Kesselhaus – hinaus in die Nacht
Für meinen Weg vom Saarland zurück nach Hamburg suchte ich eine Kombination aus einem streckenmäßig sinnvollen Zwischenstopp und – natürlich – der Möglichkeit einer kulinarisch anspruchsvollen Einkehr. Diese Anforderung ist entlang der A 1 oder A 2 in Richtung Norden gar nicht so einfach zu lösen.
Meine Wahl fiel schließlich auf Osnabrück und dort aufs Restaurant Kesselhaus. Das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Haus wird von Thayarni Garthoff betrieben und geleitet, die vielen noch als Restaurantleiterin des ehemaligen Drei-Sterne-Restaurants La Vie bekannt sein dürfte. Sie hat einige der früheren Kolleginnen und Kollegen mit ins Kesselhaus genommen, unter anderem auch ihren jetzigen Küchenchef Randy de Jong.
Das Ambiente in einer loftartigen, ehemaligen Party-Location im Industrie-Look fühlt sich ein bisschen so an wie die ersten Jugendpartys. Doch anstatt lauter Beats und Vodka-Red-Bull säuseln hier die Alben von Norah Jones und Sade in einer Endlosschleife zu Weinbegleitung und leisem Tischgespräch mit betroffenen Gesichtern. Die meisten Gäste sehen so aus, als hätten sie gerade von einer heftigen Steuernachzahlung erfahren.
Coast to coast, L.A. to Chicago, western male /
Across the north and south, to Key Largo, love for sale …
Die drei koketten Bilder im Comicstil an der Wand tragen noch mehr auf die forcierte casualness auf, und ein aufgeschlagener Bildband mit expliziten Titeln der Bild-Zeitung auf dem Weg zum WC ist dann nur noch geschmacklos. Echte Lässigkeit kann man eben nicht dekorieren.
Smooth operator /
Smooooth operatoooor …
Es gibt ein sechsgängiges Menü für € 128, das die Hauptprodukte in den Mittelpunkt stellt und die wesentlichen Mitspieler der Gänge, meistens drei, kurz und bündig als Untertitel aufführt. Diese auch schon etwas in die Jahre gekommene, substantivierte Speisekartengrammatik, bei der man sich eigentlich nur für das Trennzeichen zwischen den Zutaten entscheiden muss (es ist nie ein Komma), passt zum Konzept.
Smooooth operatoooor /
Smooooth operatoooor …
Das Menü startet mit drei kleinen Snacks. Ein Rote-Bete-Cornet mit Tartar von gebeiztem Lachs ist nicht besonders akkurat gearbeitet, geschmacklich aber sehr gut, mit gehaltvollem Fisch, gut prononcierter Salzigkeit und einem dazu passenden Geschmack der Bete (7/10). Es folgen ein Gurkenmacaron mit weiteren Gurkenzubereitungen – einwandfrei gemacht, aber nur spannend, wenn man Vergleichbares noch nie probiert hat (6,9/10) – und ein Nori-Taco mit fermentierten Pflaumen und Fenchel, mit interessant »getreidigem« Geschmack (6,9/10).
Die erste Speise des Menüs heißt »5x Karotte« – und ist genau das. Es gibt verschiedene, gegarte Karottensorten, alle sehr aromatisch, dazu Karottencreme, Karottensud, einen Karottenchip und sogar ein grünes Karotteneis aus den Stängeln. Das Gericht ist lebhaft durch ein frisches Säurespiel, geschmacklich authentisch und trotz der singulären Zutat spannungsvoll. (7/10)
Inzwischen singt Norah Jones.
Come away with me in the night /
Come away with me
Es geht weiter mit Gelbflossenmakrele (Hamachi) in einer nun deutlich komplexeren Komposition. Der Schmelz des qualitativ sehr guten Fischs wird angenehm kühl von einem Buttermilcheis kontrastiert, während eine mediterrane Salat-Kombination aus bissfesten Zucchinistückchen und Belugalinsen dem Ganzen etwas Halt geben. (Die Speisekarte verwendet zu diesem Gericht etwas verwirrend den Begriff »Beluga«, was man eher für Kaviar halten könnte.) Eine Sauce mit Kombucha und Wasabi sorgt für frische Schärfe und Süffigkeit. Obwohl man gerade für Gelbflossenmakrele längst nicht so viele Mitspieler benötigt, ist diese Komposition für sich betrachtet schlüssig und sehr gut umgesetzt. (7/10)
Auch der folgende Gang klingt vielversprechend. »Edelfische« bezeichnet ein Gericht, das offenkundig von einer Bouillabaisse inspiriert ist. Auf dem Grund des Tellers wurde eine Fenchelcreme appliziert, dazu findet man Stücke von Wolfsbarsch, Rotbarsch, Dorade und Garnele sowie runde Abschnitte von Kohlrabi und Fenchel. Angegossen wird alles mit einer Fischsuppe.
Nun hat ein solches Gericht im Grunde jedwedes Potenzial, bis hin zu Weltklasseniveau. Alles ist abhängig von der Qualität der Produkte und dem Handwerk der Suppe. Beides macht hier keine gute Figur. Die Fische sind alle mäßig – geschmacklich zwischen »fischig« und neutral, von der Textur her oft auf der zähen Seite –, und die Suppe ist übertrieben mit Speisestärke oder einem anderen Texturgeber angedickt. Die dunkelrote Farbe täuscht nur optisch darüber hinweg, dass der Suppe der typische, aufregende Duft fehlt, der solchen Suppen entströmen kann, ebenso fehlt es ihr an komplexem Geschmack. Die starke Bindung sorgt zudem für eine unappetitlich hohe Viskosität und »Mehligkeit«. Das Gericht wurde eindeutig unter Kostendruck umgesetzt, was zwangsläufig zu den beschriebenen Problemen führt. Es ist leider ein Paradebeispiel für das besonders hierzulande oft erlebbare Phänomen, dass selbst solche fehlerbehafteten Gerichte von vielen Gästen mit Lob quittiert werden, ich kann das an den Nachbartischen überall beobachten. Wem das als Gastronom ausreicht, was betrüblich genug ist, der kann sich hier bewusst qualitativ immer weiter in eine gewinnmaximierte Abwärtsspirale begeben. Wem zumindest der Michelin-Stern wichtig ist, sollte spätestens hier aufpassen. (6/10)
My heart is drenched in wine /
But you'll be on my mind forever
Apropos. Aus der kompakten Weinkarte fand ich mit einem 2013er Nuits-Saint-Georges 1er Cru »Les Bousselots« von der Domaine Chevillon (€ 166) vermutlich die beste Perle. Ich schenke jetzt etwas mehr nach, da es in Richtung Hauptgang geht. Ich schenke überhaupt selbst nach, weil der Service das Thema nicht optimal im Griff hat und ich bei einer solchen Flasche keinen Spaß an Kompromissen habe. Ich mache das aber sowieso gern, insofern ist das unproblematisch.
Vor dem Hauptgang gibt es aber noch ein Intermezzo mit Tomaten. Fünf Sorten Miniaturtomaten sind hier kombiniert mit geflämmter Himbeere, gegarter Süßkartoffel und einem Schaum und Sud von Tomatenwasser und Hibiskus. Kurzum: die Kombination wirkt etwas zusammengewürfelt. Das Gericht leidet unter zu viel Säure und einer »Stumpfheit« von Himbeere und Süßkartoffel. Sehr unausgewogen. (6/10)
Es dauert jetzt dreiundvierzig Minuten, bis es weitergeht – trotz einer bereits geäußerten Bitte, das Tempo ein auf ein normales Maß zu beschleunigen.
Der Hauptgang wird, etwas unverständlich, zunächst eingeleitet von einem »Hotdog« mit ähnlichen Zutaten. Die Speise besteht aus einem äußerst voluminösen, weichen Teigmantel, darin findet man Salatblätter, Kirschen und Lammbries. Nach dem ersten Happen ist klar, dass es keinen Grund gibt, sich dieses gesamte Konstrukt, das eine ganze Mahlzeit sein könnte, einzuverleiben. Ich picke mir hier die allenfalls akzeptabel zubereiteten Briesstückchen heraus und quittiere meinen auffälligen Tellerrest mit einem ehrlichen »das war einfach zu viel«. (6/10)
Der Hauptgang wird nicht besser. Es gibt Lamm, das im Vakuumbeutel zu einer mürben, homogenen Masse zerkocht wurde, wahrhaftig nach nichts schmeckt und in einem ebenso neutralen, wässerigen Lammjus, den man zynischerweise als »kräftig« bezeichnet, angerichtet ist. Es gibt dazu die abermals wirre Kombination von Kirsche, Salat und dazu noch Radieschen – als wäre das Lamm nicht schon Strafe genug. Das ist allen Ernstes eines der schlechtesten Stücke Lamm, die ich je probiert habe. So etwas ist dann nur noch ärgerlich. (5/10)
Ich bin an dem Punkt angelangt, an dem ich jede weitere Minute, in der Norah Jones noch singt, für verschwendete Zeit halte und jetzt nur noch schnell zahlen möchte.
Um ein Dessert komme ich aber nicht mehr herum. Schade, denn eine Kreation mit Aruguani-Schokolade, Brombeere, Estragon und … Knoblauch (!) ist schlicht ungenießbar. Versteht hier jemand Spaß? Ich jedenfalls nicht. (5/10)
Ich verstehe das aber alles dennoch. Dieses Restaurant ergibt hier Sinn. Osnabrück ist – trotz Norah Jones – nicht New York, man kocht hier irgendwie »kreativ«, das Ambiente ist für die meisten Gäste außergewöhnlich, und dieses Menü war sicherlich nur ein Schnappschuss. Aber man sollte sich dringend darauf konzentrieren, die aufgesetzte Lockerheit in authentischerer Version auch auf den Tellern und im Service umzusetzen.
Norah Jones singt wieder:
Come away with me in the night /
Come away with me
Ist ja gut, ich komm’ ja schon.
Informationen zu diesem Besuch | |
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Restaurant: | Kesselhaus (→ Website) |
Chef de Cuisine: | Randy de Jong |
Ort: | Osnabrück, Deutschland |
Datum dieser Besuche: | 31.07.2021 |
Guide Michelin (D 2021): | * |
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