The French Laundry – teurer Traum
Um nicht gleich ständig um den rosa Elefanten herumzureden: Das Ticket für ein Menü in der French Laundry kostet mich neunhundertziebzehn US-Dollar, im Voraus bezahlt und nicht stornierbar. Der Preis setzt sich zusammen aus 350 $ für das reguläre Menü mit »Klassikern« und 500 $ für die Zusatzoption »Evolution«, zuzüglich Steuern. Was die kostspielige Option beinhaltet, wird sehr vage gehalten (»ein erweitertes Menü, das die sich stets weiterentwickelnde Küche des Restaurants sowie einige Klassiker zelebriert«). Eine Mischung aus einer »Wenn schon, denn schon«-Haltung und der Tatsache, dass mir die Klassiker von Thomas Keller schon zu guten Teilen bekannt sind, verleitete mich dazu, hier zuzuschlagen.
Damit – und mit teilweise noch teureren Sondermenüs, die regelmäßig buchbar sind – ist Thomas Kellers berühmtes Restaurant im Napa Valley das teuerste Drei-Sterne-Restaurant der Welt.
Die Preise ändern derweil nichts an der Begehrlichkeit des Restaurants. Die Möglichkeit, überhaupt hier einzukehren, kostet mich – neben dem Ticketpreis – zunächst wochenlanges Hinfiebern auf den Zeitpunkt des Vorverkaufbeginns, einige sehr frustrierende Sekunden beim erfolglosen Buchungsversuch und anschließende tagelange, aber schließlich fruchtbare, Bemühungen per E-Mail. Das Wein- und Genussdorf Yountville ist auch ohne eine Reservierung in der French Laundry eine pittoreske Angelegenheit. Man muss als Liebhaber guten Essens dann aber stark sein, wenn man an dem Restaurant vorbeiläuft und keine Reservierung in der Tasche hat.
Ein Vorbeilaufen empfiehlt sich in jedem Fall. Wie eh und je kann man als Spaziergänger in der Washington Street die weitläufigen Gemüsegärten des Restaurants bestaunen, die direkt gegenüber des legendären Genusstempels in der Sonne baden.
Die French Laundry selbst wurde vor fünf Jahren – nach einem verheerenden Brand in der Küche – für über zehn Millionen Dollar renoviert und erweitert. Das denkmalgeschützte Hauptgebäude sieht unverändert aus, aber der Küchenanbau und ein neuer Außenbereich mit spektakulären Tischen unter schattigen Ahornbäumen und in überdachten, aber zum Garten hin komplett offenen Essbereichen, lassen einen selbst mit einem Knapp-Tausend-Dollar-Ticket in der Tasche glauben, dass man das Beste hier eigentlich nur verpassen kann.
Meine Reservierung ist für die skurrile Uhrzeit 16:15 Uhr für einen Tisch im Erdgeschoss des Haupthauses. Ob ich das als späten Lunch oder frühes Dinner betrachten soll, zerbricht mir noch etwas den Kopf, aber ich habe heute vorgearbeitet und außer einigen köstlichen Teigwaren aus der Bouchon Bakery heute Morgen nichts gegessen.
Dass das eine gute Idee war, offenbart das Menü, das nun zum ersten Mal vor mir liegt. Es führt insgesamt achtzehn Gerichte auf. Dass es sich hierbei nicht gänzlich um eine sukzessive Abfolge von Gängen handelt, wird nach den ersten Amuse-Bouches klar, die bereits die ersten fünf Positionen der Karte abhaken.
Ein Cornet mit Lachstartar und Frischkäse – mit üppigem Schmelz, exzellenter Würzung und hauchdünnem, knusprigem Teig – sowie appetitliche Cheddar-Cracker werden noch außerhalb der Karte serviert. Sie passen hervorragend als Aperitif-Snacks zum Dom Pérignon, den man zum »Evolution«-Menü offenbar aus- und nachschenkt. (8/10)
Der Champagner beruhigt ein wenig, denn einen Hauch Anspannung kann auch ich als geübter Esser nicht von der Hand weisen. Es ist immerhin die French Laundry, und mein letzter Besuch liegt auch schon zwölf Jahre zurück.
Den Auftakt ins Menü macht schließlich eine Zubereitung aus gelierter Tomatenessenz der Sorte Yellow Taxi, zu der am Tisch eine Gazpacho angegossen wird. Der Silberlöffel, den man dazu auf den Tisch legt, ist eiskalt. Das ist eine sehr gute Idee, um die Kühle zu bewahren, die diesen Gang so lebhaft macht. Gerade erst im Harbor House Inn fiel mir noch einmal auf, dass die Aromen, die von kalten Gerichten ausgehen, oft noch beeindruckender sind als von heißen – authentischer, frischer, plastischer. So auch hier, der intensive Tomatengeschmack ist nichts anderes als himmlisch, leicht süß, sonnig, umami, während besonders intensives Basilikum diesen klassischen Zweiklang zu dem besten dieser Art erhebt, den ich je probiert habe. Ein sommerliches Gedicht. (9/10)
Die digital präsentierte Weinkarte bereitet mir derweil etwas Kopfzerbrechen. Während man im Bereich Burgund überhaupt Mühe hat, irgendetwas dreistellig Bepreistes zu finden, ist die Auswahl in anderen Regionen nicht einfacher. Am leichtesten hat man es hier als Freund teuerster Gewächse aus Bordeaux oder dem Napa Valley. Mithilfe der Sommelière fällt meine Wahl irgendwann auf einen 2018er Pinot Noir »Chehalem Mountain« von »00 Wines«, einem Boutique-Weingut aus Oregon. Auch dieser (exzellente) Wein ist mit 520 $ hoffnungslos überteuert, aber irgendetwas muss man ja trinken.
Es geht weiter mit einem Quartett an Kleinigkeiten. Ein Pannacotta vom Hokkaido-Seeigel mit Radieschen und Sauerampfer-Sauce spielt mit Texturen, die an Dessert erinnern, und Aromen, die auf geheimnisvolle Art floral anmuten – sehr eindrucksvoll (8,9/10). Japanischer Tintenfisch in Form zweier mundgerechter Stücke hat eine besonders zarte Konsistenz und kommt mit präzise abgeschmecktem Zitronengraspesto und Australischer Fingerlimette (8/10).
Ein Tempura vom japanischen Wittling (kisu) ist handwerklich perfekt – hauchdünn, knusprig, nur leicht fettig – und bereitet mit einer eleganten Kanzuri-Mayonnaise (mit Chili und Yuzu) zum Stippen unkomplizierten Genuss auf äußerst hohem Niveau (8,9/10). Ein Shima-Aji-Tartar (Stachelmakrele) setzt die japanische Produktkunde grandios fort und begeistert durch die Zugabe von gepufftem Reis und einem blumig-aromatischen Schaum aus Wassermelone und Yuzu (9/10). Die herausragenden Produkte und präzisen Aromen, Temperaturen und Zubereitungen sind bemerkenswert.
Ob im New Yorker Per Se oder hier in der French Laundry: Kellers legendäre Kreation Oysters & Pearls dürfen in seinen Top-Restaurants nicht fehlen. Das Gericht ist jedes Mal eine Offenbarung und eines der in sich abgeschlossensten kulinarischen Werke überhaupt. Unterschiedlich abgestufte Salzniveaus von Regiis-Ova-Kaviar, warmer Auster und einer Schnittlauch-Sabayon mit Tapioka gehen Hand in Hand mit der Cremigkeit und den leicht bissfesten Stärkeperlen. Ob die »Pearls« den Kaviar bezeichnen, die Tapioka oder beides, bleibt offen – und unerheblich. Hinter allem Spaß mit Texturen, maritimem Salzgeschmack und Schnittlauch scheint erneut Kellers Präzision durch: Selbst die zwiebeligen Aromen der Schalotten, mit der die Sabayon zubereitet wurde, sind deutlich präsent und für das Geschmacksbild wichtig. Ein unstrittiges Meisterwerk. (10/10)
Ein ähnlicher Klassiker folgt mit Hen Egg Custard, einer in einem Hühnerei angerichteten, gestockten Sahne-Milch-Eier-Mixtur mit angegossener Demiglace mit stückigem schwarzem Trüffel. Die Sauce klebt an den Lippen und bereitet himmlisch klassischen Genuss. Ein länglicher, transparenter Kartoffelchip mit integriertem Schnittlauch bringt dazu je ein knuspriges und ein frisches Element ins Spiel. Es ist eine weitere kanonische Kreation, oft kopiert und nie erreicht. Wo ist der Nachschlag? (10/10)
Man wundert sich dann schon ein wenig, wie es eine Kreation wie die folgende aus Kellers Küche schafft. Nicht, dass ein Falafel mit Hawaiianischen Palmenherz, Hummus aus weißen Pinquito-Bohnen und bilderbuchartigen Gemüsezubereitungen in irgendeiner Form beklagenswert wäre. Die Gemüse, bei denen unwirklich frische Zwiebeln und Gurken im Mittelpunkt stehen, sind grandios und passen zu den orientalischen Aromen der Kreation. Doch die orientalische Geschmackswelt an sich und die Massigkeit des Teigbällchens wirken bei Keller eigenartig deplatziert. Das ist zweifellos immer noch sehr gut – die Gemüse gar sensationell –, und es kommen heute eben nicht nur Klassiker auf den Tisch. Dennoch hofft man, dass die kostspielige »Evolution« nicht nur ein Haufen Lehrgeld ist. (7/10)
Sie ist es nicht. Spannenderweise ist etwas Exotik auch beim folgenden Gang ein Thema, und zwar in einer milden Currynage zu gebratenen Filets vom Wolfsbarsch. Der Fisch ist von beispielhafter Saftigkeit und verzichtet bewusst auf Röstaromen. Dies verstärkt die aromatische Klarheit, die von ihm ausgeht und die hier fast noch eindrucksvoller ist als bei Ducasse und anderen Meistern dieses Fachs. Ein in Butter ausgebackener und mit Gurke gefüllter Beignet aus Mais dazu ist saftig, frisch und knusprig, und viel mehr benötigt der Teller nicht, um höchstes Küchenniveau und atemberaubende Produktqualitäten zu unterstreichen. (Interessanterweise – das bemerke ich jedoch erst nach meinem Besuch – führt das Menü mit einer Paprika-Consommé, einem Mais-Salat und einer Variation grüner Tomaten völlig andere, mediterranere, Mitspieler zum Wolfsbarsch auf. Vermutlich konnte man mit der rasanten »Evolution« der Küche beim Drucken der Karte nicht mitziehen.) In jedem Fall handwerklich auch erneut meisterhaft und von überragender Schlichtheit. (8,9/10)
Etwas bang for the buck folgt mit Pansotti, bestehend aus einem mit australischem Wintertrüffel »eingewobenem« Nudelteig. Die mit einer Trüffel-Parmsesan-Creme gefüllte Teigtasche ist auf einer Mousse mit schwarzem Trüffel gebettet, die wiederum in Butter gerösteten Mais bedeckt. Popcorn-ähnliche gepuffte Sorghumhirse bietet dazu noch etwas Knusperspaß.
Worum es bei diesem Gang wirklich geht, wird spätestens klar, als eine halbe Knolle Trüffel über das Gericht gehobelt wird. Der ätherische, an feuchte Erde und Terpentin erinnernde Duft des quietschfrischen Trüffels wabert über dem Tisch. Das Gericht ist selbstredend eine Qualitätsoffenbarung, was schwarzen Trüffel betrifft, erfüllt dabei aber gleichzeitig die Hoffnung auf klassische, opulent portionierte Luxuszutaten, die bei diesem Menüpreis bestehen. (Die klassischen »Add-ons«, die man in Kellers Restaurants sonst ständig verkauft, bekommt man beim »Evolution«-Menü folgerichtig gar nicht erst angeboten.) Durch den Einsatz von Mais, nicht nur gebraten, sondern auch in dem Trüffelschaum, entsteht in Summe ein etwas zu süßer Geschmack – sogar die Trüffeln haben eine leichte natürliche Süße –, aber das macht am Ende den fetten Kohl kaum weniger fett. Ein Trüffel-Exzess auf Weltklasseniveau. (9/10)
Mit dem nächsten Gang folgt ein Rindertatar »Parisien«. Es ist mit grob geschnittenen Würfeln vom dry aged Wagyu-Rind der Qualität A5 zubereitet, kühl serviert und mit einer Sauce charcutière gewürzt. Saucenliebhaber werden wissen, dass Letztere eine appetitlich würzige Sauce Robert ist – diese wiederum eine Sauce auf der Basis von Kalbsfond und Senf –, der man Gewürzgurken hinzugibt. Die Melange Senf, Gurke und üppiges, buttriges Wagyu ergibt in Summe genau das Geschmacksbild, das man von einem Pariser tartare de bœuf kennt. Für etwas Abwechslung, sowohl aromatisch als bezüglich der Texturen, sorgen dazu noch knusprig-krosse Pommes Maxim’s. Das Gericht ist beispielhaft für die Erhebung von bürgerlicher Küche in die Spitzengastronomie durch Qualitätssteigerung und Präzision bei Handwerk und aromatischer Balance. Frische, Salz, Säure, Schmelz und Herzhaftigkeit sind hier in atemberaubendem Gleichgewicht und doch voller in Schwelgerei mündender Spannung. Es ist mit Abstand das beste Rindertatar, das ich je probiert habe, da kann man noch so viele klassische Tatars in kleinen Pariser Bistros romantisieren. Eine kleine Sensation. (10/10)
Keller legt noch einmal nach. Mit Boudin Blanc à la truffe noire serviert man hier – in einem der berühmtesten Drei-Sterne-Restaurants – erneut regelrechte Hausmannskost. Mit Spiegelei! Und mit Trüffeln, vielen Trüffeln, verarbeitet in dem feinen Wurstbrät, in einer Beurre Périgourdine und in einem getrüffelten Püree von La-Ratte-Kartoffeln. Die Wurst ist längs halbiert, was dazu führt, dass sie sowohl ihr luxuriöses Inneres preisgibt als auch besser zu schneiden ist. Alles Weitere ist ein buttriger, cremiger, trüffeliger Exzess, die feine Wurst mit milden Gewürzen, leicht rauchigen Aromen und wohltuender Wärme stets im Mittelpunkt. Dass die aromatischen Attribute der Wurst in all der Hemmungslosigkeit dieses Gerichts nicht untergehen, ist der hier konstant wahrzunehmenden Präzision und Balance zuzuschreiben. Ein solches Gericht kann sich nicht jeder erlauben. Man stelle sich einmal die perplexen Gesichter der Gäste vor, servierte man Weißwurst in der Schwarzwaldstube (wenngleich es ja genau solche Gerichte sind, die einer deutschen Spitzenküche fehlen). Auch in Frankreich, dem Ursprung aller Ideen auf diesem Teller, gibt es wohl keinen Spitzenkoch mehr auf diesem Niveau, der sich auf höchstem Niveau um die Pflege derartiger Klassiker kümmert. Paul Bocuse war vielleicht der Letzte. Lang lebe Thomas Keller. (10/10)
Dagegen erlebt man mit über Holzkohle gegrilltem japanischem Wagyu mit ebenfalls mit Wagyu farcierter Morchel, pain perdu mit Waldpilzen, Spinatpüree und einem jus gras nicht ganz so viel Verve, dafür aber ein Gericht, das sehr viel sehr richtig macht. Das buttrige Wagyu-Rind ist eine Offenbarung für mit dieser Zutat Unbewanderte und eine wohltuende Bestätigung solcher Qualitäten für damit bereits Vertraute. Die Geschmackskomposition ist klassisch: Rind, Kartoffel, Pilze, Spinat, Rinderjus. Das kommt einem alles bekannt vor, aber ein zweifelsfreies Weltklasseniveau ist auch diesem Teller nicht abzusprechen. Alles fließt hier auf höchster Ebene. (9/10)
Als Abschluss der herzhaften Tour de Force serviert man einen handwerklich perfekten Gougère mit luftig-knusprigem Brandteig und einer Füllung mit »Etude«-Ziegenkäse und schwarzen Trüffel. Auch diese Kreation ist von exemplarischer Güte. (8,9/10)
Die Desserts werden alle gleichzeitig aufgetischt, was ein schwelgerisches Verkosten der diversen Köstlichkeiten ermöglicht. Es ist ein letztes Auftrumpfen der Küche, die hier mit diversen klassischen Patisserie-Kreation nicht versucht, das Rad neu zu erfinden. Es gibt, unter anderem, eine Schichttorte (tatsächlich genau so, d. h. auf Deutsch, betitelt) mit Honig-Zitronen- und Vanillecreme zu Silverado Trail-Erdbeeren; ein köstliches, süßlich-herzhaftes Soja-Milcheis mit separat serviertem Cornet mit Vanille, Bananenmarmelade und Misokaramell; …
… dann ein an die italienische Eistortenspezialität angelehntes Zuccotto mit »Bombe«-Mousse, Ricottacreme, kandierter Haselnuss und einer feinen Schokoladenschicht, die ein verführerisches »Knackgeräusch« macht, wenn man sie zerbricht; ein Semifreddo mit Haselnusseis; und einen Beignet, den ich als »besten Berliner« abspeichern kann, den ich je probiert habe, saftig, buttrig, zuckerig und dabei ganz ohne Füllung auskommend. Dazu serviert man, fernab von der Heimat, eine 2006er »Brauneberger Juffer Sonnenuhr« Riesling Auslese vom Mosel-Weingut Fritz Haag. Es ist auf dieser Reise, nach dem Manzke in Los Angeles, der zweite fulminante Menü-Abschluss. (10/10)
Mit einer Tüte in der Hand, in die ich noch die Batterie an Pralinen habe einpacken lassen, begleitet man mich freundlich hinaus in den frühen Abend, vorbei an dem gemütlichen Außenbereich mit Schatten spendenden Ahornbäumen und den letzten abendlichen Sonnenstrahlen. Hier müsste man nur einen Tisch bekommen. Man wird ja noch mal träumen dürfen.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | The French Laundry (→ Website) |
Chef de Cuisine: | David Breeden |
Ort: | Yountville, USA |
Datum dieses Besuchs: | 25.07.2022 |
Guide Michelin (California 2021): | *** |
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