speisen besser erkennen – und derentwegen bin ich schließlich hier.
Die Speisekarte bietet einige Menüoptionen sowie einen umfangreichen A-la-carte-Teil; meine Entscheidung fällt auf das menu découverte (€ 215). Gut, dass ich erst später auf der Rechnung sehe, dass das Glas Bollinger Spécial Cuvée (NV), das ich gerade genieße, dort mit € 25 auftaucht – eine derart unnötige Vermessenheit hätte mir meine Stimmung noch vor dem Essen vermiest.
Es werden die ersten Amuses gereicht. In einem runden Schälchen findet man eine Komposition aus Makrele, Basilikum, Birne und Apfel – die Früchte als Eis und Granité –; auf einem Teller Forelle, Rogen, Schellfischleber, dazu Mandelpesto. Alles ist sehr fein und subtil, die Produkte hervorragend, das unverkennbare Motto ist das Meer. Dieser Auftakt ist bereits sehr bezeichnend für vieles, das folgt – Subtilität, feinste Nuancen und exzellente, unverfälschte Produkte stehen im Vordergrund einer innovativen, aber auf dem Boden gebliebenen Küche.
Originell ist die Auswahl zwischen sechs verschiedenen Olivenölen, die – neben einer hervorragenden Butter – zum Brot angeboten werden. Etwas mehr Mühe bei der Erläuterung der Unterschiede hätte sich die junge Dame jedoch geben können. Unsere Entscheidung fällt schließlich auf das Öl von Château d’Estoublon aus der Provence.
Weitere Amuses werden gereicht. Vor mir steht ein Snack mit Garnele und frittierter Hühnchenhaut; dazu ein Schälchen mit Rinderbäckchen (auf dem Foto nicht sichtbar), Kartoffelchips und Kohl. Das ist alles äußerst zurückhaltend gewürzt und etwas zu viel Frittiertes für meinen Geschmack.
Weiter geht’s mit wunderbar interpretierter „Hausmannskost“. Ein Teller mit vorzüglich gegartem Aal, der mit einem Hauch von Soja überglänzt ist, dazu rote und gelbe Bete, wird begleitet von einer köstlichen Tartiflette, also einem Kartoffelauflauf, mit Reblochon-Käse, Speck und Zwiebeln, den ich mühelos als besten Kartoffelauflauf bezeichnen kann, den ich je gegessen habe. Ein bodenständiges Highlight, das eindringlich verdeutlicht, worum es bei exzellenter Küche geht: aus guten Produkten und gekonnter Zubereitung ein köstliches Gericht zu schaffen. Perfektioniert man dies, kann man sogar Kartoffeln, Käse, Zwiebeln und Speck in einem der besten Restaurants servieren.
Das Menü beginnt dann mit Tourteau / concombre, petits-pois, curry bombay (Nordseekrabbe mit Gurke, Erbsen und Curry Bombay), die in zwei Gängen serviert wird. Der erste in Form eines ansehnlichen Arrangements ebenfalls um die Themen Meer, Feinheit und „grüne Frische“. Die Kombination von Erbse (hier als Püree) und Schalentier finde ich ohnehin äußerst harmonisch. Alles ist filigran und fein, jedoch auffällig zurückhaltend. Man muss hier richtig „hinschmecken“, um keine der ausgefeilten Nuancen zu verpassen. Damit will ich nicht etwa sagen, dass mir ein Fläschchen Maggi fehlt, sondern lediglich einen Mut zur Zurückhaltung seitens der Küche zum Ausdruck bringen.
„Richtig“ loszugehen scheint es jetzt mit der zweiten Krabbenvariation – eine klare „10 von 10“. Herzhaftigkeit trifft abermals das Meer, dazu eine willkommene leichte Schärfe. Wunderbar! Meine gastronomischen und önologischen Eskapaden der letzten 24 Stunden rauben mir jedoch merklich etwas Konzentration, sodass ich nicht mehr sagen kann, worum es sich bei den exzellenten Fleischwürfeln handelt, die da auf dem Teller zu finden sind; ich glaube, es ist Schwein.
Dazu passt sehr gut unsere Flasche Chambolle-Musigny „Les Clos de l’Orme“ 2008 von der Domaine Sylvain Cathiard(€ 140).
Nicht ganz anschließen kann Calamares / poivrons, pickles, fenouil (Tintenfisch und Paprika, eingelegtem Gemüse und Fenchel). Auch hier gehen Zurückhaltung und Frische eine subtile Harmonie ein, die mir jedoch etwas zu vorsichtig daherkommt. Dazu serviert wird ein pizzaähnlicher Kräcker (na ja) und ein kleines Schälchen mit herzhaftem Inhalt, der sich jedoch nicht in meinem Gedächtnis verankert hat.
Der nächste Gang, Grondin / bellota, coques, célerie vert (Knurrhahn mit Bellota-Schinken, Herzmuschel und grünem Sellerie) schwächelt eindeutig. Die Ideen sind gut, aber nicht einmal der Bellota-Schinken schafft es, die quasi nicht vorhandene Würzung der restlichen Zutaten auszugleichen, von denen der eigentliche Protagonist (der Knurrhahn) auch noch sehr minutiös portioniert ist. Dieser Gang ist vollkommen unterhalb des Niveaus.
Großartig ist dann Queue de Bœuf / langoustines, truffe d’hiver, topinambour (Ochsenschwanz mit Kaisergranat, Wintertrüffel und Topinambur), bei dem der herausragende Kaisergranat eindeutig im Vordergrund des Geschehens steht. Erneut gelingt Peter Goossens hier die vorzügliche Kombination von „fleischlicher Herzhaftigkeit“ und Meerestier. Köstlich! Das dazu gereichte Carpaccio vom Kaisergranat in Rübengelee ist ebenfalls hervorragend.
Vor dem nächsten Gang muss man dann noch zwei Fragezeichen loswerden. Zum einen wird ein pikanter Kartoffelchip mit kleinen Fleischklößchen und Gemüsen serviert – das ist zwar ganz nett, aber Frittiertes und pizzaähnliches Gebäck habe ich hier jetzt schon ausreichend gegessen. Im Anschluss daran wird ein Block verschiedener handgearbeiteter Messer präsentiert, die sich alle durch das Material des Griffs unterscheiden, z. B. Penisknochen vom Walross (s. Abb.). Unterhaltsam gemeint, allerdings – wie schon beim Olivenöl – werden dem Gast die jeweiligen Besonderheiten nur dürftig, nämlich durch bloßes Aufzählen der unterschiedlichen Griff-Materialien, erläutert. Sinnvoller wäre es gewesen, nur ein bestimmtes Messer aufzutischen und seine Besonderheit hervorzuheben. So erscheint jedoch die eigene, willkürliche Auswahl von vornherein belanglos.
Das Messer findet dann seine zweckdienliche Verwendung beim nächsten Gang, dem Agneau de lait „Axuria-Pyrénées“ / curry colombo, artichaut, romarin (Milchlamm aus den Pyrenäen mit Curry Colombo, Artischocken und Rosmarin). Durch die orientalische Note des Currys und die eher schlichte Präsentation erinnert mich dieses Gericht sehr an die orientalisch beeinflussten Kreationen Wahabi Nouris aus dem Piment in Hamburg. Und es ist nicht so, dass die Gerichte darüber hinaus Welten trennen würden. Das Lamm ist ganz offenkundig von sehr guter Qualität, aber die Küche kann es hier tatsächlich nicht lassen, dass man sich ein Töpfchen Fleur de Sel herbeiwünscht – für einen kleinen, aber erforderlichen Aroma-Anschub. Dabei bin ich überhaupt kein Nachsalzer. Das Gericht ist gut, aber nicht fesselnd oder einzigartig.
Die Desserts ziehen dann noch mal richtig an. Zunächst werden ein Glas und ein Schälchen aufgetischt, die beide köstlich karibisch schmecken und um die Zutaten Orange, Mango, Passionsfrucht und Rum kreisen. Vergleichsweise einfach und doch so gut. Ich höre schon die Zikaden zirpen.
Es geht weiter mit Agrumes / yaourt, litchi, roses(Zitrusfrüchte mit Joghurt, Litschi und Rose), ein Dessert, das nichts vermissen lässt.
Der wunderbare Einsatz konzentrierter, sehr gut aufeinander abgestimmter Zitrusaromen ist hervorragend. Auch die (in Maßen) unterschiedlichen Temperaturen der Komponenten überzeugen. Exzellent!
Das letzte Dessert, Chocolat “Ghana 70 %“ / spéculoos, anis étoilé, cumquat (Schokolade aus Ghana 70 % mit Spekulatius, Sternanis und Kumquat), begeistert ebenfalls durch seine süffige Köstlichkeit und gekonnte Texturspiele (saftig/flüssig/kross/pudrig/cremig).
Auch die dekadenten Mignardises vom Wagen sind ein Gedicht. Hier wurde an keinem Gramm Butter gespart, und das ist gut so!
Nach zivilen viereinhalb Stunden geht damit ein Essen zu Ende, das an einigen Stellen brillierte, manchmal etwas enttäuschte und nie wirklich triumphiert hat. Von einfachen Snacks über köstliche Landküche bis hin zu modernen Arrangements mit ausgefeilten Textur- und Aromaspielen war heute Abend vieles zu finden. Abwechslungsreich? Ja, aber heute Abend für mich auch ein wenig das Fehlen eines roten Fadens in einem ansonsten hervorragenden Restaurant, das mich beim nächsten Mal bestimmt noch ein wenig mehr begeistern wird.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Hof van Cleve (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Peter Goossens |
Ort: | Kruishoutem, Belgien |
Datum dieses Besuchs: | 11.02.2011 |
Guide Michelin (BE/LUX 2011): | *** |
Meine Bewertung dieses Essens |