Aqua – Mut zu Neuem
Ich habe schon viele Berichte über das Aqua verfasst und verfolge die Küche von Sven Elverfeld schon seit über zehn Jahren. Auch meine Freude, immer wieder in die angenehm technisierte, ja artifizielle Welt des Hotels Ritz-Carlton in der »Autostadt« einzukehren, habe ich hier schon ausführlich kommentiert.
Es war jetzt mal wieder so weit. So weit, dass ich mich gleich für ein langes Wochenende hier eingenistet habe, um mir an zwei Abenden einen kulinarischen Überblick zu verschaffen.
Meine Lust auf volle Speisesäle ist in diesen Zeiten immer noch nicht zurückgekehrt, daher sitze ich an beiden Abenden angenehm separiert in der Nähe des Eingangsbereichs.
Um mein »Setup« zu komplettieren, bestelle ich gleich zu Beginn meiner kulinarischen Odyssee eine Flasche Rot- und eine Flasche Weißwein, die mein Essen über beide Abende begleiten sollen. Sommelier und derzeit auch Restaurantleiter Marcel Runge ist für diese hier eher unkonventionelle Idee mühelos zu begeistern. Mit einem 2016er Chardonnay »Charles Heinz Vineyard« vom kalifornischen Weingut Littorai (€ 260) und einem 2017er Gevrey-Chambertin von der Domaine Armand Rousseau (€ 220) werde ich auch fündig; die Weinkarte ist für ein Restaurant dieser Klasse allerdings nach wie vor ungewohnt kompakt. Gerade als Burgund-Freund kommt man hier nicht allzu weit. Als Ursache vermute ich eine Klientel, die sich wohl ganz überwiegend mit der Weinbegleitung anfreundet.
Zum ersten Schluck des exzellenten Chardonnays gesellen sich die ersten Amuse-Bouches. Die mit Ziegenfrischkäse und Sardelle gefüllte Kalamata-Olive mit karamellisierter Zuckerschicht möchte ich mir aus keinem Menü im Aqua wegdenken. Sie bietet ein besonders appetitanregendes Spiel mit Säure, Bitterkeit, Salzigkeit und Süße, wobei Letztere der betonteste Grundgeschmack ist. Ein perfekt durchoptimierter Snack. (9/10)
Eine halbierte und mit Leberwurst gefüllte Kumquat mit einem Filoteig-Pfeffer-Chip ist danach eine muntere, herzhaft-fruchtige Kombination mit Knusperspaß, pikantem, sehr aromatischem Pfeffer und einem ersten Hinweis auf Sven Elverfelds kontinuierliche – und immer erfolgreiche – Bemühungen, regionale, gar zünftige, Zutaten, wie hier Leberwurst, in seine Küche zu integrieren. Die Petitesse begeistert mit einem pfeffrigen Abgang. (8,5/10)
Geröstete Aubergine – als Püree und hauchdünnem Cracker obenauf – findet man beim nächsten Gruß in Kombination mit Seitan, Miso und einem Kräuter-Koriander-Öl. Röstaromen sind präsent, aber im Hintergrund, der Auberginengeschmack ist klar und unverfälscht. Aromatisch transportiert einen der Snack schnurstracks in wärmere Gefilde, noch bevor sich der Gedanke an Heimatverbundenheit durch die vorherige Leberwurst manifestieren kann. Man wird im Aqua immer wieder überrascht; Elverfeld lässt sich ungern festnageln. (8,5/10)
Die letzte Einstimmung ist ein Gericht mit Räucheraal, butterzart gegart, dazu Variationen von Topinambur, angerichtet in einem Malzsud, dazu ein Knäckebrot-Sesam-Chip. Neben der betörenden Zartheit des Aals begeistert hier vor allem eine sehr elegante Räuchernote, die den »norddeutsch« schmeckenden Gang gekonnt untermalt, aber nicht dominiert. Große Klasse, mit erneutem, unkompliziertem Regionalbezug. (9/10)
Den offiziellen Start ins heutige Menü (»Neues Entdecken«, € 225 für sieben Gänge, wobei ich mir nicht sicher bin, ob das Entdecken hier wirklich substantiviert gemeint ist) macht eine Kreation mit Gänseleberterrine. Diese präsentiert sich in Form einer zylindrischen Tranche, auf die man allerhand Komponenten aufgetürmt hat, darunter Cremetupfen mit Yuzu- und Schokoladengeschmack, ein leicht salzig schmeckendes Eis, eine wurmförmig applizierte Creme mit Mandarinenaroma sowie unterschiedliche knusprige Elemente. Bahnt man sich seinen Weg durch die Kreation, fällt sofort die exzellente Terrine mit feinem Säurespiel und üppigem Schmelz auf, und auch, dass die fruchtigen und süßen Elemente aromatisch klassisch dazu passen. Doch die Kreation wird von einem artifiziellen Eindruck, der von den vielen Cremes und Aromen herrührt, als auch von einer überfordernden Portionsgröße überschattet. Das ist alles zu viel, zu süß, zu sättigend und damit – trotz des sehr guten Handwerks der Terrine – ein etwas irritierender Einstieg. (7/10)
Ein Stück Saibling aus der Lüneburger Heide wurde für den nächsten Gang bei geringer Wärme schonend gegart und auf einer Karotten-Hollandaise gebettet, die mit Saiblingskaviar und Austernblatt-Öl gesprenkelt ist. Auf dem Fisch findet man eine Karottencreme sowie die knusprigen Elemente »Kimchi-Sesam«, geröstetes Bauernbrot und knusprige Fischhaut. Ganz und gar bemerkenswert ist die herausragende Qualität des Saiblings, die durch die behutsame Garung perfekt zur Geltung gelangt. Der Fisch hat eine regelrecht buttrige Textur und ein charakteristisches (»grasiges«) Süßwasseraroma, das es sogar schafft, sich in dem ebenfalls etwas schweren Saucen-Creme-Ensemble dauerhaft an der Oberfläche zu halten. Geschmacklich lockert die Hollandaise das Gericht mit einer feinen Säure auf. Das ist mehr als hervorragend, aber der Hang zur Üppigkeit erstaunt erneut. (8,5/10)
Es geht weiter mit Kaisergranat. Das qualitativ hervorragende Exemplar aus Norwegen wurde mit Teriyaki-Sauce lackiert und optimal gegart, das heißt in diesem Fall bissfest, aber mit der Andeutung eines noch glasigen Kerns. Das Krustentier ist auf dem Teller mit einem marinierten Stück Chinakohl »verlängert«, das eine angenehme Bitterkeit beisteuert, ein oft vernachlässigter Grundgeschmack in vielen Spitzenküchen. Die Bitterkeit bietet einen sehr gekonnten – und nötigen – Kontrast zu einer sehr prononcierten Süße, die unter einem Schaum aus Krustentierjus und Rettich in einer Krustentiermayonnaise gebündelt zu sein scheint. Das so deutliche Herausarbeiten der natürlichen Krustentiersüße – erneut im Zusammenhang mit einer üppigen Mayonnaise – ist mir zwar eine Nuance zu viel des Guten, aber der Gang bietet durch seine Extreme auch etwas Einzigartiges. Konzeptionell ließe sich das glatt in der Ecke der spanischen Jungen Wilden à la David Muñoz verorten. (8/10)
Der letzte herzhafte Gang des Menüs ist ein Arrangement um Freilandhuhn und Kürbis. Drei dünn aufgeschnittene, fächerartig angerichtete Tranchen Hühnerbrust sind zwischen so ähnlich angerichteten Kürbisscheiben, einer aufgeschäumten Geflügel-Velouté und dicht eingekochtem Geflügeljus zunächst gut getarnt. Geschmorte Hühnerkeule findet man auch noch auf dem Teller, mit dem ich nach den ersten Probiergabeln etwas sehr Heimatverbundenes, »Kindliches« assoziiere. Letzteres ist sowohl den vorwiegend weichen, breiigen Texturen geschuldet als auch dem intensiven Kürbispüree, das ironischerweise eher nach Karotte schmeckt und damit das sehr deutschen Thema »Huhn mit Karotte« in den Kontext einer Spitzenküche transportiert. Die Spitzenküche ist hier an der hohen Qualität des Huhns, dem gewissenhaft zubereiteten Schmorfleisch und einem Saucenhandwerk auf Weltklasseniveau zu erkennen. Ein wenig animiert das Gericht auch zum Schmunzeln, weil es so gefällig erscheint. (8,5/10)
Sven Elverfeld traut sich mit Gerichten wie diesen immer wieder an Themen heran, die man nicht unmittelbar in einer Drei-Sterne-Küche verorten würde. Genau das aber begründet den spielerischen und sehr nahbaren Stil der Küche im Aqua, die sich noch nie zu ernst genommen hat. Stattdessen nimmt sie den Gast mit auf eine abwechslungsreiche kulinarische Reise, bei der zwar nicht immer jedes Gericht bis aufs Äußerste optimiert ist, die dafür aber eine unkomplizierte Vielfalt bereithält, die man in den anderen Spitzenküchen des Landes in dieser Form nicht wiederfindet.
Nach einer hervorragenden Auswahl von Käse des Affineurs Waltmann macht die Patisserie ihren ersten Aufschlag. Eine Mousse von Joghurt und Sesam, getoppt mit einem Granatapfel-Eis ist auf einem exotischen Saucenspiegel mit Ras-el-Hanout-Gewürz gebettet, dazu gibt es verschiedene weitere Aromaten, vor allem Granatapfelkerne und Minze. Das zentrale Thema dieses Desserts ist eine feurige Aromenwelt, in die man gedanklich regelrecht eintauchen kann. Minze, Ras es-Hanout und Granatapfel sind vor allem Aromen Nordafrikas, und man fragt sich, ob das Dessert einen persönlichen Bezug zur Erstellerin Hella Eggers, neue Chefpâtissière im Aqua, hat. Begeisternd gut. (9/10)
Den süßen Abschluss macht eine im Glas geschichtete Dessertkreation mit einer quarkähnlichen Masse, einem Gelee mit Johannisbeeren und Fichtensprossen sowie einem dünnen, knusprigen Buchweizengebäck und gebranntem Eischnee. Das Ganze wird mit einer Spirituose von Südafrikanischem Weißen Konfettibusch flambiert und ergibt ein feinsäuerliches, angenehm ätherisches und belebendes Dessert, das intensiv nach Wald schmeckt. Erneut große Klasse. (9/10)
Sehr gute Pralinen beenden mein erstes Essen im Aqua seit zweieinhalb Jahren. So viel Zeit werde ich bis zum nächsten Mahl nicht verstreichen lassen. Zwanzigeinhalb Stunden, um genau zu sein.
(Fortsetzung folgt.)
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Aqua (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Sven Elverfeld |
Ort: | Wolfsburg, Deutschland |
Datum dieses Besuchs: | 04.02.2022 |
Guide Michelin (D 2021): | *** |
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