Georges Blanc – fünf Sterne hier, drei Sterne da …
Addiert man das Lebensalter und die Anzahl an Jahren, in denen die Restaurants dieser Köche schon mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet sind, müsste Paul Bocuse wohl die Liste anführen, dicht gefolgt von Georges Blanc. (Ich habe allerdings nicht nachgerechnet, und Korrekturen sind willkommen.) Zweifelsfrei jedoch gehört Gorges Blanc zu den lebenden Urgesteinen der klassischen französischen Spitzenküche. Drei Sterne seit 1981, diverse Orden, Auszeichnungen und Superlative heften an ihm.
In Vonnas, einer kleinen Gemeinde mit knapp dreitausend Einwohnern unweit von Lyon, betreibt er, unter anderem, sein nach ihm benanntes Flaggschiff-Restaurant. Auf dem Parkplatz, den das Relais & Châteaux und ein einfacheres Hotel flankieren, stehen Fahrzeuge einschlägiger deutscher und italienischer Luxushersteller. Als ich ankomme, kommt mir zufällig genau in dem Moment Georges Blanc entgegen, in voller weißer Küchenmontur, und steigt in seinen Porsche Cayenne. Vielleicht fehlt ja noch etwas Butter.
Das Anwesen von Georges Blanc ist als Luxushotel klassifiziert, doch das Haus atmet bröckelnden Charme aus alten Zeiten, in denen rote Wände und grüne Teppiche noch en vogue waren. Wer alles schon über diese Teppiche marschiert ist, sieht man auf den Fotoporträts an den Wänden.
Mein Zimmer hat mit einem Luxushotel nicht viel gemein: eine Badewanne mit lascher Handbrause ohne Wandhalterung und Spritzschutz, billigste Körperpflegeprodukte, ein riesiger und hässlicher Röhrenfernseher und weitere dekorative Ungeschicklichkeiten im Zimmer steigern den Wunsch nach einem festlichen Mahl außerhalb dieser vier Wände.
Der Speisesaal, den ich gegen 19 Uhr noch als einziger betrete, ist ziemlich groß. Viele der Tische sind für größere Gesellschaften eingedeckt. Die Farben Rot, Gelb und Braun prägen auch hier die kitschige Atmosphäre. Auch das steife Personal der alten Schule trägt nicht zur Erheiterung bei. Charme und Freundlichkeit stehen hier ganz offenkundig nicht im Vordergrund, sondern eher eine Art Abfertigung auf hohem Niveau. So fühlt es sich leider schon an, bevor ich den ersten Happen probiert habe.
Aus der großformatigen Speisekarte entscheide ich mich für das traditionelle Menü „Immage de Vonnas“ (€ 200), welches die Klassiker des Hauses am besten repräsentieren soll. Auch das Bresse-Huhn in zwei Gängen ist hier vertreten – ein Muss, immerhin sind wir hier in der Region. Hühner, pardon, Hähne, sind in diesem Haus auch das am häufigsten verwendete Dekorationselement.
Auf einem Silbertablett werden die ersten Amuse-Bouches serviert. Es gibt eine von einem Gelee ummantelte Foie-Gras-Praline, die makellos ausgeführt ist, mich aber daran erinnert, warum für mich von diesem Produkt kaum noch eine Faszination ausgeht, erst recht nicht als Terrine. Schnecken in einer würzigen, lauwarmen Kräutersauce sind exzellent, und ein weiteres Häppchen mit irgendeinem Fisch ist etwas zu fischig. Alles recht halbherzig.
Was dann wie ein zweites Amuse-Bouche anmutet, ist bereits der erste Gang des Menüs: Auster in Gelee mit Kaviar (huître en gelée « terre et mer » au caviar). Die Speise ist eiskalt und büßt dadurch sämtliche Aromen ein. Was am Gaumen übrig bleibt, ist ein ausschließlich jodiger Grundgeschmack und die geleeartige Textur der Füllmasse. Eine vermutlich Stunden im Voraus erfolgte Zubereitung und anschließende Lagerung im Kühlschrank macht sich hier sehr nachteilig bemerkbar und passt zu meinem Gefühl, abgefertigt zu werden. Luxusprodukte allein machen den Kohl eben auch nicht fett.
Der nächste Teller sieht rustikaler, aber einladender aus. Auf einem intensiv nach Butter und Kräutern duftenden Saucenspiegel ist ein Stück Wolfsbarsch angerichtet, das ebenfalls mit der Sauce übergossen wurde. Ein paar grüne Spargelspitzen gibt es auch noch dazu (bar de ligne et pointes d‘asperges dans une marinière d’aromates et Medley d’herbes). Tatsächlich braucht es nicht mehr, um das Gericht als hervorragend bezeichnen zu können. Grund dafür ist vor allem ein makelloses Saucenhandwerk. Diese ist buttrig, kräuterig-pikant und salzig: ziemlich intensiv, aber in allen Ausprägungen stets einen meisterhaften Hauch unterhalb von „zu viel“. Ein Frevel ist derjenige, der auch nur einen Milliliter Sauce übriglässt. Auch die Sauciere leere ich restlos aus, was ungefähr der Energiezufuhr eines Snickers gleichkommen dürfte. Ach ja: Fisch und Spargel sind auch ziemlich gut.
Es folgt Hummer in einer Vin-Jaune-Sauce (éclaté de homard au vin jaune, une fine raviole à l’oseille et des morilles), die sich von der vorherigen geschmacklich nicht sehr unterscheidet, hier aber mit Salzigkeit und Säure etwas übertreibt. Der Hummer ist von makelloser Qualität und Zubereitung, dazu gesellen sich ein paar Morcheln sowie ein Sauerampfer-Raviolo. Ultra-klassisch, aber dabei nicht überragend.
Nun folgt das Huhn, oder vielmehr L’emblamatique Poularde de Bresse AOC, in zwei Gängen.
Gang Nummer eins ist Huhn-Suprême und mit Leber gefüllter Hals in einer Champagner-Foie-Gras-Sauce mit Crêpes aus Vonnas. So gern ich auch attestieren würde, dass kein Mensch eine Champagner-Foie-Gras-Sauce braucht, ist sie das einzig wirklich Hervorragende an diesem Gang. Sie ist wirklich verdammt gut. Aber der Rest? Die Haut des Suprêmes ist gummiartig und ungenießbar, der Teigmantel um das Halsstück trocken, die Crêpes sind überflüssiger Ballast und die dekorative Bastelei in Hahnenform ist tragikomisch. Schade, denn das Fleisch des Huhns ist sehr saftig und überaus aromatisch. Mehr als die Sauce dazu hätte es nicht gebraucht, um das Gericht großartig zu machen. In dieser Form ist es nicht einmal gut.
Die zweite Darbietung des Huhns ist noch trister. Ein Teil der Keule wird hier auf einer Syrah-Ingwer-Sauce angerichtet. Was saftig und herzhaft aussieht, ist trocken par excellence. Die „Krönung“ ist ein fast völlig ausgetrocknetes Sot-l’y-laisse (Pfaffenstückchen), das ein einsames Dasein am Tellerrand fristet. Ein von Natur aus so saftiges Stück ist nur durch extreme Hitze und langes Liegenlassen so kaputt zu bekommen.
Mein Unmut wird bemerkt. Ich versuche mich in Erklärungen, und der Kellner nimmt mir fast die Worte aus dem Mund als kenne er die Mäkel des Gerichts in- und auswendig. Sehr sonderbar.
Eigentlich möchte ich jetzt nur noch zu den Desserts übergehen. Appetit habe ich nicht mehr, und das Menü wird ganz sicher nicht mehr das Ruder in Richtung unantastbarer Großartigkeit herumreißen. Doch es wird mir wegen meiner Anmerkungen noch ein zusätzlicher Gang aufgetischt in Form von Kalbsbries mit Flusskrebsen, Morcheln und hausgemachter Pasta mit Timut-Pfeffer.
Das ist erheblich besser als es aussieht, aber: Die Sauce ist schwer, dem Kalbsbries fehlt es an Salz, die Morcheln sind eine nachlässige Wiederholung aus einem der vorherigen Gerichte, und die Zutaten wirken wie zusammengewürfelt. Überhaupt ist das Geschmacksbild kaum von dem der anderen Teller zu unterscheiden. Ich glaube, wenn man die Gerichte alle in einen Mixer gäbe, fiele eine Unterscheidung nicht leicht. Ein Gericht wie aus einer anderen Zeit – aber dadurch nicht besser.
Ein Dessert mit Erdbeere und Rhabarber ist, wie die Auster zu Beginn, viel zu kalt (durch eine sehr lange Kühllagerung), und während ich – müde, satt und ohne weitere Erwartungen – drei kleine Pralinen probiere, finde ich doch noch, nach zwei Stunden, Perfektion auf meinem Teller.
Denn die Chocolats Maison sind nicht weniger als grandios, jedes für sich zum Augenschließen und Abtauchen. Am allerbesten ist die gelbe Petitesse mit tropischen Früchten, leicht knusprigem Boden und hauchdünner Schokoladenummantelung: nicht weniger als eine der besten Mignardises, die ich je probiert habe. Ein willkommener Irrläufer in einem Menü, das von viel zu vielen Nachlässigkeiten geprägt war, um über dieser Küche drei Sterne leuchten zu lassen. Und über die fünf Sterne des Hotels müsste man auch noch mal debattieren. Ich sehe hier heute Abend in Summe nur vier Sterne. Mindestens drei davon hat das Hotel verdient.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Georges Blanc (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Georges Blanc |
Ort: | Vonnas, Frankreich |
Datum dieses Besuchs: | 30.04.2015 |
Guide Michelin (F/MC 2015): | *** |
Meine Bewertung dieses Essens |