JL Studio – Jimmys Sterne
In seiner Jugend half Jimmy Lim nach der Schule im Familienimbiss in Singapur aus, später zieren Stationen in berühmten Restaurants wie Noma, Geranium, The French Laundry und Per Se seinen Lebenslauf. Im Jahr 2007 brachte es Lim schließlich nach Taichung.
Hier, in Taiwans zweitgrößter Stadt, eröffnet Lim im Jahr 2017 das JL Studio. Der damals 34-Jährige bekennt sich erst einige Jahre später zur Küche seiner Heimat Singapur, die er hier in Taiwan auf ein neues Niveau heben möchte. Die Auszeichnungen kommen schnell, und im Jahr 2023 wird das JL Studio das erste Restaurant mit singapurischer Küche und drei Michelin-Sternen.
Als letzte Station meines umfangreichen Asien-Trips reise ich ein zweites Mal innerhalb von zehn Tagen nach Taiwan, dieses Mal von Seoul kommend. Meine Reservierung im Taïrroir in Taipeh konnte ich leider nicht hiermit zusammenlegen.
Das JL Studio befindet sich in einem modernen, verglasten Gebäude, in dem sich mehrere Restaurants befinden. Man erreicht das JL Studio nur, indem man durch ein anderes Restaurant hindurchgeht, vermutlich von denselben Betreibern.
Oben angekommen gelangt man durch einen kleinen Vorraum an der Küche vorbei in den Speisesaal, bei dem Erd- und Cremetöne die Farbpalette dominieren und Sitzbänke für etwas Gemütlichkeit sorgen. Durch das eher unspezifische Interieur und den fehlenden Ortsbezug fühlt sich alles etwas steril an.
Die Weinkarte ist klein, aber ansprechend. Ich bestelle keinen Aperitif, sondern direkt eine Flasche 2017 Chambolle-Musigny von der Domaine Hudelot-Noëllat (5800 TWD, ca. 170 €). Der Wein wirft hellrote Lichtreflexe auf das Menü, das ich aus einem Umschlag mit weiteren Informationskärtchen heraushole. Es gibt neun Gänge, die jeweils mit ihren zwei oder drei Hauptzutaten beschrieben sind und sich später mit umgerechnet ca. 124 € auf der Rechnung wiederfinden (zzgl. eines Add-ons mit Wagyu statt Angus-Rind für ca. 30 €). Man merkt, dass man nicht in New York oder Paris sitzt.
Der erste Gang präsentiert blattförmig angerichteten Rettich, in dessen Aussparungen abwechselnd rohe Gelbschwanzmakrele und Jackfrucht eingebracht sind. Ein kühler Sud dieser sowie fermentierter Sternfrucht und pikantem Garnelen-Öl wird am Tisch dazu angegossen. Der Kontext des Gerichts ist die Peranakan-Küche, die ich schon einmal ähnlich eindrucksvoll im Candlenut in Singapur entdecken konnte. Bei dieser Speise beeindruckt besonders das feine Zusammenspiel von Texturen, Süße, Säure und Schmelz. Dass eine elegante, aber keinesfalls dominante Schärfe alles untermalt, gibt der Kreation einen klaren exotischen Bezug. Große Klasse. (8,9/10)
Taiwanesische Kuruma-Garnele serviert man als nächstes in einem Duo. Der ausgelöste und gegarte Hinterleib ist mit einem kleinen Kräuter- und Blütensalat garniert, der die nussige Süße des Krustentiers angenehm herb kontrastiert. Der Kopf der Garnele wurde frittiert und liegt separat auf dem Teller, noch immer sehr heiß. Zum Kombinieren gibt es auf dem Teller verschiedene Saucen, unter anderem eine auf Sesambasis und einem damit verbundenen erdnussähnlichen Aroma. Butterzarte Kopfsalatblätter, zwischen denen man eine weitere Sauce und kleine Fruchtstücke findet, sorgen für überraschenden Schmelz und Frische. Das aromatisch komplexe Gericht, dessen Parallelen zur singapurischen Küche – hier: Gado-gado – man am Tisch erläutert, lebt von Leichtigkeit und Kontrasten. (8,9/10)
Der nächste Gang interpretiert den Streetfood-Klassiker Chicken rice, nur ohne (sichtbares) Huhn und (sichtbaren) Reis. Als Huhnsubstitut dient ein Grouper (Barschverwandter), der etwas fester gekocht ist und es zumindest texturell entfernt mit Reis aufnehmen kann. Die Sauce ist aus Reis und Huhn hergestellt, dazu gibt es noch dünn aufgeschnittene Bambussprossen, die mit ihrer knackigen Textur vielleicht an die Gurkenscheiben erinnern wollen, die man zu dem Referenzgericht klassischerweise serviert. Fisch und Sauce ergeben jedenfalls ein Ensemble, das in vielen Aspekten tatsächlich an den bodenständigen Klassiker erinnert. Eine grüne Chilisauce am Rand lässt sich eigenmächtig dazu dosieren und begeistert mit feuriger, aromatischer Schärfe. Ich heiße Schärfe auch in der Spitzenküche willkommen, vor allem, wenn man ihren Einfluss auf das Gericht, wie hier, selbst bestimmen kann. Souveränes Spitzenniveau. (9/10)
Das Menü geht weiter mit einer Tartelette von Abalone und, neben anderen Pilzen, Steinpilz. Die fleischige Konsistenz von Abalone hat mich schon oft an Pilze erinnert, weswegen diese Kombination hier äußerst schlüssig ist. Eine intensive, mit der Salzobergrenze spielende und leicht ätherische Pilzsauce fasst alle Bestandteile der Tartelette cremig ein. Separat gibt es eine erdige, ebenfalls intensive und regelrecht medizinisch-animalische Pilzessenz mit einem mit Pilz und Abalone gefüllten Dumpling. Das hervorragende Zusammenspiel dieser beiden – an sich völlig unterschiedlichen – Zutaten wird hier meisterhaft in Szene gesetzt. (9/10)
Der nächste Gang reinterpretiert Laksa, die scharfe Nudelsuppe aus Südostasien. Ein suppenähnlicher, pikanter Schaum aus Laksa-Blättern und Kokosnussmilch referenziert dabei die Suppe, während der Hummer als edler Proteinersatz für die sonst üblicheren Zutaten Huhn oder Fisch fungiert. In dünne streifen geschnittener Tintenfisch imitiert den Nudelteil des bekannten Gerichts, und ein kleiner Maiskolben lockert das pikante, heiße Gericht mit etwas Süße auf. Auch das ist qualitativ und geschmacklich ausgezeichnet, wenngleich die »Nudeln« etwas ungünstig zusammenkleben. (8,5/10)
Das Restaurant ist inzwischen voll besetzt, fast ausschließlich von auffällig jungen Gästen, von denen viele sich mehr mit ihrem Smartphone beschäftigen als miteinander oder mit dem Essen. Das nichtssagende Interieur, ein kalter Zug aus der Klimaanlage, viel Stille und ein fehlender Ausblick lassen ebenfalls jegliche heitere Atmosphäre vermissen. Schade, wenn man nach so kurzer Zeit schon weiß, dass man das Restaurant nicht vermissen wird.
Meine Gedanken werden mit dem Servieren des nächsten Gangs unterbrochen. Es gibt eine kühl servierte Kreation mit Tomatengelee, Trauben, Bambus, Burrata und einem indisch gewürzten Schaum. Letzterer schreckt mich etwas ab, verschleiert er doch die weiteren Zutaten; das ist aber alles insoweit gut umgesetzt, als Umami, Salz und eine ansprechende Gewürzwelt sehr gut harmonieren. Mehr gibt es hier aber nicht zu entdecken. (7/10)
Der Hauptgang präsentiert dann zwei Stücke Wagyu »A5« mit verschiedenen Beilagen. Die Hommage an das indonesische Fleischgericht Rendang kommt mit einem separaten Schälchen Reis und verschiedenen weiteren Beilagen, unter anderem einer Zubereitung mit Kaki sowie einer mit Kokosnuss und Kräutern parfümierten dunkeln Sauce und einer Tamarinde-Sabayon. Wenngleich Wagyu in der internationalen Spitzengastronomie kaum noch überraschen kann, begrüße ich immer wieder die unstrittige Spitzenqualität dieses buttrigen Fleischs. In Kombination mit den weiteren Komponenten ergibt sich eine äußerst gelungene indisch-exotische Aromenwelt bei makelloser Zubereitung. Nur der Reis ist etwas trocken geraten – und weit weg von dem Glanz, dem Duft und den Aromen, die man beispielsweise in Japan vorfinden würde. (8/10)
Wie so oft in kreativen Restaurants, habe ich wenig Lust auf Desserts. Wie jedoch ebenfalls so oft, ist das alles besser als befürchtet. Ein kleines Sorbet mit Kalamansi (dass man hier die echte Frucht verwendet, schmeckt man sofort), grüner Chili und Pflaumenmeringue erfrischt, ohne zu übersäuern und wirkt durch einen Hauch Schärfe weiter belebend – bei einer gleichzeitig beruhigenden Süße. Exzellent. (8,5/10)
Die nächste Kreation interpretiert Tau Suan, ein Dessert mit Mungbohnen, die hier in einer Sauce mit Pandan-Blättern und Feige eingearbeitet sind. Ein Gin-Granité und ein sehr aromatisches Eis, ebenfalls aus Mungbohnen, sind weitere Komponenten der Kreation, bei der ein sonderbar intensives blumiges Aroma auf die kräuterigen Aromen des Gin treffen. Objektiv sehr gut, subjektiv weniger erquickend. (7/10)
Ein Zitronengrastee spendet nach den kalten Kreationen und zur bissigen Klimatisierung wohltuende Wärme, während noch einige Süßigkeiten meinen Tisch erreichen. Eine kugelförmige Praline mit Rose schmeckt elegant floral (7,5/10), und eine (komplett essbare) eiförmige Kreation mit Butterschaum und Kaffeepulver erinnert besonders gelungen an die singapurische Frühstücksspezialität Kaya toast mit Kopi (8,5/10).
Die Kreativität des Küchenchefs ist unstrittig, die Qualität dieses Menüs ebenfalls; dennoch ist dies kein Restaurant, das mich besonders mitreißen konnte. Vielleicht ist das Essen noch eindrucksvoller, wenn man die korrespondierenden Gerichte der singapurischen Küche besser kennt. Doch das dürfte auch unter dem taiwanesischen Publikum auf die wenigsten zutreffen. Es wirkt ein wenig so, als hätte der engagierte Küchenchef die drei Sterne ganz für sich allein erkocht und servierte sie nun einem überwiegend desinteressierten Publikum, das die Gerichte eher durchs Smartphone betrachtet. Ich möchte das alles nicht kleinreden, aber etwas Großes fällt mir dazu auch nicht ein.
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